"C, wo bist du geblieben?", schrieb Norbert Blüm vor kurzem in der Süddeutschen Zeitung. Blüm war deutscher Sozialminister, christdemokratisches Urgestein und Mitbegründer der CDU. Und mit C meinte er das Christliche im Parteinamen Christlich-Demokratische Union. Die ÖVP führt das C nicht im Namen, aber auch sie gehört zur christdemokratischen Parteienfamilie in Europa. Und auch in der von ihr geführten Regierung sucht man den C-Faktor vergeblich.

Es sieht so aus, als hätten sich die Koalitionäre die Arbeit säuberlich geteilt: Die ÖVP ist für alles zuständig, was mit Europa und mit Wirtschaft zusammenhängt. Und die FPÖ hat dafür freie Hand in der Ausländerfrage. Dort kann sie sich ungehindert austoben. Man merkt das nicht zuletzt an der Sprache, die sich, auch in manchen Medien, zunehmend in Richtung Unmenschlichkeit verändert.

"Asylanten" soll man "konzentrieren" (Konzentrationslager?). Man soll sie "lagern" (wie Kartoffelsäcke). "Stapeln" (wie Bierkisten). "Halten" (wie Kaninchen). Menschen, die nach Europa kommen, sind "Ströme", "Wellen", manchmal auch "Horden". Naturkatastrophen, gegen die man Barrieren braucht, oder auch feindliche Heerscharen, gegen die man sich wappnen und die man bekämpfen muss. Mit möglichst viel martialischem Begleitgetöse. Das große Polizei- und Bundesheermanöver an der Südgrenze sah aus wie die Generalprobe für die Abwehrschlacht gegen eine Invasion. Und als die europäischen Innenminister einander neulich in Innsbruck trafen, glich die Stadt einer Festung. Ausländische Journalisten nannten das Aufgebot "bedrohlich", "gefährlich", "unheilverkündend" oder auch, mangels jeglicher realer Bedrohung, "lächerlich". Immer öfter werden gut integrierte Leute abgeschoben, darunter Lehrlinge, die von ihren Betrieben dringend gebraucht werden. Eine junge Syrerin, aus Italien eingereist, wurde ihrem Ehemann entrissen und gewaltsam dorthin verfrachtet. Im Ausland wird Österreich nun beinahe routinemäßig in einem Atemzug mit Orbáns Ungarn und Salvinis Italien genannt.

Sollen wir uns an all das gewöhnen? Können Kickl und Co machen, was sie wollen, ohne dass der Regierungschef Stopp sagt? Die ÖVP wurde 1945 im Wiener Schottenstift, einem Benediktinerkloster, gegründet. In ihren Leitsätzen ist davon die Rede, den dauernden Bestand der Demokratie und deren Verteidigung gegen antidemokratische Kräfte zu sichern. Wo sind die ÖVP-Granden, die diese Grundsätze einfordern? Es gibt Widerstand mancher Länder gegen türkisen Zentralismus und das neue Arbeitszeitgesetz. Aber nicht gegen die Ausländerpolitik. Man ahnt, dass es Menschen wie Heinrich Neisser, Erhard Busek oder Franz Fischler nicht gefallen kann, was derzeit alles möglich ist.

Und man versteht auch, dass pensionierte Altpolitiker zögern, einem populären jungen Bundeskanzler Lehren zu erteilen. Aber trotzdem wird es allmählich unabdingbar, dass gestandene Konservative den Mund aufmachen und sagen: Leute, so geht's nicht. Andernfalls muss eine historische Partei wie die ÖVP trotz des Beifalls der Boulevardmedien sich damit abfinden, dass sie bei wichtigen Kernschichten ihren Kredit verliert. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 18.7.2018)