Langsam tuckern die Grabungsbusse den steilen Forstweg zum Dominikanerinnen-Bichl oberhalb der Brauerei in Lienz hinauf. Die letzten paar Höhenmeter zur Grabungsfläche müssen zu Fuß bewältigt werden, und dann ist der mystische Ort vergangener Kulthandlungen vor traumhafter Kulisse erreicht. Auf dem bewaldeten Hügel befand sich ein Heiligtum aus der Spätlatènezeit, das auch nach der römischen Besetzung bis ins vierte Jahrhundert n. Chr. weiter aufgesucht wurde.

Zurzeit untersucht ein Team von Studenten unter der Leitung von Archäologen der Universität Innsbruck und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften das Areal, und sie bergen eine Vielzahl an Funden. Die Ausgrabung ist Teil des Kooperationsprojekts "Kontinuität und Wandel. Ländliche Siedlungsstrukturen an der oberen Drau von der Eisenzeit bis in die Spätantike" vom Institut für Archäologien der Uni Innsbruck und dem Institut für Kulturgeschichte der Antike (ÖAW).

Der Dominikanerinnen-Bichl oberhalb von Lienz.
Foto: Grabherr

Herausfordernde Arbeit

Der Grabungsplatz ist für die gesamte Mannschaft ein besonderer – zusätzlich zur Magie, die den Ort umgibt. Denn aufgrund des steilen Geländes und der dichten Bewaldung stellen sich die Arbeiten als sehr herausfordernd dar. Nicht nur die Mitarbeiter werden körperlich gefordert, auch die Werkzeuge werden stark beansprucht. Neben Schaufeln und Kellen werden vor allem Wurzelscheren arg in Mitleidenschaft gezogen, und ab und zu muss sogar die Motorsäge zum Einsatz kommen, um dicke Wurzeln oder unwegsames Unterholz aus den Grabungsflächen zu beseitigen.

Entdeckt wurde der Fundplatz vom Heimatforscher Josef Kalser aus Leisach, der hunderte metallener Einzelfunde geborgen und daraufhin die Wissenschaft auf den Bichl aufmerksam gemacht hatte. Aufgrund des Fundspektrums war schnell offensichtlich, dass es sich hier um einen Kultplatz handeln musste. Die erste Ausgrabung vor vier Jahren bestätigte diese Annahme, damals wurden auch einige bauliche Strukturen freigelegt. Dank des Einverständnisses der Grundeigentümerinnen, der Dominikanerinnen in Lienz, und der finanziellen Unterstützung von Bundesdenkmalamt, der Abteilung Kultur der Tiroler Landesregierung und der Stadt Lienz, können nun zur Freude der Archäologen die Forschungen fortgesetzt werden.

Der heilige Bezirk

Das 8.500 Quadratmeter große Heiligtum auf dem Hügel wurde von den Römern mit einer mächtigen Umfassungsmauer – die Temenosmauer – umgrenzt, die zumindest mannshoch war und vom Tal aus beeindruckend gewirkt haben muss. An mehreren Stellen freigelegte Überreste dieses Bauwerks zeigen, dass diese Mauer gemörtelt und mit qualitätvollem Verputz verkleidet war. Sie weist eine Gesamtlänge von ungefähr einem halben Kilometer auf.

Auf der Hügelkuppe befindet sich der markanteste Platz, und in unmittelbarer Nähe zur Temenosmauer wird das Fundament eines Gebäudes, das wohl als Tempel interpretiert werden darf, ausgegraben.

Das Forscherteam legt die gesamte Fläche des Tempels frei.
Foto: Grabherr

In einem Rechteck angeordnet, dienen große Steinplatten als Unterbau für ein Holzgebäude. Dieses Bauwerk legen die Archäologen heuer großflächig frei – und sie sind nicht die Ersten, die dort graben. Das Bundesheer veranstaltete einst Übungen auf dem Areal, und die ausgehobenen Stellungen stören leider teilweise die Befunde. Das Fundspektrum an der Oberfläche wird auch von der Soldatenaktivität überschattet, denn über den Hügel verstreut liegen unzählige Patronenhülsen. Der erste dieses Jahr gemachte Fund stammt vielleicht auch von anderen archäologisch Interessierten: eine Indiana-Jones-Anstecknadel.

Eine Indiana-Jones-Anstecknadel.
Foto: Grabherr

Legionäre greifen an

Zur Zeit der römischen Annexion des Königreich Noricum (wohl 16 v. Chr.) kam es auf dem Dominikanerinnen-Bichl zu einigen militärischen Auseinandersetzungen, von denen zahlreiche Geschossbolzen von Pfeilgeschützen und Schuhnägel von Legionärssandalen zeugen. Vermutlich zogen sich die Einheimischen in das Heiligtum zurück und hofften vergeblich, dass das steile Gelände und ihre Stammesgötter die römischen Angreifer abwehren würden. Allerdings dürfte dieser mögliche Ansturm nur von kurzer Dauer gewesen sein: Es sind weder Zerstörungsspuren zu finden, noch lässt sich eine Unterbrechung in den kultischen Handlungen nachweisen.

Von Feuerböcken und Götterstatuetten

Eine weitere Kultstelle befindet sich auf einer Terrasse unterhalb des Tempels, die von einer massiven Mauer gestützt wird. Ein riesiges Pfostenloch mit großen Keilsteinen zeugt noch vom einst mächtigen Pfahl, der das rituelle Zentrum dieses Plateaus gebildet haben wird und vom Talgrund aus sichtbar gewesen sein muss.

Die Terrassierungsmauer.
Foto: Grabherr

Der Dominikanerinnen-Bichl erweist sich als äußerst fundreich: Neben vielen Münzen und Fibeln stechen besonders einige Miniaturfeuerböcke der Spätlatènezeit hervor. Diese dienten als Befestigungsgestell über einer Feuerstelle und verweisen auf die kultische Bedeutung des Fundplatzes. Die große Zahl an Göttervotiven aus Blei zeugt vom breiten Spektrum der hier verehrten Gottheiten: der Göttervater Jupiter, die Liebesgöttin Venus, der Handelsgott Merkur, der Kriegsgott Mars, der Gott des Weines Dionysos, die Göttin der Weisheit Minerva, die Siegesgöttin Victoria und die Glücksgöttin Fortuna.

Statuette der Göttin Viktoria.
Foto: Mandl

Besondere Freude bereitet uns Archäologen aber ein Bleivotiv, das keine römische Gottheit darstellt, sondern ein Opfertier: ein Eber mit Opferbinde. Dieser ist bisher die einzige Figur nichtmenschlicher Gestalt und sogar vollständig erhalten.

Bleivotiv eines Opferschweins.

Zwar konnten einige Fragen zu diesem beeindruckenden Fundplatz bereits geklärt werden, doch wurden ihm längst nicht alle Geheimnisse entlockt. Wir denken – und hoffen – bereits auf eine Rückkehr. (Gerald Grabherr, Felix Kainrath, 2.8.2018)