Wien/Klosterneuburg – Selbstbefruchtung müssen Pflanzen vermeiden, da sie zu Inzucht führt. Viele Arten haben daher Erkennungssysteme entwickelt, die sicherstellen, dass nur Paarungen zwischen verschiedenen "Individuen" klappen. Diese Systeme funktionieren nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip, berichten Forscher des Institute of Science and Technology (IST) Austria. Anders ausgedrückt: Die Pflanzen haben einen "Keuschheitsgürtel", den die eigenen Pollen nicht öffnen können.

Die Wirkungweise

Ein Team um Katarina Bodova und Melinda Pickup untersuchte mit populationsgenetischen Simulationen und theoretischen Analysen, unter welchen Umständen neue Paarungstypen bei Pflanzen mit solchen Erkennungssystemen entstehen können, etwa bei Petunien oder Löwenmäulchen. Insgesamt sind Erkennungssysteme, die dieser Selbstunverträglichkeit zugrunde liegen, allgegenwärtig: Sie finden sich in mindestens 100 Pflanzenfamilien und 40 Prozent der Arten.

Es ergibt sich ein passgenaues Zusammenspiel: Der Pollen landet auf der Narbe einer Blüte, welche ein Toxin enthält, das das Pollenwachstum stoppt. Dem setzt der Pollen eine Gruppe von Genen (sogenannte F-Box-Gene) entgegen, die Gegenmittel gegen alle Toxine produzieren – nur nicht gegen das Toxin, welches die Narbe der "eigenen" Pflanze enthält, also jener, von der der Pollen stammt. Der Pollen kann daher wachsen, wenn er auf der Narbe einer anderen Pflanze landet, aber nicht, wenn er auf die der eigenen gerät. So können sich Pflanzen nur mit genetisch anderen Individuen mischen und Selbstbefruchtung wird vermieden.

Wo ist der Anfang?

Daraus ergibt sich eine Frage, die dem Henne-Ei-Problem ähnelt: Wie können solche Paarungstypen überhaupt entstehen? Gibt es eine Mutation auf der weiblichen Seite, produziert diese ein neues Gift, für das die männliche – also der Pollen – kein Gegenmittel hat, wodurch keine Paarung stattfinden kann. Muss also stattdessen zuerst eine Veränderung der männlichen Seite erfolgen, sodass ein neues Gegenmittel entsteht, welches dann auf eine entsprechende Veränderung der weiblichen Seite wartet?

Die Wissenschafter kamen durch Simulationen zum Schluss, dass es verschiedene Wege gibt, auf denen sich neue Paarungstypen entwickeln können. In einigen Fällen geschieht dies durch eine Zwischenstufe der Selbstbefruchtung, in anderen Fällen jedoch durch Selbstunverträglichkeit. Sie fanden auch heraus, dass sich neue Paarungstypen nur dann entwickelten, wenn die Kosten der Selbstbefruchtung hoch waren.

Die Unvollständigkeit, also das Fehlen von F-Box-Genen, die Gegenmittel für weibliche Toxine produzieren, ist ebenfalls wichtig für die Entwicklung neuer Paarungstypen, so die Forscher. Komplette Paarungstypen (mit einem vollständigen Satz von F-Box-Genen) blieben in den Simulationen am längsten erhalten, da sie die höchste Anzahl von Paarungspartnern haben. Neue Paarungstypen entwickelten sich leichter, wenn es wenige Paarungstypen in der Population gab. Und auch die demographische Entwicklung einer Population beeinflusst die Entwicklung von Nicht-Selbsterkennungsystemen: Populationsgröße und Mutationsraten beeinflussen ihre Evolution.

Offene Fragen

Prinzipiell konnten die Simulationen also mehrere Wege aufzeigen, wie sich neue Paarungstypen herausbilden können. Mit der in der Natur beobachteten Vielfalt konnte die in Simulationen erstellte jedoch nicht mithalten, was Pickup fasziniert: "Wir haben das System verstanden, aber es gibt noch viele offene Fragen und das Geheimnis der hohen Vielfalt in der Natur existiert weiterhin." (red, 13. 7. 2018)