Die Geologin und Höhlenforscherin Gina Elaine Moseley
Foto: Robbie Shone

Im Sommer 2015 machte sich Gina Moseley auf in den Nordosten Grönlands – mehr oder weniger auf eigene Faust. Die Geologin und Höhlenforscherin ließ sich – Hubschrauber waren für die selbstorganisierte Expedition zu teuer – mit Forschungskollegen zu einer kleinen Landebahn am 80. Breitengrad bringen. Die Gruppe setzte mit einem aufblasbaren Boot über einen mehr als 20 Kilometer langen See und marschierte drei Tage lang an einen Ort, den Moseley nur von einem alten Wissenschaftsartikel aus den 1960er- Jahren kannte. Darin war von zwölf Höhlen die Rede, in denen sich zum Teil auch Sinterablagerungen, sogenannter Flowstone, befinden sollten. Sie entstehen, wenn über lange Zeit ein dünner Wasserfilm über Wände und Böden einer Höhle fließt.

Auf sie hatte es die Britin, die nach ihrem Studium in Bristol und Birmingham 2011 für eine Postdoc-Stelle an das Institut für Geologie der Uni Innsbruck kam, abgesehen. Denn diese Steine – sie gehören wie Stalagmiten und Stalaktiten zu den sogenannten Speläothemen – sind ein ausgezeichnetes Klimaarchiv: Das heißt, dass mit entsprechenden Analysen Daten zu Wärme- und Kältephasen, die hundertausende Jahre in der Vergangenheit liegen, gewonnen werden können. Diese Erkenntnisse helfen, das Klimasystem der Erde besser zu verstehen und Prognosen für den aktuellen Klimawandel abzuleiten.

Expedition in die Tiefen der Klimageschichte: 2015 machte sich die Geologin Gina Moseley auf eigene Faust auf den Weg in die Arktis, nun kehrt sie dorthin zurück.
Foto: Robbie Shone

Die Untersuchung der Höhlenminerale ergänzt eine Reihe weiterer Methoden, die in das Klima der Vergangenheit blicken lassen. Neben Sedimentanalysen von Meeres- und Seeböden gehören vor allem Eisbohrkerne dazu. Letztere lassen einen Blick in jene Zeit zu, in der die damit hervorgeholten tiefliegenden Eisschichten entstanden.

Auf den Gletschern der Alpen kann man so tausende Jahre zurückblicken, in den tausende Meter tiefen Bohrungen der Arktis mehr als 120.000 Jahre – und ein 2015 aus dem Eis der Antarktis geholter Bohrkern soll 900.000 Jahre zurückreichen. Die Genauigkeit dieser Methode ist hoch – auch wenn es in den tieferen Schichten schwieriger wird, diesen oftmals zerdrückten und gefalteten "Eiskalender" abzulesen. Die Analyse der Speläotheme, wie sie Moseley von ihrer Expedition im Jahr 2015 zurückbrachte, kann 650.000 Jahre alte Klimabedingungen offenlegen. Und sie haben den Vorteil, dass ihre Entstehung in dieser Zeitspanne sehr genau datiert werden kann.

550.000 Jahre alt

"Wir waren nicht darauf vorbereitet, so viele Speläotheme zu finden", erinnert sich Moseley. Die Steine sind schwer, und die Kapazitäten für den Rücktransport waren beschränkt. "Also haben wir viele kleine Proben entnommen. Bei manchen hat sich herausgestellt, dass sie zu alt sind, um sie mit derzeitigen Methoden zu datieren. Bei anderen konnten wir zeigen, dass sie etwa 550.000 Jahre alt sind."

Auf alle Fälle konnte Moseley aber zeigen, dass es sich lohnt, in der Arktis nach dieser Art von Klimazeugen Ausschau zu halten. Dank eines kürzlich verliehenen Start-Preises für exzellente Forschung des Wissenschaftsfonds FWF kann die 1984 geborene Geologin und nunmehrige Professorin der Uni Innsbruck nun weitere ausführliche Blicke in dieses arktische Klimaarchiv werfen.

