Junckers Bussi-Bussi-Politik mit der Rüstungsindustrie zeigt den Doppelstandard der EU-Kommission auf.

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Alle Jahre wieder – der Jahresausgleich. Wer Steuern sparen will, bezahlt einen Steuerberater. Für die Kleinen oft ein Nullsummenspiel. Wer wirklich fette Steuern zahlen sollte und vermeiden will, wendet sich an einen der "Big Four". Das sind die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Deloitte, Ernst & Young (EY), KPMG und Pricewaterhouse Coopers (PwC). Dabei haben sie eigentlich einen relevanten Gegner: die EU-Kommission, die Steuervermeidung in die Schranken weisen will. Für ihre Kunden bieten die "Big Four" ein Sonderservice und sind dabei erschreckend erfolgreich, wie eine Studie der NGO Corporate Europe Observatory (CEO) darlegt.

Steuergeschenke

Am leichtesten kann man sich an Regeln und Gesetze halten, wenn man mit am Tisch sitzt, wenn sie auf Papier gebracht werden. Und da kommen die "Big Four" ins Spiel. Trotz wirtschaftlichen Eigeninteresses erhalten sie von der EU-Kommission millionenschwere Aufträge, erstellen Studien, beraten und sitzen in zahlreichen Lobbyverbänden. Informell und im Schatten der Öffentlichkeit werden sie im Handumdrehen zu neutralen Beratern der EU. Und lassen sich dafür zweifach fürstlich entlohnen. Einerseits von der EU-Kommission, die eigentlich Steuern zur Finanzierung wichtiger Aufgaben braucht, und andererseits von ihren Kunden, die haargenau das Gegenteil wollen. Nach Adam Riese: ein Interessenkonflikt. Ist das legal? Ja. Ist es legitim und gerecht? Keinesfalls.

Während man selbst mühsam finanzielle Krümel für Arbeitskleidung, Gewerkschafts- und Kirchenbeiträge oder Reisekosten von der Steuer abzusetzen wünscht, werden die fetten Brocken im Schonwaschgang gespült. Einer der Tricks: der Drehtüreffekt. EU-Politiker, EU-Beamte und Referenten wechseln zu den "Big Four" und umgekehrt. Die CEO-Studie attestiert "eine gemeinsame Kultur und Weltanschauung".

Rüstungsgeschenke

Das Problem liegt im System. Das Prinzip, dass privatwirtschaftliche Interessen EU-Regeln beeinflussen und daraus kräftigen Profit schlagen, ist kein Unikat aus dem Steuerbereich. Die EU-Kommission will mit dem European Defence Fund "mithelfen, dass das Geld der Steuerzahler effizienter ausgegeben wird". Das Ziel: eine EU-Rüstungsindustrie. Das Instrument: EU-Gelder und nationales Geld werden in die EU-Rüstungskonzerne gepumpt. Allein nur beim Rüstungsfonds geht es um 13 Milliarden Euro für den kommenden Haushalt – mit Beiträgen der Nationalstaaten sogar um knapp 50 Milliarden Euro. Die Generäle jubeln.

Die EU-Kommission ließ sich in ihrer ersten Ausschreibung für Rüstungsprojekte von einer "Group of Personalities" beraten. Von den 16 Mitgliedern waren neun Firmenvertreter – darunter Airbus, Saab, die Rüstungskonzerne BAE und MBDA und die Informationstechnologiekonzerne Indra und die heutige Leonardo (ehemals Finmeccanica). Die neue Expertengruppe verletzt eigene Transparenzregeln, und allgemein steht das EU-Rüstungsbudget auf einem rechtlich höchst fragwürdigen Fundament.

Interessenkonflikte von Rüstungsberatung, Rüstungserforschung und Rüstungsentwicklung sind gegenwärtig Teil der DNA der EU-Rüstungspolitik. Die Strukturen des militärisch-industriellen Komplexes einiger Mitgliedsstaaten marschieren auf EU-Ebene ein. Mit der ständigen EU-Militärkooperation Pesco wird die "Verpflichtung" formuliert, eine "regelmäßige reale Aufstockung der Verteidigungshaushalte" vorzunehmen. Die Rüstungspolitik der EU-Kommission ist eine humanitäre Intervention: nämlich zur Rettung der Rüstungsindustrie. Ein Friedensprojekt EU sieht jedenfalls anders aus.

Stinkender Fisch

Eigentlich will die EU Steuervermeidung eindämmen. Kapital – so das gängige und zweifelhafte Argument – sei ein scheues Reh und flüchte beim leisesten Geräusch. Ein Staat allein hat wenige Möglichkeiten. Hier kommt der Mehrwert der EU in Spiel, und alle 28 ziehen an einem Strang. Doch der Fisch stinkt vom Kopf her. In einem nicht unwesentlichen Maße geben die Konzerne den Ton an. Abseits aller Debatten über die Verwendung und Sinnhaftigkeit von Steuern und Rüstung ist die Einhaltung selbst aufgestellter EU-Transparenzregeln ein absoluter Mindeststandard.

Die Union verspricht Handeln als Solidargemeinschaft und hat den Friedensnobelpreis angenommen. Will sie nicht an doppelten Standards scheitern – Wasser predigen und Wein trinken –, so muss sie international solidarisch und mit friedlichen Mitteln zusammenarbeiten. Nämlich so, dass alle am Kuchen mitbacken und auch alle ein Stück davon bekommen. (Thomas Roithner, 23.7.2018)