Präsident Hassan Rohani: geschwächt, aber gebraucht.

Foto: AFP / Atta Kenare

Teheran/Wien – Die Proteste ziehen keine Massen an, aber sie ebben auch nicht ab. Seit Tagen gehen in etlichen iranischen Städten wieder Demonstranten auf die Straßen: gegen Unfreiheit und soziale Unsicherheit, die Wirtschaftspolitik ihrer Regierung, den galoppierenden Verfall des Rial – 80 Prozent im vergangenen Jahr -, Korruption, mangelhafte staatliche Dienstleistungen und die schlechte Infrastruktur. Wasser- und Stromknappheit gehören in diesem heißen Sommer zum Alltag vieler Menschen im Iran: eine Folge der Ressourcenverschwendung, aber auch der immer größeren Trockenheit in der Region.

Es sind jeweils meist nur ein paar Hundert Demonstranten, aber ihre Slogans sind teilweise radikal. Neben der Führung im Allgemeinen wird auch immer wieder deren regionale Interventionspolitik kritisiert: Die Mittel für Hisbollah, Syrien, Huthis im Jemen und die Hamas seien vorhanden, aber nicht für die eigene Bevölkerung. Das wiederum veranlasst Hardlinerkreise zur Behauptung, dass "Kräfte aus dem Ausland" hinter den Protesten stecken.

Denn die Unruhe im Land fällt mit der Wiedereinführung eines ersten Teils der US-Sanktionen zusammen, als Konsequenz des Ausstiegs aus dem internationalen Atomdeal, von Präsident Donald Trump geordert.

Adnan Tabatabai, Iran-Experte des Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO) in Bonn, zeigt sich im Gespräch mit dem STANDARD nicht überrascht, dass die Protestwelle vom Jänner wieder auflebt. Damals war in dutzenden Städten demonstriert worden, es gab Tote und Verhaftungen. Der Staat habe eine Forderung erfüllt und den Kampf gegen die Korruption eingeleitet, aber "gerade das offenbart in einzelnen Fällen, wie exorbitant Mitglieder der Eliten sich auf Kosten des Allgemeinwohls bereichert haben", sagt Tabatabai. Das facht die Empörung an.

Devisenchef festgenommen

Am Sonntag wurde der für Devisengeschäfte zuständige Vizegouverneur der Zentralbank, Ahmad Araghchi, festgenommen. Dass er ein Neffe des Vizeaußenministers ist, macht die Optik noch schlechter. Die Regierung schlingert, ihre Währungspolitik betreffend, was die Menschen noch mehr verunsichert, die sich, um Devisen zu bekommen, dem Schwarzmarkt zuwenden.

In einer Rede sollte Präsident Hassan Rohani am Montagabend versuchen, seine Landsleute zu beruhigen. Noch vertritt man die offizielle Linie, dass mithilfe jener Länder, die weiter beim Atomdeal bleiben, der Wegfall der USA wirtschaftlich ausgeglichen werden kann. Die Expertenprognosen sind aber nicht optimistisch, denn die USA machen international Druck auf Staaten, ihre Geschäfte mit dem Iran einzustellen. Die Stunde der Wahrheit kommt Anfang November, wenn auch die US-Sekundärsanktionen – gegen Länder und Unternehmen, die sich dem US-Diktat nicht fügen wollen – in Kraft treten.

Das Regime kämpft demnach an zwei Fronten – und mit alten Versäumnissen, denn die Probleme der Bevölkerung zu lösen wird lange dauern. Dennoch glaubt Tabatabai nicht, dass die Proteste die Führung ins Wanken bringen. Er sieht jedoch die Gefahr, dass die regionalen Rivalen des Iran und deren Verbündete militante Gruppen anstacheln könnten, das Land zu destabilisieren. "Täglich gibt es Meldungen von hochgenommenen Terrorzellen in den Grenzregionen", sagt Tabatabai.

Rohani steht mit der Wiedereinführung der Sanktionen vor den Trümmern seiner Politik: In seinem ersten Wahlkampf 2013 hatte er versprochen, den Atomstreit mit der internationalen Gemeinschaft zu beenden, und das ist ihm gelungen. Andere Hoffnungen blieben jedoch unerfüllt, auch der Aufschwung der Wirtschaft nach Sanktionsende kam nicht im erhofften Maße. Aber das sind jetzt Sorgen von gestern.

Starker schwacher Rohani

Der angeblich herzkranke Rohani wurde 2017 schon im ersten Wahlgang wiedergewählt. 2021 kann er nicht mehr antreten. Seine innenpolitischen Gegner waren stets gegen den Atomdeal, sie sahen ihn als Selbstaufgabe. Dem Scheitern Rohanis steht jedoch die Tatsache gegenüber, dass die iranische Führung ihn jetzt so sehr braucht wie nie zuvor, sagt ein arabischer Diplomat, der nicht genannt werden will, zum STANDARD: Würde er von den Hardlinern gestürzt werden, wäre es auch noch mit der verbliebenen Unterstützung aus dem Ausland, etwa der EU, vorbei. Aber der Kampf um Rohanis Nachfolge hat wohl bereits begonnen: Durch – an Trump gerichtete – Twitter-Aktivitäten glänzt etwa neuerdings das Enfant terrible der iranischen Politik: Expräsident Mahmud Ahmadi-Nejad. (Gudrun Harrer, 6.8.2018)