Ach, Bayreuth: Immer was los hier! Mal flüchtet ein Dirigent während der Proben vom Grünen Hügel und ward nicht mehr gesehen (Andrís Nelsons, 2016, beim Parsifal). Mal dämmert einem Sänger erst einen Monat vor der Premiere, dass sich das mit dem Einstudieren der neuen Partie doch nicht mehr ausgehen wird (Roberto Alagna, vor einem Monat, beim Lohengrin).

In entspannendes Blau getaucht, erlangt das konfliktträchtige Brabanter Milieu in Bayreuth bei "Lohengrin" etwas Märchenhaftes.
Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath Lohengrin

Egal! Wagners Urenkelin Katharina schupft den Laden mit matriarchalischer Entspanntheit und bodenständiger Wirtinnen-Resolutheit und bezirzt im Duett mit Musikdirektor Christian Thielemann einige Intendantenkollegen, um Wunschersatz Piotr Beczala von diversen Engagements loszueisen. Es gelingt, und nicht nur das: Katharina die Glückliche, Bundeskanzlerin Merkel und rangniederere Premierengäste dürfen ein strahlendes Hausdebüt des Polen erleben, der die Partie unter Thielemanns Leitung 2016 in Dresden gesungen hat (an der Seite von Anna Netrebko, die 2019 in Bayreuth zweimal die Elsa singen wird).

Verglichen mit Klaus Florian Vogt, dessen sonnenhelle Stimmfarbe und schwebende Pianissimi speziell die Reinheit des Schwanenritters verdeutlichten, ist Beczalas Lohengrin ein nobler Kämpfer, ein Gralsoffizier und Gentleman. Seine trefflichste Waffe im Kampf um die Herzen Elsas und des Publikums ist sein kraftvoller und doch karamellweich timbrierter Tenor. Dessen südländischer Schmelz bleibt immer fein; prachtvolle Spitzentöne gelingen so mühelos wie die langen Kantilenen. Seine Gralserzählung ist keine Erweckung, aber er teilt sie sich klug ein.

Rätselhafte Harteros

Im Gegensatz zu Beczala erwischt die großartige Anja Harteros bei ihrem Bayreuth-Debüt keinen guten Abend. Im uneinheitlichen ersten Aufzug klappt das Pianissimo in der hohen Lage, eigentlich ihr Atout, nicht, in der Mittellage ist die Stimme eng; ein heftiges Vibrato und schrille Spitzentöne machen die Sache auch nicht besser. Im mittleren Aufzug singt sie sich in den dramatischen Auseinandersetzungen mit ihrer Rivalin frei. Leider geraten gegen Ende dann einige Takte zu tief.

Beim letzten Aufzug beginnt man zu überlegen, ob die 46-Jährige der Figur der unschuldigen Elsa von Brabant nicht schon entwachsen ist. In ihrer Hochzeitsnacht wirkt sie souverän wie die Rosenkavalier-Marschallin, in der Auseinandersetzung mit ihrem gewalttätigen Gemahl agiert sie mit der Verve einer Tosca.

35 Jahre nach ihrem Bayreuth-Debüt gibt Waltraud Meier die Ortrud. Es war gut gemeint, die große Sängerin nach 18-jähriger Absenz zu bitten, aber es ist kein Gewinn. An der Seite ihres aggressiven Gemahls (Tomasz Konieczny als Telramund) bemüht sich Meier um einen runden Ton, ein weiches Timbre – was ihr, abgesehen von schrillen Spitzentönen, glückt. Aber eine Ortrud bräuchte Biss, Galligkeit, Schneid, sie müsste ein dunkler, harter Gegenpart zur Elsa sein: Das ist diese Ortrud nicht. Nichtsdestotrotz ein riesiger Schlussapplaus.

Deutlich weniger Beifall als Georg Zeppenfeld bekommt Egils Silins. Unfair! Zeppenfeld gibt den König Heinrich mit fester und sonorer Stimme, aber dynamisch monoton, ist mehr Zeremonienmeister als Regent. Silins' Heerrufer hingegen ist kein Proklamationsautomat, sondern eine plastische Figur von vitaler Kraft. Muss man erwähnen, dass der Chor (Leitung: Eberhard Friedrich) hier immer unerreicht beseelt, agil, farbenreich und präzise singt?

Christian Thielemann hat mit dem Lohengrin-Dirigat seine zehnte Wagner-Oper in Bayreuth geleitet: Mehr geht nicht. Der Detailarbeiter setzt auf Agilität und schlanken Ton, manchmal (Vorspiel zum 3. Aufzug) leider zu sehr. Der irisierende A-Dur-Beginn gerät eilig, laut und hatte null Stimmung: Dirigent und Orchester agieren wie ein nervöser Reiter und ein zickiges Pferd.

Unnötige Fliegenflügel

Bühnenbild (bisschen Fritz Lang) und Kostüme (bisschen Van Dyck) ergeben ein märchenhaft malerisches Gesamtkunstwerk (geschaffen von Starmaler Neo Rauch und Rosa Loy) in "Delfter Kachelblau" (plus orangenem Brautgemach) und deuten den Lichtbringer Lohengrin in elektrifizierender Weise. Sollen die unnötigen Fliegenflügel der Brabanter eine ironische Replik auf Neuenfels' Ratten sein? Die Deutungsideen von Regisseur Yuval Sharon (als Ersatz für Alvis Hermanis) fesseln mehr die Protagonisten als das Publikum. Jubel. (Stefan Ender, 26.7.2018)