Laut dem deutschen Verfassungsschutz gibt es in Deutschland 24.000 Personen mit rechtsextremem Potenzial.

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Berlin – Fällt das Urteil in einem Prozess – auch in einem spektakulären –, dann wird es meist ruhiger. Der Fall verschwindet wieder aus den Schlagzeilen, das Thema gerät in Vergessenheit. Doch beim NSU-Prozess ist es anders. Beate Zschäpe ist am 11. Juli als Mittäterin an den zehn Morden des NSU zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Bis sich der Bundesgerichtshof in der Revision erneut mit dem Fall befasst, wird noch eine Weile vergehen. Und dennoch, das Thema bleibt allgegenwärtig.

Ob sie den Frust der Angehörigen verstehen könne, wurde die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag bei ihrer traditionellen Sommerpressekonferenz gefragt. Merkel antwortete ausführlich, sprach vom Leid der Angehörigen, das auch ein Prozess nicht wiedergutmachen könne. "Das Kapitel kann noch nicht geschlossen werden", sagte sie dann. Die Familien der Opfer hätten "ein Recht darauf, dass die gesellschaftliche Diskussion, wie das passieren konnte, weitergeführt wird". Und sie sprach von einem "sehr dunklen Fleck in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland".

Bundesweit 12.700 gewaltbereite Rechte

Dass dieser noch längst nicht getilgt ist, wird sich auch am Dienstag wieder zeigen. Da präsentiert der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) den neuesten Bericht des Verfassungsschutzes. 12.700 gewaltbereite Rechtsextremisten wurden im Jahr 2017 bundesweit verzeichnet, 2016 waren es 12.100. Grundsätzlich geht der Verfassungsschutz in Deutschland von 24.000 Personen mit rechtsextremem Potenzial aus, ein Jahr davor waren es 23.100.

Immerhin ist die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten im vergangenen Jahr stark zurückgegangen. Laut der Funke Mediengruppe, die vorab aus dem Bericht zitierte, sanken Delikte mit Körperverletzungen um mehr als 30 Prozent. Die Zahl der Brandstiftungen, die mutmaßlich Rechtsextreme begangen haben, ging um mehr als 60 Prozent zurück, Gewalttaten gegen Asylunterkünfte sogar um mehr als 70 Prozent.

Konsequente Verurteilungspraxis

Erklärbar ist dies zum einen durch die geringere Zahl von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen. Zum anderen sieht der Verfassungsschutz als Grund für den Rückgang "vermutlich auch die konsequente Verurteilungspraxis vieler Gerichte bei entsprechenden Gewalttaten mit teils hohen Haftstrafen für die Täter".

Für Aufsehen sorgte vor allem der Prozess gegen die rechtsextreme Gruppe Freital. Im März verurteilte das Oberlandesgericht Dresden sieben Männer und eine Frau zu Haftstrafen zwischen vier und zehn Jahren. Der Gruppe wurden fünf im Jahr 2015 in Freital und Dresden (beides Sachsen) verübte Sprengstoffanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und politische Gegner zur Last gelegt. Verurteilt wurden sie wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung, Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen und versuchten Mordes.

"Klima der Angst und Repression"

Oberstaatsanwalt Jörn Hauschild von der Bundesanwaltschaft erklärte, der Gruppe sei es darum gegangen, "ein Klima der Angst und Repression" zu erzeugen. Ausländern wie politischen Gegnern (aus dem linken Spektrum) hätten sie "das Recht abgesprochen, in Frieden zu leben". Nur durch Zufall sei niemand getötet worden.

Nach dem Urteil zeigte er sich erleichtert und erklärte, vom Verfahren gehe "gewisse Signalwirkung" aus. Das galt allerdings erst ab dem Zeitpunkt, ab dem der Generalbundesanwalt eingegriffen und das Verfahren an sich gezogen hatte. Die sächsische Justiz hatte zunächst keine terroristische Vereinigung erkennen und die Sprengstoffanschläge vor dem Amtsgericht Dresden anklagen wollen.

Rechtsterroristische Oldschool Society

Haftstrafen von mehreren Jahren gab es im März 2017 auch für drei Männer und eine Frau – alle Mitglieder der zuvor verbotenen Oldschool Society, die via Facebook zum "Krieg gegen Asylanten und deren Unterstützer" aufgerufen hatte. Die rechtsterroristische Vereinigung wollte Sprengstoffanschläge auf Kindergärten, Schulen und den Kölner Dom verüben, um dies "Ausländern und Salafisten in die Schuhe zu schieben". Der NSU sollte im Vergleich als "Kindergarten" dastehen.

"Harte Strafen sind richtig und wichtig, denn der Staat muss Flagge zeigen", meint auch der Politologe und Extremismusforscher Hajo Funke. Er warnt davor zu glauben, dass sich Verbrechen, wie sie der NSU begangen hat, nicht wiederholen könnten."

Hetze gegen Muslime und Geflüchtete

"Der NSU ging aus der Mischung von rechtsextremen, gewaltbereiten Strukturen und der Entfesselung rechtspopulistischer Ressentiments in den Neunzigerjahren hervor", sagt er und verweist auf die AfD, die die politische Debatte in Deutschland verschärft habe: "Sie hetzt gegen Muslime und Geflüchtete."

Auch Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen warnt davor, nach Ende des NSU-Prozesses Entwarnung zu geben, und sagt über die rechtsextremistische Szene in Deutschland: "Sinkende Gewaltzahlen dürfen nicht über das anhaltend hohe Gefährdungspotenzial hinwegtäuschen." (Birgit Baumann aus Berlin, 23.7.2018)