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Mesut Özil am Montag in Singapur, wo er mit seinem Klub Arsenal an einem Turnier teilnimmt.

Foto: International Champions Cup via AP

Schade eigentlich. Man könnte an dieser Stelle die gesellschaftliche Vorbildfunktion von Sportsuperstars diskutieren. Oder die Rolle von Recep Tayyip Erdoğan nach den Wahlen in der Türkei. Oder den künstlerischen Wert von Selfies. Oder wie naiv oder dumm das gemeinsame Foto der deutschen Kicker İlkay Gündoğan und Mesut Özil mit Erdoğan war. Man könnte auch die herausragende Nationalteamkarriere Özils Revue passieren lassen.

Denn Özil war – gemeinsam mit Manuel Neuer und Toni Kroos – einer der prägendsten Spieler der deutschen Nationalmannschaft der vergangenen zehn Jahre. Und da fallen immerhin ein WM-Titel und die Vormachtstellung im Weltfußball rein. In seinen 92 Länderspielen erzielte der Mittelfeldspieler 23 Tore und legte 33 Goals auf. Trotzdem wurde ihm immer wieder Abschlussschwäche diagnostiziert.

Bellen auf den Barrikaden

Özils Rücktritt vom deutschen Nationalteam ist dafür ein Volltreffer, eine Kreuzeck-Granate in den strukturellen Rassismus, der der ganzen Debatte von Beginn an zugrunde liegt. Erdoğan diente dabei auch als Anreiz, um die kläffenden Rassisten aus dem Keller auf die Barrikaden zu holen. Endlich konnte man in aller Deutlichkeit zeigen, wo der weiße Hase schon länger im Kreis läuft.

Ja, Özils Reflexion zu seiner Pose mit Streitfigur Erdoğan ist nicht nur ausbaufähig, sondern aufbaunotwendig. Seine Erklärungen sind schwammig, denn er vergisst, dass er sich damit in der Integrationsdiskussion stellvertretend in eine türkische Diaspora hievt, die der Person Erdoğan und seiner Politik völlig unkritisch, ja befeuernd zur Seite steht. Man hätte es sich denken können und müssen, hat Özil aber nicht. So verschwimmt die Diskussion, irgendwo zwischen Integration, Rassismus und Kritik am türkischen Staatsoberhaupt.

Um Erdoğan geht es aber vor allem auf den zweiten Blick. Vielmehr geht es um gekränkten Nationalstolz, eine beleidigt geführte Integrationsdebatte und um blanken Rassismus. Nicht weniger. Mit dem Foto zertrümmerten Özil und Gündoğan jene Integrationsluftschlösser, deren Fundament vielmehr Assimilation ist. Eine Assimilation, die getragen ist von dem Gedanken: "Wenn er hier ist und für uns kickt, hat er gefälligst angepasst, brav und deutsch zu sein."

Nachflattern

Özil prangert genau das in seiner Rücktrittserklärung in aller Deutlichkeit an. Er sei "Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Migrant, wenn wir verlieren", richtet sich Özil an DFB-Chef Reinhard Grindel. Das sitzt. Umso fataler wäre es, Özil das Recht abzusprechen, die Diskriminierung aufzuzeigen, anzuprangern und sich dagegen zu wehren. Schon nach dem peinlichen WM-Aus der deutschen Nationalelf geriet er in ein öffentliches Kreuzfeuer, das fernab seiner gar nicht so schwachen Leistung bei der Endrunde schoss. Auf Knopfdruck war Özil wieder Ausländer.

Wie man mit xenophoben Anfeindungen umgeht, hat die schwedische Nationalmannschaft während der WM wirkungsvoll gezeigt. Jimmy Durmaz, türkischstämmiger Schwede, wurde nach seinem Foul in der Nachspielzeit gegen Deutschland in sozialen Medien massiv rassistisch beschimpft. Daraufhin sammelte sich das schwedische Team, stellte sich hinter Durmaz und verlas eine Botschaft gegen Rassismus. Schwedens Sportministerin Annika Strandhäll trug im Parlament das Trikot von Durmaz.

Weiterreden

Özils Rücktritt verlangt Verantwortung. Verantwortung von der DFB-Spitze, Verantwortung von seinen ehemaligen Teamkollegen und Verantwortung der Gesellschaft, die sich Menschen mit Migrationshintergrund nicht so herrichten kann, wie es ihr gerade passt.

Dann kann man demnächst darüber diskutieren, dass Selfies mit Despoten skandalös sind. (Andreas Hagenauer, 23.7.2018)