Das Hauptquartier der Welthandelsorganisation in Genf wird für einen hohen Besucher herausgeputzt.

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Man ist es ja schon gewohnt, dass der amtierende US-Präsident Donald Trump auf alles und jeden einprügelt, was auch nur den Anschein von Multilateralismus hat. So überrascht auch seine Behauptung nicht, wonach die Welthandelsorganisation (WTO) die USA "sehr schlecht behandelt" habe. Trotzdem sollten die Pöbeleien nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Ist doch die WTO quasi die letzte Instanz – manche sprechen bereits von der letzten Bastion – eines auf festen Regeln basierenden Welthandels.

Objektiv ist es kaum vorstellbar, dass die USA durch das bestehende Regelwerk tatsächlich benachteiligt werden könnten. Das Allgemeine Zollabkommen (Gatt), auf dem die WTO basiert, ist Teil jener Institutionen, die nach 1945 errichtet wurden, um die Welt sicherer zu machen. Die zentralen Elemente und Regeln sind dezidiert im Interesse der USA. Das als Handelsbösewicht gebrandmarkte China ist etwa erst seit 2001 WTO-Mitglied und hatte gar keine Möglichkeit, hier zu seinen Gunsten mitzugestalten.

Selbst der von Trump vermittelte Eindruck, die USA würden etwa bei Zöllen auf Autoimporte übervorteilt, täuscht. Es stimmt zwar, dass die EU-Zölle grundsätzlich höher sind als jene der USA. Doch das führt keineswegs zu einer Benachteiligung, da die geltenden Zollsätze das Ergebnis eines 1995 verabschiedeten Verhandlungspakets sind, bei dem den USA andere Themen als simple Warenzölle extrem wichtig waren. Damit erklärt sich aber auch das ominöse Defizit beim Warenhandel: Dafür gibt es enorme US-Überschüsse im Handel mit Dienstleistungen (Stichwort Facebook oder etwa Google) sowie beim Schutz geistiger Eigentumsrechte.

Trump behauptet auch, dass das Streitbeilegungssystem der WTO – wo auch noch der kleinste Mitgliedsstaat klagen kann – die USA "schlecht behandelt". Besonders die Entscheidungen des Berufungsgerichts (WTO Appellate Body) sind ihm ein Dorn im Auge. Tatsächlich haben die USA bisher 83 Prozent aller Klagen gewonnen, die sie eingereicht haben, und in 75 Prozent der Fälle verloren, in denen sie geklagt wurden. Eine Benachteiligung ist daraus nicht ablesbar. Eher sind die Zahlen ein Beleg dafür, dass man mit aussichtslosen Klagen, die als reine Drohkulisse fungieren, nicht reüssiert. Vielleicht liegt ja auch darin die Abneigung Trumps: Die WTO lässt sich schlecht als Druckmittel einsetzen.

Die USA drängen jedenfalls auf eine Reform dieses Streitbeilegungsverfahrens und streben offensichtlich einen Rückschritt in die Vor-WTO-Zeit an, als bei Streitbeilegungsprozessen noch die jeweiligen Staaten politisch-diplomatisch das Sagen hatten und unabhängige Richter nicht so wichtig waren. Und wie es scheint, spielt die Zeit für die USA. Sie blockieren nämlich äußerst geschickt die laufenden Nominierungsverfahren zur Nachbesetzung vakanter Richterstellen.

Richterschwund

Das WTO-Berufungsgericht besteht aus sieben Teilzeitrichtern, wobei die Sitze nach einem regionalen Verteilungsschlüssel besetzt werden. USA und EU haben einen festen Anspruch auf je einen Sitz. Aktuell sind bereits die Richterstühle aus Lateinamerika, Asien und Europa unbesetzt. Im Lauf des Jahres endet auch die erste Amtszeit des afrikanischen Richters. Da die Bestätigung für eine zweite Amtszeit nur durch Konsens aller WTO-Mitglieder erfolgen kann, ist zu befürchten, dass nur noch drei Richter übrig bleiben. Ende 2019 droht dann die endgültige Lahmlegung, da zwei weitere Amtszeiten auslaufen. Mit einer verbleibenden Richterin wäre das WTO-Berufungsgericht nicht mehr funktionsfähig, da es für jeden Handelsdisput zumindest drei Richter braucht.

Somit würden sich schon in naher Zukunft keine weiteren WTO-Streitfälle abschließend klären lassen. Es entfiele auch eine weitere Funktion des Berufungsgerichts, nämlich die als Instrument der Rechtsauslegung, mit der geltendes WTO-Recht ansatzweise weiterentwickelt wurde. Damit schließt sich auch wieder der Kreis zur aktuellen Situation, denn damit könnte etwa die von den USA vorgebrachte Rechtfertigung für ihre Zollerhöhungen bei Stahl und Aluminium – nämlich die WTO-Ausnahmeregelung zum Schutz nationaler Sicherheiten gemäß Artikel XXI Gatt – nicht mehr auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden.

Wenn Fakten sowie ökonomische und rechtliche Überlegungen nicht mehr reichen, bleibt die Frage nach Alternativen. Sie könnten im Angebot einer weiteren, massiven und weltweiten Zollsenkungsrunde im Gegenzug für die Anerkennung der WTO liegen. Oder man taucht durch und hofft, dass Trump 2020 einfach nicht wiedergewählt wird. (Stefan Brocza, 18.7.2018)