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Lassing – Am Dienstag jährt sich das Bergbauunglück in der steirischen Gemeinde Lassing zum 20. Mal. Bei dem Grubenunglück in der Obersteiermark kamen zehn Männer ums Leben. Der verschüttete Bergarbeiter Georg Hainzl konnte nach neuneinhalb Tagen intensiver Suche nahezu unverletzt geborgen werden.

Es war um die Mittagszeit, als der damals 24-jährige Hainzl nach einem Schlammeinbruch im Talkbergwerk in 60 Metern Tiefe eingeschlossen wurde. Anfänglich bestand Telefonkontakt, der nach kurzer Zeit abriss. Ganze Häuser und Straßenteile rutschten in einen Krater, der sich gebildet hatte. Fatale Folgen hatte die Entscheidung, eine zehnköpfige Truppe – darunter befanden sich neun Bergleute und ein Geologe – gegen 22 Uhr in das Talkbergwerk einfahren zu lassen.

Vor 20 Jahren gab es in Lassing in der Steiermark das größte Grubenunglück in Österreich.
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Ein weiterer gewaltiger Einbruch führte dazu, dass tausende Tonnen Schlamm und Wasser in die Grube brachen. Der Schlammeinbruch riss fast alle Männer des Rettungsteams in den Tod. Einer von ihnen entging dem Einbruch, da er vorzeitig ausfuhr. Die Rettungsbemühungen konzentrierten sich rasch auf Hainzl, den man in einem 60 Meter tief gelegenen Hohlraum vermutete. Schon bald stellte sich heraus, dass er sich dort nicht befand.

Erst am 26. Juli um 20.30 Uhr geschah das "Wunder von Lassing": Georg Hainzl wurde geborgen. Am 17. August wurde der Einsatz eingestellt – die anderen zehn Verschütteten konnten nicht mehr gerettet werden.

Luftaufnahme des eingestürzten Bergwerksstollens in Lassing vom 18. Juli 1998. Bei dem Grubenunglück wurden elf Menschen verschüttet.
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Für den Bürgermeister von Lassing, Fritz Stangl, zum Zeitpunkt des Unglücks Vizebürgermeister der kleinen obersteirischen Ortschaft, waren die Ereignisse "drei Wochen Horror in Zeitlupe". Als Bürgermeister – seit Jahresbeginn 2000 – ist er besonders vor Jahrestagen den Umgang mit Journalisten gewöhnt. In den vergangenen Monaten war wieder ein Kamerateam in der Gemeinde unterwegs: Der Filmemacher Alfred Ninaus hat eine Dokumentation für ORF 3 gedreht.

Stangl hofft, dass damit dann endlich Ruhe einkehrt, obwohl er dieser Hoffnung schon oft Ausdruck verliehen hat. "Wir haben uns Gott sei Dank als Gesellschaft und vom wirtschaftlichen Teil her erholt. Mit Blick zurück auf die Tragik haben wir Mut für die Zukunft gefunden", resümiert er.

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Im Ort versucht man das Thema zu meiden, aber totgeschwiegen werde es auch nicht. Stangl vergleicht es mit den Geschichten, die er als Bub über den Zweiten Weltkrieg gehört hat: "Wenn einer gefallen ist, war es abgeschlossen. Wenn einer vermisst wurde, fragte man sich jahrelang, war er sofort tot, hat er noch weitergelebt? Für Lassing bedeutet das, hat man wirklich alles zur Rettung unternommen? Diese Fragen nagen an der Seele. Und das Drama war, man hat nix gesehen, alles hat sich unter der Erde abgespielt."

Aufregen kann sich der sonst so gelassene Bürgermeister über das seiner Ansicht nach damals herrschende mangelnde Einfühlungsvermögen vieler höherer Entscheidungsträger. "Da ist eine deutsche Grubenwehr gekommen, auf eigene Kosten, alles war gut gemeint, und alle wollten helfen. Da sagte dann ein Ministerialrat: 'Hilfe, die wir nicht gerufen haben, brauchen wir nicht'. Unglaublich, wie gefühllos, da haben manche die Fäuste geballt, wir haben sie beruhigen müssen. Denn die Familien der Helfer haben ja auch um ihre Leute gebangt."

