Länder wie China haben bisher von dem Müll profitiert, weil sie die Materialien für die Industrie verwenden konnten. Allerdings können sich mit dem Müll auch viele gesundheitliche und ökologische Probleme ergeben.

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Es ist ein trostloser Anblick: Auf der braunen, trockenen Erde liegen Reifen, stehen eingedellte und zerkratzte Autos aller Marken: Audi, VW, Peugeot und viele andere. Sie alle haben ihre Glanzzeiten bereits hinter sich, haben zwanzig Jahre oder mehr auf der Blechhaube. Für Österreichs Straßen sind sie nicht mehr zu gebrauchen, für andere Teile der Welt jedoch noch durchwegs einsatzfähig: wenn nicht als ganze Autos, so zumindest in ihren Einzelteilen. Deswegen schrauben einige Männer auf dem Platz in Hagenbrunn im Norden Wiens an den Wägen herum, versuchen zu richten, was zu richten ist, und verkaufen die Autos und Autoteile nach Osteuropa oder Afrika.

Die dubiosen Werkstätten und Autohändler sind den Gemeinden an den Rändern Wiens seit Jahren ein Dorn im Auge. Die Polizei versucht die Händler in Schach zu halten und den Export einzudämmen. Denn das Geschäft ist illegal, weil die behandelten Autos meist "Altfahrzeuge" sind und deshalb nicht ins Ausland verkauft werden dürften.

Und doch sind die Werkstätten ein Inbegriff für etwas Weitreichenderes: die internationalen Wege und Geschäftsfelder des Mülls. Sowohl legal als auch illegal, Abfall wird heute in großen Mengen über die Grenzen transportiert; er ist Problemstoff, Handelsgut und lukratives Geschäftsmodell zugleich.

Österreich nimmt und gibt Müll

Österreich ist Teil dieses globalen Müll-Netzwerks. 2016 wurden in Österreich laut Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus rund 60 Millionen Tonnen Abfall produziert, von denen rund 934.900 Tonnen exportiert und mit 806.200 Tonnen fast ebenso viel Müll importiert wurde. Zielländer für den Export sind meist die Nachbarländer: 44 Prozent des exportierten Mülls gelangt nach Deutschland, 19 Prozent in die Slowakei, 14 Prozent nach Tschechien. Importiert wird Müll ebenfalls vor allem aus Deutschland mit rund 39 Prozent, gefolgt von Italien mit 28 Prozent und Slowenien mit rund 19 Prozent.

Beispiel Italien: Bis Ende 2017 exportierte das Land ein Jahr lang den Hausmüll seiner Hauptstadt in die Müllverbrennungsanlage Dürnrohr in Niederösterreich. Insgesamt 70.000 Tonnen kamen dort mit dem Zug aus Rom an. Das löste auch innenpolitischen Zank aus: "Österreich darf nicht die Müllkippe Italiens werden", wetterten etwa die Grünen. Was schnell übersehen wird: Österreich leistete seinem Nachbarn nicht einfach einen netten Gefallen, sondern profitierte selbst von dem Deal: Der römische Entsorgungsbetrieb zahlte mehr als 130 Euro pro Tonne Müll an Dürnrohr. Und mit dem dort aus der Verbrennung des Abfalls erzeugten Strom werden 170.000 Haushalte in der Region versorgt.

Fest steht: Müll ist kein starrer Markt, sondern richtet sich nach Angebot und Nachfrage. So gelangt etwa in Europa viel Abfall von Großbritannien in die Niederlande und nach Deutschland, weil das Land selbst nicht genügend Verbrennungskapazitäten aufweist. Das wiederum führt zu Engpässen bei deutschen Anlagen, weshalb mehr Müll von Deutschland nach Österreich oder in osteuropäische Länder transportiert werden muss. Wenn keine geeignete Entsorgungsmöglichkeit im eigenen Land besteht oder die Entsorgung in einem anderen Land besser erledigt werden kann, ist der Export gerechtfertigt und sinnvoll, so die Theorie.

Die Wege des Plastiks

Der Markt geht weit über Europa hinaus. Kaum ein anderer Stoff ist so rasant gewachsen wie Kunststoff: In Europa fallen jedes Jahr rund 26 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle allein in Haushalten an, ein beträchtlicher Teil davon gelangt ins außereuropäische Ausland. Hauptimporteur war bisher China: Mehr als sieben Millionen Tonnen des weltweit transportierten Plastikmülls landete 2016 in dem Land, wie es in einer Studie von US-Forschern im Fachjournal Science Advances heißt. Weil der Plastikmüll nach Regierungsangaben zu Umweltproblemen führt und China selbst immer mehr Plastikmüll im eigenen Land produzierte, verhängte das Land Anfang des Jahres einen Importstopp.

