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Ein Bewohner von Gaza-Stadt erkundet ein zerstörtes Gebäude, das kurz zuvor Ziel eines israelischen Luftschlags geworden ist.

Foto: REUTERS/Suhaib Salem

Am Wochenende sah es vor übergehend so aus, als schlitterten Israel und Gaza geradewegs hinein in eine neue kriegerische Auseinandersetzung – auch wenn keine der beiden Seiten das derzeit wirklich will: Die Hamas weiß, dass im Falle eines Krieges viel auf dem Spiel steht und sie ihre Macht verlieren könnte. Und für Israel ist das weitaus größere Problem momentan der Norden, wo syrische Regimetruppen der Grenze immer näher kommen.

Israel will verhindern, dass sich der Iran, ein Verbündeter des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, in der Grenzregion ausbreitet und an Macht gewinnt. Außerdem hat Israel kein Interesse an einer möglichen Machtübernahme durch weitaus radikalere Gruppen im Gazastreifen.

"Eiserne Kuppel"

Und doch eskalierte die Lage in einem Ausmaß, wie dies seit dem Gazakrieg 2014 nicht mehr der Fall war: Mehr als 170 Mal wurde in den Dörfern und Kibbuzim entlang des Gazastreifens Raketenalarm gegeben. Laut Armee flogen ab dem frühen Samstagmorgen rund 200 Mörsergranaten und Raketen in Richtung Israel, 30 hielt der Raketenabfangschirm "Eiserne Kuppel" auf.

Die Armee griff nach eigenen Angaben als Reaktion darauf mehr als 40 militärische Ziele im Gazastreifen an, darunter das Hauptquartier eines Hamas-Bataillons in Beit Lahia. Es waren die größten Angriffe bei Tageslicht seit 2014. Berichten zufolge wurden zwei Palästinenser getötet und 14 verletzt, auf israelischer Seite wurden drei Menschen in einem Haus in Sderot verletzt, das von einer Rakete getroffen wurde.

Die Eskalation hatte sich bereits am Freitag angebahnt, als während der Proteste entlang des Gazastreifens ein Armeeoffizier von den Splittern einer Granate verletzt wurde. Israels Luftwaffe zerstörte daraufhin einen Tunnel und weitere militärische Ziele in Gaza-Stadt. Die Hamas wiederum schoss mit Mörsergranaten und Raketen zurück.

Neue Waffenruhe

Am Sonntag schien die Gefahr einer weiteren Verschärfung des Konflikts vorerst gebannt zu sein: Seit dem Vorabend herrschte zwischen Israel, der Hamas und dem Islamischen Jihad eine Waffenruhe. Berichten zufolge waren der ägyptische Geheimdienst sowie der UN-Sondergesandte Nickolay Mladenov an deren Ausarbeitung beteiligt.

Doch der Samstag zeigt, dass in einer dauerhaft so angespannten Lage wie jener im und um den Gazastreifen selbst kleine Ereignisse zu größeren Gefechten führen können – selbst wenn keine Seite daran offenkundiges Interesse hat. Das war schon früher der Fall – und auch Ende Mai schienen Israel und Gaza einem neuen Krieg enorm nahe zu kommen.

Es bleibt ein Kräftemessen entlang des Küstenstreifens: Die Hamas versucht, den Ärger der eigenen Bevölkerung in dieser prekären humanitären Lage – salzhal tiges Leitungswasser, Strommangel, weitestgehend geschlossene Grenzen – auf den "zionistischen Feind" auf der anderen Seite der Grenze zu lenken.

Und Israels Regierung steht aufgrund der anhaltenden Angriffe mit brennenden Flugdrachen und Ballons aus Gaza unter Druck. Äcker und Wälder in der Größe von mehr als 400 Fußballfeldern sind bereits abgebrannt.

"Eine Kapitulation"

So kam es denn auch am Sonntag in Israel zu Kritik an der Waffenruhe: Bildungsminister Naftali Bennett, Vorsitzender der Partei Jüdisches Heim, schimpfte, man habe sich von der Hamas die Bedingungen für einen Waffenstillstand diktieren lassen. "Eine Feuerpause ohne ein Ende des Terrors ist keine Abschreckung: Es ist eine Kapitulation." Premier Benjamin Netanjahu verteidigte die Entscheidung und warnte die Hamas: "Ich hoffe, sie haben die Botschaft erhalten. Falls nicht, werden sie sie später bekommen." Israel werde keine Angriffe durch Flugdrachen und Ballons dulden. Ballons mit brennenden Materialien wurden allerdings laut Armee auch am Sonntag Richtung Israel geflogen – die israelischen Luftstreitkräfte griffen jene Gruppen an, die dafür verantwortlich waren.

Kritiker warnen, dass auch die miserable humanitäre und wirtschaftliche Lage in Gaza ein Nährboden für Auseinandersetzungen ist. Die Lage bleibt angespannt in diesen heißen Sommertagen in Nahost. (Lissy Kaufmann aus Jerusalem, 15.7.2018)