STANDARD: Als renommierte Scheidungsanwältin kennen Sie die Abgründe, die sich zwischen Frauen und Männern auftun können. Nicht nur rund um den Wiedereinzug von Parteigründer Peter Pilz in den Nationalrat spielten sich bei der gleichnamigen Liste einige Dramen ab – wie lautet Ihr Befund?

Helene Klaar und Maria Stern über den Zwölfstundentag, Frauen und Männer
DER STANDARD

Klaar: Grundsätzlich ist es Peter Pilz zwar gelungen, für die Nationalratswahl einige recht interessante Persönlichkeiten und gute Leute auf der Liste zu vereinen. Doch gerade sehr gescheite Menschen haben dann im Umgang miteinander oft Probleme.

Stern: Das ist eine treffende, knappe Zusammenfassung, mit der ich gut leben kann.

STANDARD: Als Frauensprecherin haben Sie Ihren Mandatsverzicht für Pilz als "feministischen Akt" bezeichnet und dafür viel Häme einstecken müssen. Was werden Sie als Parteichefin anders machen als Pilz?

Stern: Als ehemalige Lehrerin bin ich gewohnt, Teamplayerin mit Durchgriffsrecht zu sein. Mein Hauptaugenmerk will ich auf die Bürgerbeteiligung legen.

Was Maria Stern als Parteichefin anders machen wird als Peter Pilz? Die Frauensprecherin der Liste will "Teamplayerin" sein – aber "mit Durchgriffsrecht".
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Wenn es so weitergeht bei Ihrer Liste, werden Sie wahrscheinlich aber immer wieder ein deutliches Machtwort sprechen müssen?

Stern: Machtvoll habe ich ja bereits gehandelt, indem ich mein Mandat nicht angenommen habe. Denn damit habe ich vollkommen andere Voraussetzungen für den Klub geschaffen – und das zählt auch durchaus zu meinem Stil.

Klaar: Da haben Sie schon recht: In dieser heiklen Situation musste ja irgendjemand in Ihrer Partei einlenken. Ich halte es für ein typisch männliches Verhalten, zu sagen: "Das ist mein Nationalratsmandat, als Lebender bringt mich hier keiner mehr weg!" – wie es die Abgeordneten ja gemacht haben. Doch warum sollten Frauen die schlechten Verhaltensweisen von Männern imitieren? Daher habe ich da durchaus mit Ihnen sympathisiert. Mit Ihrer Entscheidung haben Sie die wirklich an die Substanz gehende Krise beigelegt.

STANDARD: Unlängst hat der Klub das Dienstverhältnis von Tierschutzsprecher Sebastian Bohrn Mena, ebenfalls ohne Mandat, aufgelöst. Zuvor hat er unter anderem die mangelnde Transparenz in Ihrer Kontrollpartei beklagt: Es gebe keine Sitzungsprotokolle, keine Finanzprotokolle, keine Rechnungsprüfer – wird sich das unter Ihnen ändern?

Stern: Ich kommentiere keine laufenden Verfahren. Nur so viel: Ich bin erleichtert, dass seine Fake-Anschuldigungen und kolportierten Halbwahrheiten auf den Tisch kommen und dass endlich alles aufgeklärt wird.

Klaar: Ich wünsche Herrn Bohrn Mena, dass er endlich eine Partei findet, die für ihn gut genug ist.

STANDARD: Sie spielen darauf an, dass Bohrn Mena davor bei der SPÖ war.

Stern: Und davor bei den schwarzen Gewerkschaftern gewesen ist.

STANDARD: Sie kennen Peter Pilz aus Studententagen – wie sind Sie miteinander ausgekommen?

Klaar: Dass wir uns näher kannten, ist stark übertrieben. Ich war im Verband sozialistischer Studenten aktiv – und in der Ära von Kanzler Bruno Kreisky haben wir großen Zulauf von jungen Herren aus bürgerlichem Milieu gehabt, die – offenbar in Opposition zu ihren Vätern – plötzlich ihre Liebe zum realen Sozialismus entdeckt haben, wie etwa Josef Cap. Deswegen hat es mir damals ganz gut gefallen, als der Peter Pilz dann ausgeschert ist und auf trotzkistische Opposition gemacht hat. Insofern habe ich für ihn eine gewisse Grundsympathie gehabt.

STANDARD: Haben Sie vergangenen Herbst darüber nachgedacht, vielleicht Liste Pilz zu wählen?

Klaar: Nein – und deshalb sehe ich ihre Probleme jetzt auch ohne besondere innere Beteiligung.

Stern: Ich bin in der DDR geboren worden, war mit den realen Auswirkungen des Kommunismus konfrontiert und kenne die negativen Auswirkungen der Diktatur. Gerade im Gedenkjahr von Karl Marx, in dem sich dessen 200. Geburtstag jährt, stellt sich für mich heute aber mehr denn je wieder die Frage der Verteilungsgerechtigkeit – deswegen freue ich mich auf die Marx-Ausstellung in Trier.

STANDARD: Ihre Partei hat zuletzt gegen den neuen Familienbonus der Regierung, der steuerliche Entlastung mit sich bringt, und den möglichen Zwölfstundentag für die Arbeitnehmer gestimmt. Doch was lässt sich gegen all das als kleine, krisengeschüttelte Oppositionspartei tatsächlich ausrichten?

