Wien – Die Zeiten haben sich geändert, und die Stimme von Joan Baez mit ihr. Der einst glockenhelle Sopran der Singer-Songwriterin und Aktivistin, der viele begeistert, aber auch manchen den Nerv gezogen hat, ist brüchig und dunkler geworden. Wie gut das der 77-Jährigen ansteht, lässt sich nicht nur auf dem formidablen aktuellen Studioalbum Whistle Down the Wind nachhören. Auch der erste von zwei ausverkauften Auftritten im Wiener Konzerthaus im Rahmen einer letzten großen Tournee zeigt: Diese Stimme mag an Umfang verloren haben, an Autorität hat sie gewonnen.

Charisma und Integrität: Joan Baez beim ersten von zwei Konzerten im Wiener Konzerthaus.
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Das gilt schon für den Opener, wenn Baez allein mit akustischer Gitarre im Lichtkegel steht und There But a Fortune anstimmt. Phil Ochs' berühmter Folksong mag geradezu exemplarisch den unverbrüchlichen Humanismus einer Unbeugsamen verkörpern.

Die dunkle Färbung, die Wehmut, die sich eingeschlichen hat, reichert auch die jüngeren Songs an. Etwa die ebenso spartanische wie berührende Version von Antony and the Johnsons' Another World, von dem Baez sagt, sie hätte es gerne selbst geschrieben. Oder Zoe Mulfords The President Sang Amazing Grace, das davon erzählt, wie US-Präsident Barack Obama 2015 seiner Sprachlosigkeit angesichts des Massakers von Charleston erst im Gesang Herr wurde. Und daran erinnert, wie wenig sich seitdem zum Besseren verändert hat. Auch Woody Guthries Deportees (Plane Wreck at Los Gatos) klingt angesichts der Flüchtlingskrise erschreckend aktuell.

Nur selten zapft Baez die Nostalgie-Potenziale ihrer langen Karriere an. Zwar erzählt sie zwischendurch von Woodstock, vom gemeinsamen Hubschrauberflug mit Janis Joplin und bringt Me and Bobby McGee. Auch dürfen Songs wie Imagine, das sie lachend unterbricht, The Boxer oder Donna, Donna im frenetisch umjubelten Zugabenblock nicht fehlen.

Der Mond ist aufgegangen

Aber im Gegenzug gibt es Matthias Claudius' auf Deutsch gesungenes Abendlied (Der Mond ist aufgegangen) zu hören. Oder das von Folklegende Pete Seeger in jungen Jahren gelernte Wake Up Wake Up Darlin' Corey, das die unheimliche Seite der Folk Music beschwört und ihren beiden Begleitern Gelegenheit gibt, ordentlich loszubrettern.

Vergangenheit sind die nasalen Dylan-Parodien. Lieder des einstigen Schützlings finden sich aber nach wie vor im Programm, ob Farewell Angelina oder It's All Over Now, Baby Blue, bei dem Baez der Versuchung nicht widerstehen kann, das Publikum zum Mitsingen zu animieren. Umso eindringlicher gerät Baez' eigenes, auf Dylan ("the unwashed phenomenon, the original vagabound") gemünztes Diamonds and Rust, das von Judas Priest gecovert wurde.

Eine nüchterne, völlig pathosfreie Darbietung von Times They Are A-Changin' leitet Baez mit ein paar Sätzen zu Bemühungen um bessere Waffengesetze ihres Heimatlandes ein. Von Betulichkeit aber auch hier keine Spur, dafür bei aller Wehmut viel Humor und Selbstironie in den Ansagen. Zum Schluss jede Menge Standing Ovations für eine Frau, die früh als Queen of Folk gefeiert wurde und sich nun als als integre wie charismatische Grande Dame von der Bühne verabschiedet. (Karl Gedlicka, 26.7.2018)