Migrantinnen haben gegenüber in Österreich geborenen Frauen ein zweieinhalbmal größeres Risiko, ungewollt schwanger zu werden. Das geht aus Zahlen hervor, die das Gynmed-Ambulatorium in Wien seit Anfang des Jahres anhand einer Befragung von 264 Patientinnen ausgewertet hat. Demnach wurden von den Betroffenen 47 Prozent nicht in Österreich geboren.

Zum Vergleich: Der Anteil von Migrantinnen an der weiblichen Gesamtbevölkerung beträgt 19 Prozent. Von den befragten Migrantinnen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen ließen, sind Frauen aus Ex-Jugoslawien mit 14 Prozent am stärksten vertreten, Frauen aus der Türkei mit fünf Prozent am zweithäufigsten, ex aequo gefolgt von Frauen aus Rumänien, Tschechien und der Slowakei, die restlichen 22 Prozent teilen sich auf 27 andere Länder auf.

Die Patientenanwältin der Stadt Wien, Sigrid Pilz, überraschen diese Zahlen nicht, denn sie decken sich mit ihren Erfahrungen. Migrantinnen seien öfter in einer finanziell angespannten Situation "und der Zugang zu Verhütungsmitteln und auch Beratung in ihrer Sprache ist für sie ungleich schwieriger", sagt Pilz. Außerdem sei es in "rigiden Gesellschaften, wo Frauen benachteiligt werden, ein Tabu, über Sexualität zu reden, und eine ungewollte Schwangerschaft ist meist mit Scham und Schuld besetzt. Abtreibung ist dann der einzige, manchmal heimliche Ausweg."

Mädchen und Frauen stärken

Pilz spricht in diesem Zusammenhang von "konservativen christlichen und konservativen muslimischen Kulturen".

Dass es keine Statistiken zu Abtreibungen gibt, bedauert Pilz, doch sei "die Statistik nicht das vorrangige Ziel". Der Schlüssel liege "in der Gesundheitskompetenz, der Beratung und der Stärkung junger Mädchen und Frauen, dem kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln und Angeboten in allen Sprachen".

Beim Gesundheitszentrum für Frauen, Eltern und Mädchen, Fem Süd, das ein Vertragspartner des Krankenanstaltenverbundes (KAV) ist, werden Beratungen auf "Türkisch, Bosnisch, Serbokroatisch, Arabisch, Englisch und Französisch" angeboten, wie die Leiterin Hilde Wolf erklärt. Sie schätzt den Anteil der Migrantinnen bei jenen Frauen, die das Angebot nutzen, auf 75 Prozent. Was Schwangerschaftsabbrüche angeht, so werden Frauen "ergebnisoffen beraten". Es soll kein Druck auf Frauen ausgeübt werden, wie sie sich entscheiden. Grundsätzlich stelle sich vor allem "bei sozial schwächeren Frauen die Frage, wie man sie unterstützen könne, eine Schwangerschaft gut austragen zu können".

Zu wenig Angebote

Doch solche Angebote gibt es nicht genug. Christian Fiala, der Leiter des Gynmed-Ambulatoriums, kritisiert, dass Gynäkologen und Gynäkologinnen nicht stärker in die Verhütungsberatung einbezogen würden, obwohl das von Patientinnen ausdrücklich gewünscht werde. "Im Gegenteil, es geht sogar so weit, dass die Krankenkasse Patientinnen fragt, worüber sie mit ihrem Gynäkologen gesprochen haben", empört sich Fiala. "Wenn Verhütung das Thema war, zahlt die Kasse nicht."

Dabei wären "ärztliche Verhütungsberatung und Verhütungsmethoden auf Krankenschein" Maßnahmen, mit denen "die Politik die Zahl von ungewollten Schwangerschaften in Österreich auf das westeuropäische Niveau senken könnte". Eine Hormonspirale etwa koste 400 bis 600 Euro, "da sind die Frauen oft schwanger, bevor sie das zusammengespart haben", kritisiert Fiala. Österreich sei mit Irland und Polen eines "der letzten EU-Länder, wo nicht einmal die Verhütungsberatung bezahlt wird. Das sind ideologische Vorbehalte, die aus dem 20. Jahrhundert, der Monarchie und dem Faschismus kommen."

Zielgruppenorientierte Info

Stattdessen würden viele kirchlich geführte Beratungsstellen "entsprechend ihrer Weltanschauung wenig wirksame Verhütungsmethoden propagieren und damit zur unnötig hohen Zahl an Schwangerschaftsabbrüchen beitragen", glaubt der Arzt.

Statistiken brauche man, um ein "zielgruppenorientiertes Angebot zu schaffen". Dass viele Mädchen abtreiben, kann Fiala weder bei Migrantinnen noch bei Österreicherinnen bestätigen. Der Anteil der unter 20-Jährigen sei sehr gering. Mehr als die Hälfte aller Patientinnen käme mit ihrem Partner in sein Ambulatorium: "Viele der Frauen haben schon Kinder und stoßen an ihre Leistungsgrenzen." (Colette M. Schmidt, 31.7.2018)