Seit Beginn des Jahres veranstalten "Gamer" in Südkorea dort eine regelrechte Online-"Inquisition" gegen Entwicklerinnen, die sich als Feministinnen "geoutet" haben.

Foto: EA

Das Wort "Fan" kommt von "fanatisch" – und auch wenn der negative Beigeschmack, der mit dieser Abstammung einhergeht, im normalen Gebrauch meistens nicht mitschwingt, bekommt man ihn gerade in Zeiten des Internets nicht mehr aus dem Kopf. "Fans" sind längst nicht mehr jene dankbaren ausschließlichen Konsumenten, die "ihre" Filme, Musik oder Spiele verehren und – vor allem – als treue Kunden kaufen.

2018, in einer zunehmend online diskutierenden Gesellschaft, sind die Fans auch eine direkte Macht, die sich mit großem Selbstbewusstsein – und allerlei Tricks – wieder und wieder lautstark zu Wort meldet und Einfluss geltend machen will. Nicht selten im Kommandoton – und immer öfter zum Schrecken der Industrien, um deren Produkte sich die forsch auftretenden Konsumentengruppen scharen. Der Kunde ist König – mit diesem Schlachtruf stellt sich so manches Fantum auch gegen die Macher der jeweiligen Kulturprodukte.

Kein Blockbuster ohne Backlash

Dieses Selbstbewusstsein der Fans zeigte sich in den letzten Jahren vor allem dann, wenn die Macher von Comics, Filmen oder Spielen unpopuläre Entscheidungen in populären Franchises trafen – sei es die rein weibliche Besetzung des Remakes von "Ghostbusters", das umstrittene Ende der "Mass Effect"-Trilogie oder ein weiblicher Thor in der Marvel-Comics-Reihe. Und natürlich: "The Last Jedi", ein EIntrag ins "Star Wars"-Universum, der manchen "Fans" so sauer aufstieß, dass sie mit viel Getöse zum Boykott aufriefen – ohne nennenswerte Auswirkung auf den tatsächlichen Erfolg des Films.

Dass ein Aufbranden von Fan-Empörung gegen die Monetisierung eines hoffnungsfrohen Blockbusters wie "Star Wars: Battlefront 2" sogar zu – wenn auch nur temporären – Änderungen am Produkt führt, mag man als "sauberen" Erfolg von Konsumentenprotest feiern – die schon deprimierend verlässlich erfolgenden Morddrohungen gegen die Entwickler hätte es aber wie üblich eigentlich auch nicht unbedingt gebraucht.

Empörung ist ein Grundrauschen im Zeitalter von Social Media, und wo viel Herzblut investiert wurde, fällt diese Empörung noch emotionaler aus. Es schmerzt, wenn etwas, das man liebt und gewissermaßen für sein "Eigentum" hält, schlecht behandelt wird – eine verständliche Reaktion. Dass die Mobilisierungsmacht des Internets auch in der Popkultur allerdings zunehmend politisiert wird, ist ein unangenehmer Nebeneffekt, der sich kaum mehr ignorieren lässt.

Revoltierende Konsumenten

Egal, wie man die Auswirkungen der 2014 die Games-Welt heimsuchenden "Konsumentenrevolte" GamerGate beurteilen mag, in einer Hinsicht war dieser "Aufstand" folgenreich: als früher Beweis, dass sich mit in Internetforen stramm organisierten Kampagnen auch in der realen Welt Einfluss nehmen lässt.

Denn in seiner Folge tobt ein durchaus gesellschaftspolitisch gemeinter Kulturkrieg. Aus der von vielen sicher ernst gemeinten Forderung nach "ethics in games journalism" ließen sich Strategien und Salami-Taktiken für den Online-Kampf gegen andere vermeintliche und tatsächliche liberale "Feinde" ableiten und übernehmen, vom Kampf gegen ein zu "linkes" Science-Fiction-Establishment in "PuppyGate" über die Trolltaktiken der Alt-Right bis hin zu neurechten Troll-Netzwerken wie Reconquista Germanica. Die Nerd-Fankultur hat die neuen rechten Kulturkrieger entweder selbst hervorgebracht oder wurde zum Teil von diesen Ideologien kooptiert.

Online-Hexenjagden

Dieser Schlagseite ist es auch zu verdanken, dass sich der Zorn der Fans – auch solcher, die sich selbst nicht irgendeiner Ideologie zugehörig fühlen – ermüdend oft über dieselben Feindbilder entlädt: Dass sich aktuell, im Gefolge der Aufregung um ArenaNet, zunehmend Kampagnen gegen Frauen in der Games-Industrie zeigen, ist kein Zufall, sondern geschickt und von einschlägigen Foren und Boards mit viel Erfahrung koordiniert. Gut, dass inzwischen einige Studios daran arbeiten, ihre diesbezügliche Firmenpolitik zu überarbeiten, um ihre Mitarbeiter zu schützen.

Ein Blick auf den sechstgrößten Spielemarkt der Welt zeigt übrigens, in welche Richtung diese Kampagnen abzielen: Seit Beginn des Jahres veranstalten "Gamer" in Südkorea dort eine regelrechte Online-"Inquisition" gegen Entwicklerinnen, die sich als Feministinnen "geoutet" haben. Die Social-Media-Profile weiblicher Mitarbeiterinnen der Videospielbranche werden gezielt durchkämmt, um durch öffentlichen Druck und Boykottdrohungen die Firmen zu "Disziplinierungen" zu zwingen. Der Grund: öffentliche Sympathiebekundungen für Frauenrechtsbewegungen und "Diskriminierung" – gegen Männer.

