Am Wiener Schwarzenbergplatz sitzt die Industriellenvereinigung. Das Transparent erinnert die Vertreter der produzierenden Wirtschaft Tag für Tag daran, dass die Produktionsgewerkschaft ein Problem mit der Arbeitszeitflexibilisierung durch Türkis-Blau hat.

Foto: APA/Jäger

Wien – Ein von Wien aus tätiges internationales Handelsunternehmen hat seinen 150 Mitarbeitern eine neue Gleitzeitvereinbarung zur Unterschrift vorgelegt, wonach aus bisherigen Überstunden normale zuschlagsfreie Stunden werden, die nur als Gleitzeit freigenommen werden können. Überstundenzuschläge soll es nur noch nach Überschreiten von zwölf Arbeitsstunden am Tag geben.

Im Vertragsentwurf der Firma heißt es zum Punkt Überstunden, wie die Arbeiterkammer (AK) mitteilte: "Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass während der Gleitzeitperiode keine Mehr- beziehungsweise Überstunden ausbezahlt werden. Falls diese aufgrund der zulässigen Tagesarbeitszeit von zwölf Stunden anfallen sollten, dann sind sie durch Zeitausgleich zu verbrauchen." Wobei die Firma laut AK ausschließlich das Aufbrauchen eines Gleitzeitguthabens im Verhältnis 1:1 meint, also ohne Überstundenzuschläge. Gelten soll die Regelung ab Dezember.

AK-Präsidentin ortet "glatten Lohnraub"

"Das ist glatter Lohnraub", kritisiert AK-Präsidentin Renate Anderl das Vorgehen des Unternehmens. "Bei dem Fall handelt es sich um ein Unternehmen ohne Betriebsrat", kritisiert Barbara Teiber, geschäftsführende Vorsitzende der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp). "Aus Angst vor Arbeitsplatzverlust sind viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gezwungen, eine Gleitzeitvereinbarung ohne Überstundenzuschläge zu unterschreiben." Ein Arbeitnehmer der Firma hatte sich an die AK-Arbeitsrechtsberatung gewandt.

Rechtlich halte diese Vereinbarung zwar auch mit dem Zwölfstundentag-Gesetz nicht, so die AK. Es werde aber kaum ein Mitarbeiter dagegen klagen – aus Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. Eines zeige der Fall aber deutlich: "Die Bosse haben das Gesetz bestellt und als Signal für Lohnraub und Ausbeutung verstanden", so Anderl. Die Warnungen von AK und Gewerkschaften hätten sich bewahrheitet: "Die Abgeltung von Millionen Überstunden steht auf dem Spiel, und es kann den Unternehmen nicht schnell genug gehen, die neue Gesetzeslage auszunutzen", kritisiert die AK-Präsidentin.

Kritik der Regierungsparteien

"Wenn Unternehmen gegen das Gesetz verstoßen ist natürlich mit Sanktionen zu rechnen. Wir als Gesetzgeber sind gefordert, dass die Gesetze auch eingehalten werden. Hier gibt es null Toleranz", heißt es in der von den Klubchefs von ÖVP und FPÖ akkordierten Stellungnahme. "Gleichzeitig soll die Arbeiterkammer aber aufhören, die gesamte Wirtschaft unter Generalverdacht und an den Pranger zu stellen, denn es gibt viele tüchtige Unternehmer, die sich penibel an alle Auflagen halten und im besten Einvernehmen mit ihrer Belegschaft agieren."

Auf den konkreten Fall, von dem die Arbeiterkammer berichtet, gehen die beiden Politiker in der Stellungnahme nicht ein.

Sturmlauf gegen Arbeitszeitgesetz

Auch die GPA-djp will Betroffenen zur Seite stehen: "Wir empfehlen die Gründung eines Betriebsrats, um sich selbst zu schützen. Als GPA-djp stehen wir bereit, um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu unterstützen", so Teiber. Grundsätzlich werde der Zwölfstundentag nach neuer Gesetzeslage, die ab September gilt, von vielen Unternehmen ausgenützt werden, so die Gewerkschafterin.

Gewerkschaften, verschiedene NGOs, SPÖ und Liste Pilz laufen gegen die Umsetzung eines neuen Arbeitszeitregimes durch die ÖVP/FPÖ-Bundesregierung samt Stimmen der Neos Sturm. Das Gesetz, das die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden erhöht, wurde als Initiativantrag eingebracht und nicht begutachtet. Das Gesetz erhöht auch die wöchentliche Höchstarbeitszeit – auf 60. Stunden. Nach Protesten und einer Großdemo wurde dann noch die Gültigkeit von Jänner 2019 auf September 2018 vorverlegt.

Die Aufforderung des Arbeitgebers, Überstunden zu leisten, die über die 10. Tagesarbeits- beziehungsweise die 50. Wochenarbeitsstunde hinausgehen, können Arbeitnehmer dem Papier nach ohne Angabe von Gründen ablehnen. Diese "Freiwilligkeit" wird von Gegnern aber stark angezweifelt.

Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit darf auch dem neuen Gesetz nach 48 Stunden in einem Durchrechnungszeitraum von 17 Wochen nicht überschreiten. (APA, 3.8.2018)