Die Freiheitliche Partei glaubt zu wissen, was das fahrende Volk will. Nach der schon vor Monaten von Innenminister Herbert Kickl angeordneten Demontage und Neuverteilung von Radarboxen auf Autobahnen tritt am Mittwoch die Lizenz zum 140-km/h-Fahren in Kraft. Allerdings nur auf den Abschnitten der Westautobahn zwischen Melk und Oed sowie zwischen dem Knoten Haid und Sattledt. Wirklich begründet hat der zuständige Verkehrsminister Norbert Hofer den Test nicht, auch FPÖ-Verkehrssprecher Christian Hafenecker fiel am Dienstag nicht mehr ein als: "Autofahrerinnen und Autofahrer wollen gerne zügig weiterkommen." Abseits von Bauchbotschaften gibt es Berechnungen über die Auswirkungen von Tempo 140 statt 130.

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120 Sekunden Zeitersparnis

Die 140er-Teststrecken in Oberösterreich und Niederösterreich bringen im Vergleich mit den sonst erlaubten 130 km/h unterschiedliche Zeitersparnisse: Der mit 44,6 Kilometern längste Abschnitt (Oed bis nach der Melkbrücke Fahrtrichtung Wien) lässt sich mit der höheren Geschwindigkeit laut APA-Berechnungen um 88 Sekunden schneller bewältigen. In der Gegenrichtung sind es auf den 44 Kilometern 87 Sekunden. Den kleinsten Zeitvorteil bringt mit 28,4 Sekunden die kürzeste Teststrecke von Sattledt bis zu den Überkopfanzeigern für den Großraum Linz in Fahrtrichtung Wien: Statt 397 benötigt man für die 14,35 Kilometer nur 369 Sekunden. Die Gegenrichtung ist mit 16,45 Kilometern etwas länger, Zeitersparnis: 33 Sekunden.

Unterschiedliche Straftoleranzen

Wer beim zu schnellen Fahren erwischt wird, muss Strafe zahlen. Die Messtoleranzen sind zwar überall gleich: drei km/h bei mobilen Lasermessungen, fünf km/h bei fixen Radarboxen. Allerdings kann jedes Bundesland seine Straftoleranz festlegen, wie ÖAMTC-Jurist Nikolaus Authried auf Anfrage des STANDARD erklärt – also wie viel man über dem Tempolimit liegen muss, um bestraft zu werden. Diese Limits liegen zwischen null und zehn km/h. In Oberösterreich sind es plus zehn km/h, "weil man vermutlich die echten Raser erwischen will", so Authried. Gut möglich also, dass ob der Enns erst bei 159 km/h gestraft wird, in Niederösterreich schon bei Tempo 147. Auf die Messtoleranz kann man sich berufen, auf die Straftoleranz besteht kein Rechtsanspruch.

Anhalteweg deutlich länger

Wer schneller fährt, verlängert, wie jeder in der Fahrschule lernt, auch den Anhalteweg. Der ÖAMTC ruft in Erinnerung, dass der Weg zum Stehenbleiben bereits von 130 auf 140 km/h auf trockener Strecke von 101,3 auf 114,5 Meter ansteigt. Im Fall der vorher erwähnten möglichen Straftoleranzgeschwindigkeit in OÖ von 159 km/h braucht ein Pkw-Lenker bei guten Verhältnissen 141,70 Meter, um seinen Wagen zu stoppen. Bei Regen beträgt der Anhalteweg 129,3 Meter bei 130 Stundenkilometern beziehungsweise 146,9 Meter bei Tempo 140. Die erste Komponente des Anhaltewegs ist die Reaktionszeit, die im Durchschnitt bei einer Sekunde liegt. In dieser Zeit hat man bei 130 km/h 36,11 Meter, bei 140 km/h 38,89 Meter zurückgelegt.