Maria Stern von der Liste Pilz ruft zu "zivilem Ungehorsam" rund um den neuen Familienbonus der Regierung auf.
Foto: Regine Hendrich

Stern: Freilich gestaltet sich unsere Arbeit oft zach. Doch was den Familienbonus betrifft, gründe ich jetzt den SOS-Familienbonus – konkret ein Projekt, bei dem Menschen, die den Familienbonus bekommen, ihn aber nicht wirklich brauchen, einzahlen können – so wie ich mit drei Kindern zum Beispiel. Aus diesem Topf sollen dann einkommensschwache Familien einen Bonus bekommen, die das Geld tatsächlich benötigen. Daher meine große Bitte, dass sich meinem Beispiel möglichst viele anschließen. Ohne großen Verwaltungsaufwand können wir dadurch ein wenig Umverteilung von oben nach unten erreichen.

Klaar: Das gefällt mir an Ihnen, dieser Aktivismus – das ist eine wirklich originelle Idee. Hoffentlich folgen Ihnen da einige nach.

Stern: Ich hoffe da sehr auf einen gewissen zivilen Ungehorsam, den man da im SOS-Familienbonus ausleben kann.

Anwältin Helene Klaar gefällt Maria Sterns "Aktivismus" – weil "der Familienbonus vor allem Alleinverdienern mit hohem Einkommen nützt".
Foto: Regine Hendrich

Klaar: Fest steht, dass der Familienbonus vor allem Alleinverdienern mit hohem Einkommen nützt – und das sind in der Regel Familienväter, deren Ehefrauen Hausfrauen mit großer Kinderschar sind. Aus meiner Sicht geht das in die falsche Richtung, dass der Staat vor allem diese Lebensweise so hoch dotiert.

Stern: Tatsächlich werden laut Statistik drei Viertel des Familienbonus männlichen Konten zugutekommen. Die Alleinerzieherinnen werden nun zwar mit 250 Euro pro Jahr berücksichtigt, aber das ist ja quasi nur eine peinliche kleine Spende.

STANDARD: Und wie lautet Ihre Einschätzung angesichts der anstehenden möglichen Zwölfstundentage: Wird damit die Zahl der nicht präsenten Familienväter weiter steigen – und womöglich sogar die Scheidungsrate?

Klaar: Ob sich das konkret auf die Scheidungszahlen auswirkt, weiß ich nicht – und das wäre mir auch ziemlich wurscht. Fakt ist aber: Alles, was rund um die gesetzlichen Arbeitszeiten ermöglicht wird, geschieht dann auch. Damit wird das Leben von Frauen noch einmal unerträglicher. Ich war ja stets eine Gegnerin des Achtstundentags, weil schon eine Vierzigstundenwoche oft zu Eheproblemen führt, wenn man daneben noch die Kinder betreuen muss. Und die haben es sich auch nicht verdient, jetzt vielleicht zwölf bis vierzehn Stunden in Kinderbetreuung zu sein. Das kann sich doch alles zusammen nicht mehr ausgehen, mit Anfahrtszeiten, Schlafenszeiten, Einkaufen und gesunder Ernährung, bei der man am besten noch selbst die gesunden Karotten putzt – da muss man doch das meiste zukaufen. Ich erachte den Zwölfstundentag daher als Anschlag auf die Lebensqualität aller arbeitenden Menschen.

Auch die Folgen für die liebe Familie nach bald möglichen Zwölfstundentagen schätzen Helene Klaar und Maria Stern ähnlich ein: "Na, einmal darf man raten", sagt die Anwältin.
Foto: Regine Hendrich

Stern: Noch dazu, wo die Regierung nicht mehr Geld in den Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen für die Drei- bis Fünfjährigen investieren will. Wenn wir auf mögliche 60-Stunden-Wochen kommen, schaut es so aus, dass in Wien nur zehn Prozent des Bedarfs an Kindergärten mit längeren Öffnungszeiten abgedeckt sein werden – und im Bund ganze heiße ein Prozent. All das ist so dumm und kurzsichtig gedacht.

STANDARD: Und wie steht's dann mit dem wünschenswerten Halbe-halbe bei der Aufteilung von Versorgungs- und Kinderbetreuungspflichten zu Hause?

Klaar: Na, einmal darf man raten: Die Mütter bleiben eher zu Hause, und die Väter werden ihre Kinder in der Früh nicht sehen, weil diese noch schlafen – und schon wieder schlafen, wenn der Papa nach Hause kommt.

Stern: Jetzt schon bedauern ja viele Väter, dass sie zu wenig Zeit mit ihren Kindern verbringen – aber leider müssen sie ja Überstunden leisten, um sich das ganze Leben samt steigender Lebenshaltungskosten für die Familie leisten zu können. Die Mütter werden damit sicher vermehrt in die Hausfrauenrolle gedrängt. Dabei ist die Hausfrauenehe eine historische Lüge: Die Regierung setzt da ein Modell voraus und tut so, als ob es normal wäre, was am Ende des 19. Jahrhunderts in der Oberschicht erstmalig vorhanden war – und was in den Fünfziger- und Sechzigerjahren durch den Wirtschaftsboom für die breite Masse möglich gewesen ist. Doch heute ist das längst nicht mehr der gesellschaftliche Normalfall. (Nina Weißensteiner, 14.7.2018)