Eine wilde Salome trägt er in sich – der stramm uniformierte Hermann. Seine die Verhältnisse (und ihn selbst) zersetzende Zuneigung zu Lisa weist ihn als Seelenverwandten jener Tochter der Herodias aus, die zurzeit in der Felsenreitschule von Obsessionen gebeutelt wird. Hermanns Innerstes beherbergt sogar eine zweite Salome: Jene selbstzerstörerische Konsequenz, mit der er Lisa ansteuert, befeuert auch seine Kartenspielleidenschaft. Das Spiel ist für Hermann quasi die Abkürzung zur Freiheit.

Recht gruselige Freunde hat der rote Offizier: Stanislav Trofimov (als Surin), Alexander Kravets (als Tschekalinski) und Brandon Jovanovich (als Hermann).
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Der Offizier ist in Pique Dame so etwas wie Tschaikowskis Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Und konsequent wirkt insofern, den Soldaten just auf einem grünen Spieltisch nach der noch fernen Lisa schmachten zu lassen.

Ein elegantes Bild seelischer Ambivalenz ist das, wobei: Eine Art Salome trägt auch Hermanns Wunschdame in sich. Vor der Vermählung mit Fürst Jelezki stehend, vor sich also die Aussicht auf eine luxuriös abgesicherte Oberschichtexistenz, gibt Lisa alles auf, um mit Borderliner Hermann zu sein, dem zusehends der Schädel vor Widersprüchen zu platzen scheint.

In dieser Dialogszene mit Fastgemahl Jelezki (souverän Igor Golovatenko), der versucht, Lisa ein letztes Mal an sich zu binden, wird es surreal in der Inszenierung von Hans Neuenfels. Es fantasiert sich der Fürst etwas herbei, das nie sein wird, ein Familienidyll: Während sich Lisa von den fürstlichen Eheplänen distanziert, nehmen in einer eleganten Fantasieszene nach und nach vier Kinder an der Esstafel Platz.

Neuenfels’ Inszenierung – gern auch mit Epochen und Stilen spielend – neigt ansonsten eher zu grellen optischen Rufzeichen. Und auch sie vermögen nicht zu kaschieren, dass der Routinier, der vor 17 Jahren mit der Fledermaus die Salzburger Gemüter zum Kochen brachte, eine höfliche Pflichterfüllung abliefert. Sie reicht von artiger Personenführung über aufgesetzt wirkende Tanzszenen bis hin zum schrillen Auftritt der großen Zarin: Als geschmücktes Skelett breitet die Monarchin ihre klapprigen Knochenarme aus und empfängt des Volkes Huldigungen. Tja.

Bunter Figurenmix

Ansonsten materialisiert sich ein bunter Figurenmix, dem auch der gute Wiener Staatsopernchor unterworfen ist: Hermanns Kumpanen wirken wie Rasputin (glänzend Stanislav Trofimov als Surin) oder Nosferatu (mit schneidender Präsenz Alexander Kravets als Tschekalinski). Allesamt sind sie bepelzt, als kämen sie aus tiefstem Winter, der nie sichtbar wird. Immerhin: Der Raum lässt sich als Verschmelzung von Kasino, Salon und Kühltruhe (Bühne: Christian Schmidt) deuten.

Einmal wird es extrem hell und erhellend: Hermanns zwischen Kartenspiel und Lisa gebeutelte Seele landet in einem weißen Raum, der mehr Kranken- als Schlafzimmer der alten Gräfin ist. Ihr will Hermann das Geheimnis der Spielkarten entlocken. Er landet jedoch in der Umarmung einer müden, alten Dame, die von der Sehnsucht nach glanzvoller Jugendzeit erdrückt wird.

Im Duett mit der großartigen Hanna Schwarz (Gräfin) erreicht der intensive, profund singende Brandon Jovanovich (Hermann) Momente hoher Intimität. Mit Lisa (darstellerisch eher bescheiden, vokal intensiv Evgenia Muraveva) gelingt dies nicht. Es muss schon auf Dirigent Mariss Jansons und die Wiener Philharmoniker gehört werden, um etwas von den Empfindungen der beiden füreinander zu erfahren. Es mangelt dem In strumentalen ja nie an romantischer Sensibilität. Mitunter klingt es, als würden die Figuren in melancholische Klangseide gehüllt.

So fein und detailliert ist aber alles, dass es in diesen Weiten des Raumes mitunter zu verpuffen droht. Jedenfalls: Neuenfels ist ohne Skandal zurück. Und keiner wird von den Salzburger Festspielen den Eintrittspreis zurückverlangen, da das versprochene Stück angeblich nicht gezeigt wurde. So wie es damals geschah – bei der Fledermaus. (Ljubiša Tošić, 6.8.2018)