Länder, die bisher schon Schwierigkeiten hatten, mit ihrem Plastikmüll umzugehen, müssen sich seither nach neuen Absatz- und Entsorgungsmöglichkeiten umsehen. Das könnte vor allem in Entwicklungsländern verstärkt zu Umweltproblemen führen, heißt es von den Forschern. Aber auch aus Deutschland gelangten jedes Jahr mehr als 750.000 Tonnen Plastikabfall nach China. Zwar will die EU schrittweise die Recycling-Quoten erhöhen, der meiste Plastikmüll in der EU wird aber weiterhin "thermisch verwertet" – das heißt, verbrannt – oder gelangt auf Deponien. Weltweit wurden bisher nur rund neun Prozent des jemals entstandenen Plastikmülls recycelt, das meiste befinde sich als Müll in der Natur, bestenfalls noch auf Deponien, schreiben US-Forscher in einer Studie aus dem Jahr 2017 in Science Advances.

Vom Müll der anderen profitieren

Aus den Augen, aus dem Sinn – so könnte die Devise lauten. Müll bahnt sich eben seinen Weg: Anstatt China könnten Kunststoffe aus Deutschland und anderen Ländern Europas nun vermehrt nach Indonesien, Vietnam oder Malaysia gelangen, heißt es vom deutschen Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung.

Für die importierenden Länder hat das einige Vorteile: Denn sie profitieren vom Müll der anderen, indem sie Granulate herstellen, die weiterverkauft werden oder als neue Baustoffe für die Industrie dienen können. Allerdings können sich auch gravierende gesundheitliche und ökologische Probleme ergeben, warnen Forscher – vor allem dann, wenn die Löhne und Umweltauflagen gering sind, Geräte händisch zerlegt und gefährliche Substanzen in den Boden geleitet werden.

Rechtliche Grundlage für die Kontrolle über den Transport gefährlicher Abfälle bildet das Basler Übereinkommen aus dem Jahr 1989, dem mittlerweile 186 Staaten beigetreten sind. Eine zentrale Frage darin: Ab wann ist Müll eigentlich Müll? Die Frage klingt banal, an ihr spießt sich aber so einiges. So können Elektronikgeräte als Abfall gelten, wenn Teile fehlen oder physische Schäden bestehen, die mit einem Reparaturaufwand nicht zu rechtfertigen sind, heißt es in dem Abkommen. Ein Handy gilt als Abfall, wenn es sich nicht mehr einschalten oder laden lässt oder Lautsprecher und Mikrofon defekt sind.

Abfall statt Gebrauchtgegenstand

Häufig werden Elektrogeräte allerdings nicht als Abfall, sondern als Gebrauchtgegenstände deklariert und nach Afrika verkauft, wo sie nach kurzer Lebensspanne im wahrsten Sinne des Wortes am Straßenrand landen, wie es in einem Bericht des Fachmagazins Nature aus dem Jahr 2016 heißt. Für eine Studie der NGO Basel Action Networks wurden mehr als 205 Elektroaltgeräte in den USA mit GPS-Signalen ausgestattet, von denen mehr als ein Drittel ins Ausland und dort fast ausschließlich in Entwicklungsländer wanderte.

Auch im Fall der dubiosen Autohändler Wiens ist die Praxis eine andere: Von 250.000 Fahrzeugen, die 2015 in Österreich abgemeldet wurden, landete nur ein Fünftel bei ordnungsgemäßen Recyclern, heißt es vom österreichischen Fahrzeughandel. Der Rest dürfte "den Weg ins Ausland gefunden haben".

Was den legalen Müllhandel betrifft, könnten sich Betriebe in Zeiten des steigenden Protektionismus in den USA und China ohnehin schon bald umstellen, heißt es von Verwertungsunternehmen. Wird weniger Müll exportiert, könnten davon die heimischen Verwerter profitieren, weil sie sozusagen aus mehr Müll aussuchen können, während die Sammelunternehmen mehr für die Entsorgung ausgeben müssen.

Vieles spricht dafür, dass die Recycler in Zukunft eher mehr als weniger zu tun haben: In Österreich sind die Abfälle aus Privathaushalten in den vergangenen sieben Jahren um weitere zehn Prozent gestiegen. (Jakob Pallinger, 20.7.2018)