"Ich war ein Suchender, bis ich 2015 in Helmut Schmardas Werkstatt war, um ein Lederarmband zu fertigen. Da merkte ich, dass ich angekommen bin, dass ich das beruflich machen möchte", sagt Thomas Lechle.

Foto: Rene Hundertpfund/www.hundertpfund.photos

Ein einfaches Lederarmband sollte sein Leben umkrempeln. Es wäre nicht das erste Mal, dass Thomas Lechle von vorne anfängt. Aber diesmal dürfte es das letzte Mal gewesen sein. Lechle sitzt an einer Werkbank in der Werkstatt der Lederwarenerzeugung Schmarda, dem mittlerweile einzigen Taschnerbetrieb in Innsbruck, einem Familienunternehmen in dritter Generation. Es riecht nach Leder, an den Wänden reihen sich Regale mit Lederrollen, Kisten und Werkzeugen, durch die Fenster sieht man in die Hinterhöfe der Innsbrucker Einkaufsstraße. Im Maschinenraum stehen Stanzeisen, Nähmaschinen, eine ist über hundert Jahre alt, Schnittmuster aus Karton hängen an der Wand.

Thomas Lechle ist Taschnergeselle, er verarbeitet Leder zu Armbändern, Gürteln, Taschen oder Etuis. Nachdem er das Gymnasium und eine Vermessungstechnikerlehre abgebrochen hatte, half er am Bau, kellnerte, gab Skifahrern beim Schlepplift den Bügel. Als in den 90ern Snowboarden aufkam, arbeitete er im Lager des Sportartikelherstellers Burton: sein Freifahrtschein zum professionellen Freerider. Er wurde von Sponsoren bezahlt, abseits der Piste zu fahren und Tricks zu machen. Von dort kam er in die Produktentwicklung, wo er die Rucksäcke verbesserte, jährlich nach Hongkong zur Produktionsstätte reiste. "Ich war Autodidakt, wusste aber, da ich die Ausrüstung verwendete, wo sie praktikabler sein könnte" , sagt der 44-Jährige.

Geschirrspülen ohne Ausbildung

Nach einigen Jahren wollte sich Lechle weiterentwickeln: "Beim Arbeitsamt wollten sie mich ohne fertige Ausbildung zum Geschirrspülen schicken, doch ich wollte mehr. Also absolvierte ich eine Ausbildung an der Designakademie." Danach gründete er eine Agentur, die er nach über drei Jahren zusperrte, arbeitete als Head of Design und Produktmanager beim Skihersteller Kneissl und hängte ein Masterstudium an. Dann designte er dreieinhalb Jahre lang Produkte für Swarovski.

"Ich war ein Suchender, bis ich 2015 in Helmut Schmardas Werkstatt war, um ein Lederarmband zu fertigen. Da merkte ich, dass ich angekommen bin, dass ich das beruflich machen möchte", sagt Lechle. Er kannte Schmarda, die Familien waren befreundet, Lechles Familie hatte einen Lederhandel. Ihn faszinierten das Material und die Vorstellung, "die Kreativität auszuleben, am Ende des Tages etwas in den Händen zu halten. Das gibt meinem Tun Sinn." Er entschied sich, mit 41 Jahren eine Sattlerlehre mit Spezialisierung Taschner zu machen.

Da es in Tirol keinen Lehrbetrieb mehr gibt, bewarb er sich als außerordentlicher Schüler an der Berufsschule Lilienfeld, einer von zweien, wo man noch Taschner lernen kann. Die Praxis lehrte ihn Schmarda, allerdings ohne Lehrverhältnis, sondern Lechle nahm Bildungskarenz und war in einem Gründerprogramm, das die Ausbildung teilfinanzierte. Er musste nur das dritte Berufsschuljahr machen, die Gesellenprüfung absolvierte er zu Beginn. Der Grund: Es war unklar, ob er diese in den nächsten Jahren machen kann, da nur so wenige eine Taschnerlehre machen. Laut Wirtschaftskammer gab es in den letzten zehn Jahren je zwei bis drei Lehrlinge jährlich.

Reparaturen anstatt Großaufträge

"Unser Beruf ist zum Reparaturmacher degradiert", sagt Schmarda, der seit 65 Jahren im Geschäft ist. Früher hat er etwa für Swarovski-Ferngläser Futterale hergestellt, hatte 14 MitarbeiterInnen, heute hat er eine, fertigt Jagdrucksäcke und repariert Taschen. "Mit der Branche ging es bergab", sagt der langjährige Innungsmeister. Seit über 20 Jahre hatte er keinen Lehrling mehr ausgebildet, bei Lechle entschied er aus Freundschaft.

Lechle hätte auch einen einfacheren Weg gehen können, da man für einige Taschnerarbeiten keinen Gewerbeschein braucht, da diese freigeschaltet wurden. "Das bringt Bastler auf den Markt, aber ich bin ein Tüftler und will das Handwerk richtig können." Seit einem Jahr ist er selbstständig, nebenbei freischaffender Grafiker. Eingemietet in Schmardas Werkstatt, erledigt er Aufträge für Einzelstücke oder übernimmt Kleinserien von "seinem Meister". Dabei verbindet er traditionelles Handwerk mit moderner Technik, lasert Gravuren, lässt das Leder sandstrahlen oder rosten. "Ich will keine Billigware produzieren. Ich habe die Produktionsbedingungen in China gesehen, dieses Feuer möchte ich nicht schüren."

Helmut Schmarda hilft Lechle, wo er kann. "Ich habe noch viel zu lernen" , sagt dieser. Sein erster Nähversuch hängt als "Mahnmal" über der Nähmaschine. "Die nächsten Jahre muss ich durchbeißen, aber für mich ist es unbezahlbar, eine Arbeit gefunden zu haben, die mich erfüllt." Solange die Firma Schmarda besteht, möchte er hier arbeiten. (Selina Thaler, derStandard.at, 14.7.2018)