Die Gedenkstätte für die Bergwerkskatastrophe von Lassing, aufgenommen am 14. Mai 2018.
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Ganz abgeschlossen mit dem Unglück dürfte Stangl nie haben. Zweifel, ob alles seitens der Behörden unternommen wurde, dringen im Gespräch immer wieder durch. "Da wurde man in vielen Dingen genarrt. Es gab ja die sogar von der Einsatzleitung anerkannten Klopfzeichen." Oder: "100 Meter tief eine Woche lang gebohrt, obwohl man gewusst hat, dass Georg Hainzl in der Jausenkammer auf 70 Meter ist und dass er lebt. Das hat ma g'wisst, ich war ja dabei, als ihm Mut zugesprochen wurde und dann plötzlich der Telefonkontakt zu ihm abgebrochen ist. Die anderen zehn haben auf rund 100 Meter gearbeitet."

Fragen drängen sich immer wieder auf: "Die Sache ist ja, waren sie alle an einem Ort auf 140 Meter in der Sohle, waren sie im Aufzug? Das wäre gegangen, wenn sie sich zusammengedrängt haben. Waren sie sofort tot?" Und: "Es macht nachdenklich, wenn die Kripo-Beamten im Extrazimmer vom Wirtshaus zu dir sagen, sie haben den Eindruck, es wird zu wenig getan."

Bis zu 1.200 Helfer waren an der Suche nach den Verschütteten beteiligt.
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Das Unglück beschäftigte sowohl den Ort als auch die Gerichte noch lange. Der Prozess fand von Jänner bis Juni 2000 im Landesgericht Leoben statt, an 20 Verhandlungstagen mussten sich fünf Beschuldigte wegen fahrlässiger Gemeingefährdung verantworten.

Auf der Anklagebank saßen Werksleiter Hermann Schmidt, der ehemalige Leiter der Leobener Berghauptmannschaft, Wolfgang Wedrac, sein damaliger Stellvertreter Alfred Zechling sowie Hans Dieter Faißner und Josef Jachs, zwei Beamte der Bergbaubehörde.

Die Staatsanwaltschaft betonte von Anfang an, das Grubenunglück sei "kein schicksalhaftes Ereignis" gewesen, sondern durch "menschliche Fehlleistungen über mehrere Jahre" verursacht worden. Als besonders schwerwiegend erwähnte die Anklage immer wieder, dass beim Abbau nicht genügend Sicherheitsabstand zwischen Fels und Abbaulinie eingehalten wurde. Laut Staatsanwalt hatte Schmidt auch "den Tod der zehn Personen zu verantworten, weil er die Grube nicht rechtzeitig räumen ließ". Den vier Beamten der Berghauptmannschaft warf er in erster Linie vor, ihrer Überprüfungspflicht nicht nachgekommen zu sein.

Häuser, fünf Hochleistungspumpen der Feuerwehr und ein Strommast wurden in den Krater gerissen.
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Kontroversen zwischen Verteidigung und Anklage gab es bezüglich der Gutachter. Die beiden vom Gericht bestellten Sachverständigen Friedrich Hollmann und Horst Meißner und die – nur als Zeugen zugelassenen – Privatgutachter hatten unterschiedliche Ansichten über die Unglücksursache. Während die beiden Gerichtssachverständigen im zu hoch gelegenen Talkabbau eine mögliche Einsturzursache sahen, sprachen die anderen Experten eher von einer Naturkatastrophe, die in keiner Weise durch den Abbau ausgelöst worden sei.

Das Urteil in erster Instanz erfolgte am 28. Juni 2000. Betriebsleiter Schmidt wurde zu 20 Monaten bedingter Haft 120.000 Schilling (8.700 Euro) Geldstrafe verurteilt. Der ehemalige Berghauptmann Wedrac erhielt zehn Monate bedingt und musste 108.000 Schilling (7.850 Euro) zahlen. Die drei Beamten wurde zunächst freigesprochen.

Bei der Berufungsverhandlung in Wien am 18. März 2003 wurden die Strafen korrigiert. Schmidt erhielt zwei Jahre Haft, davon acht Monate bedingt, die Strafe für Wedrac wurde auf sechs Monate bedingt herabgesetzt. Zechling wurde zu drei Monaten bedingt verurteilt. (red, APA, 17.7.2018)