Beleidigte Gamer

"Insulting gamers", also das Beleidigen von "Gamern", warfen denn auch die Initiatoren einer inzwischen gelöschten Change-Petition der Entwicklerin Hazel Monforton vor – das Studio Arkane sollte damit unter Druck gesetzt werden, die Entwicklerin zu feuern. Nur ein Beispiel einer soeben anrollenden neuen Runde im Online-Kampf gegen vor allem weibliche Entwicklerinnen, die als aufmüpfig gebrandmarkt und gegen die – online konzertierte – Kampagnen vom Stapel gelassen werden.

Neu ist das alles nicht – dieselben Taktiken werden seit Jahren, seit der Organisation von GamerGate auf Reddit und 4chan/8chan, zum Einsatz gebracht. Jeder in der Industrie, der sich öffentlich den Zorn rechtschaffener "Fans" zugezogen hat, muss damit rechnen, bei kleinsten Anlässen mit heftig überzogenen Vorwurfskampagnen zugedeckt zu werden, um seinen Arbeitgeber unter Druck zu setzen.

Auch hier trifft es nicht nur, aber besonders oft Frauen: Dass Allison Rapp 2016 von ihrem Arbeitgeber Nintendo gefeuert wurde war ebenso das Resultat konzertierter Online-Kampagnen wie die Kündigungen von Randi Harper oder Dina Abou Karam – um willkürlich weitere Beispiele zu nennen. An den schrillen Vorwürfen, die gegen diese und andere Frauen erhoben wurden, ist zwar nichts Handfestes – Dreck bleibt, so das Kalkül, bei derart lauten Schlammschlachten aber garantiert auch am Arbeitgeber kleben.

Als prominentes männliches "Opfer" eines Fan-Backlashs soll allerdings Adam Orth nicht ungenannt bleiben – der Creative-Chef von Microsoft hat sich 2013 mit einem großspurigen "Deal with it" zuerst in Millionen spöttische Memes und damit ins Business-Nirvana geschossen. Eine Kampagne brauchte es damals dafür allerdings dem allgemeinen Wissensstand zufolge nicht.

Dein Fan, dein Feind

Dass das Verhältnis zwischen Spielerschaft und Industrie oft von Spannungen und sogar Angst geprägt ist, hat Anfang des Jahres der australische Studiochef Morgan Jaffit in einem Kommentar ausgesprochen: Eine winzige, aber umso lautere, gut vernetzte und oft gemeinsam auftretende Minderheit von Spielern schreckt vor wüsten Beleidigungen, konzertierten Review-Bombings, aber auch Drohungen nicht zurück – das fordere auf Dauer seinen psychischen Tribut von allen Entwicklern.

Der US-Entwickler Charles Randall hat bereits letzten Herbst auf Twitter ausgesprochen, was indirekt nun Jessica Price den Job gekostet hat: Spielentwickler scheuen vor der unangenehmen, oft besserwisserischen oder sogar toxischen Interaktion mit den "Fans" ihrer Spiele zurück. "Die Foren und Kommentarspalten sind voll von Dunning-Kruger-Spezialisten, die nur darauf warten, sich auf einen echten Entwickler zu stürzen. … Jeder Dev, der offen über die Schwierigkeit [der Spielentwicklung] spricht, löst sofort eine ganze Welle von Leuten aus, die seine Qualifikation in Frage stellen. Und ‘in Frage stellen’ ist hier ein absurder Euphemismus für ‘zum Ziel einer ganzen Gruppe von Gamern für Belästigung oder Schlimmeres werden’."

Mehr Gelassenheit

Die Welt ist oft ein gemeiner Ort, und die Welt der Social Media und Kommentarforen noch mehr. Nur: Muss das so sein? Es ist verständlich, dass sich emotional involvierte Fans mit dem Objekt ihrer Liebe identifizieren – doch die Verbissenheit und auch Gemeinheit, mit der von mancher Seite just gegen die Schöpfer dieser Produkte gekämpft wird, stellt diese Zuneigung in kein gutes Licht.

Gerade in Zeiten groß angelegter Manipulationskampagnen, in denen unter Umständen sogar demokratische Wahlen, Volksentscheide und das gesellschaftliche Klima von hochtechnisierten Troll-Armeen beeinflusst werden, wäre es vielleicht an der Zeit, die neu entdeckte und verführerische Macht als Konsument verantwortungsvoller zu nutzen und vielleicht auch zu hinterfragen, ob man sich mit seinem Einsatz nicht ungewollt selbst zum Werkzeug gut organisierter ideologischer Hintermänner macht.

Wer seinen Unmut tatsächlich artikulieren will, braucht im Normalfall eigentlich nur eines nicht tun: zur Geldbörse greifen. Denn wer lauthals schimpft, das wussten schon die Händler auf den allerersten Basaren, kauft meistens auch. Weniger Fanatismus und mehr Gelassenheit würden der Gegenwart in vielerlei Hinsicht gut tun – nicht nur bei Videospielen. (Rainer Sigl, 29.07.2018)