Gina Moseley

Doch wie kann man überhaupt Erkenntnisse aus den Proben ziehen und die stummen Zeugen der Vergangenheit zum Sprechen bringen? Bei der Datierung kommt die sogenannte Uran-Thorium-Datierung zum Einsatz. Aus den Proben werden wenige Milligramm an Pulver herausgebohrt, und ihr Anteil an diesen beiden Elementen wird extrahiert. Die Uran-Isotope zerfallen unter anderem zum Element Thorium. Während der Ausgangsstoff wasserlöslich ist, ist es das Endprodukt nicht.

Aus dem Verhältnis der beiden Elemente sowie den gut bekannten Zerfallsraten kann sehr genau auf die Entstehungszeit geschlossen werden. Noch bringt Moseley ihre Proben für diese Untersuchungen an die Universität von Minnesota, künftig soll aber auch in Innsbruck eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut werden.

Um nun mehr über die klimatischen Bedingungen der Entstehungszeit herauszufinden, konzentrieren sich die Wissenschafter auf zwei Sauerstoffisotope in den Proben – also zwei verschieden schwere Varianten dieses Elements. In wärmeren Zeiten verdunsten mehr Wassermoleküle mit den schwereren Sauerstoffisotopen. Aus dem Verhältnis der in den Proben gebundenen Isotopen kann nun also darauf geschlossen werden, ob es damals eher wärmer oder kühler war.

Wassereinschlüsse

Genauer, bis hin zu absoluten Temperaturwerten, werden die Ergebnisse, wenn man Flüssigkeitseinschlüsse in diesen Calcitablagerungen auf diese Art untersucht. Ähnliche Untersuchungen werden auch in Eisbohrkernen vorgenommen. In Österreich entnehmen Glaziologen etwa dem Gepatschferner in den Ötztaler Alpen Bohrkerne. Hier helfen auch im Eis eingeschlossene Pollen, Insekten oder Blattreste bei der Einschätzung vergangener Klimaperioden.

Was genau aus den Mineralablagerungen der Höhlen abgelesen werden kann, hängt mit der Schnelligkeit ihres Wachstums zusammen. Wissenschafter im tropischen Belize, wo die Wachstumsraten der Ablagerungen sehr hoch sind, konnten selbst auf einzelne Hurrikanereignisse zurückschließen, erzählt Moseley. In der Arktis liegt die zeitliche Auflösung immerhin noch bei wenigen Jahren bis unter einem Jahr.

Die Daten fügen sich in eine Klimalandkarte der Vergangenheit, die versucht, lokaler wie globaler Phänomene habhaft zu werden und sie in Zusammenhang zu setzen. Als Teil von Klimamodellen bieten sie wichtige Referenzdaten. Im Fokus stehen dabei abrupte Klimaevents, in denen sich die Bedingungen innerhalb weniger Jahre oder Jahrzehnte gewandelt haben, betont Moseley. Sie sollen helfen, den aktuellen, menschengemachten Klimawandel besser zu verstehen.

Inzwischen bereitet sich Moseley, die seit ihrem zwölften Lebensjahr Höhlen erkundet und Unter-Tage-Aufenthalte von einer Woche und in 1000 Metern Tiefe hinter sich hat, auf ihre diesjährige Expedition in die Arktis vor. Im Osten Grönlands wird sie mit Kollegen erneut Speläotheme in Höhlen sammeln und Sedimente untersuchen, um vergangene Veränderungen der Meereisbedeckung besser abschätzen zu können. 2019 kehrt die Höhlenforscherin dann wieder in "ihre" Höhlen am 80. Breitengrad zurück und holt die große Expedition nach, die 2015 nicht möglich war. Das dort zu sammelnde umfangreiche Probenmaterial wird helfen, einen neuen Kalender der Klimavergangenheit zu erschließen. (Alois Pumhösel, 19.7.2018)