Expertenstreit über Unfallrate

Ob Tempo 140 zu mehr Unfällen führen wird, darüber streiten sich die Experten. Das Unfallrisiko auf deutschen Autobahnen sei jedenfalls höher, weil es dort oft überhaupt kein Tempolimit gibt, behauptet der Verkehrsclub Österreich (VCÖ). Bei unseren Nachbarn seien im Schnitt der vergangenen drei Jahre pro 1000 Autobahnkilometer um 35 Prozent mehr Menschen ums Leben gekommen. Auch die Zahl der Unfälle und der Verletzten sei deutlich höher. Eine solche Betrachtungsweise sei irreführend und unseriös, weil sie das Verkehrsaufkommen völlig außer Acht lasse, kritisiert hingegen der ÖAMTC. Laut Bundesanstalt für Straßenwesen lag die Getötetenrate sowohl auf deutschen als auch auf österreichischen Autobahnen im Jahr 2015 bei 0,017 Getöteten je Million Fahrzeugkilometer.

Mehr Feinstaub und CO2

Umweltschützer sehen in der Anhebung des Tempolimits ein falsches Signal. "Es werden deutlich mehr gesundheitsgefährdende Luftschadstoffe ausgestoßen", kritisiert Greenpeace. Nach Berechnungen des Umweltbundesamts werden bei einem durchschnittlichen Auto 16,4 Prozent mehr Stickstoffoxide ausgestoßen als bei Tempo 130. Beim Feinstaub sind es 18,6 Prozent mehr. Der CO2-Austausch steigt laut Verkehrsclub Österreich (VCÖ) um 10,6 Prozent. "Statt solch fragwürdige Experimente zu starten, muss Minister Hofer endlich wirkungsvolle Schritte setzen, um Umwelt und Klima zu schützen: Dazu gehört etwa, die Bahn auszubauen und mehr Züge auf die Schiene zu bringen", sagte Adam Pawloff, der Klimasprecher bei Greenpeace in Österreich.

Tempolimits in Europa

Ein Tempolimit von 140 km/h auf Autobahnen ist in Europa sehr selten. Eine derartige Geschwindigkeit ist nur in Polen und Bulgarien erlaubt. In Deutschland gibt es kein Tempolimit, aber die Richtgeschwindigkeit 130. 130 km/h ist das häufigste Tempolimit auf den Autobahnen in Europa. Inklusive Österreich gilt Tempo 130 in 18 Staaten. In acht Ländern darf auf Highways nur höchstens 120 km/h gefahren werden: in Belgien, Finnland, Irland, Portugal, Spanien, Schweden, der Schweiz sowie in Serbien. Noch langsamer unterwegs ist man in Großbritannien mit 70 Meilen – umgerechnet 112 km/h. Tempo 110 gilt auf Autobahnen in Albanien, Estland und Russland. Am gemütlichsten geht es mit maximal 100 km/h in Norwegen, Liechtenstein, Lettland, Montenegro und Zypern zu.

Kritik der Opposition

Die Oppositionsparteien lassen kein gutes Haar am Tempo-140-Test von Verkehrsminister Hofer und erinnern teilweise an den früheren Verkehrsminister Hubert Gorbach (BZÖ), der 2006 mit dem Versuch, bei guter Sicht und gutem Wetter 160 km/h auf Autobahnen zuzulassen, gescheitert war. Hofers unmittelbarer Vorgänger Jörg Leichtfried (SPÖ) warnt davor, dass aufgrund der höheren Lärmbelästigung auch Anrainer Leidtragende sein würden. Bruno Rossmann von der Liste Pilz sorgt sich um die Umwelt: "Wir rasen also mit Tempo 140 noch schneller in den Klimakollaps." Er sieht im Pilotprojekt ein "populistisches Ablenkmanöver" der Regierung. "Puren Populismus, der von wirklichen Problemen in der Verkehrspolitik ablenken" konstatierte auch Severin Mayr von den oberösterreichischen Grünen. (Michael Simoner, 1.8.2018)