Kinder mit Sprachdefiziten sollen ab Herbst in separaten Klassen unterrichtet werden. Das gefällt nicht allen.

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Die für Herbst geplanten separaten Deutschförderklassen bekamen es bereits im parlamentarischen Begutachtungsverfahren mit geballter Kritik zu tun. Die reichte von "wissenschaftlich gesehen völlig abzulehnen" (Bildungsinitiative Bildung grenzenlos) bis organisatorisch "undurchführbar" (Volksschuldirektorinnen aus Wels). Sogar der Landesschulrat von Tirol bemängelte, mit der Regelung würde Kindern sogar der Spracherwerb erschwert.

Die Letztfassung des Gesetzes aus dem Haus von Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) war dann auch deutlich abgeschwächt: Jetzt sollen nur noch Neueinsteiger ins Schulsystem bei Sprachdefiziten eine solche Klasse besuchen. Für einige Schulen mit Platzproblemen gibt es überhaupt eine Sonderlösung. Hier dürfen die Deutschklassen vorübergehend auch gemeinsam mit der Regelklasse geführt werden – mit jeweils eigener Lehrkraft und unterschiedlichem Lehrplan.

Die Ablehnung vieler Experten aus der Praxis ist trotzdem aufrecht. Über 300 Schulleiterinnen und Schulleiter forderten mit ihrer Unterschrift eine schulautonome Umsetzung. Eine von ihnen, die Wiener AHS-Direktorin Ilse Rollett, kündigte öffentlich an, keine Deutschklassen einführen zu wollen – was ein eher ungewöhnliches Nachspiel hatte.

Frage: Wieso bekommt eine Direktorin unangemeldeten Besuch von drei Ministeriumsmitarbeitern?

Antwort: Kabinettschef Markus Benesch und der stellvertretende Generalsekretär Martin Netzer finden, "diese sehr deutliche Form der Klarstellung", dass Gesetze einzuhalten sind, sei notwendig gewesen. Frau Rollett hingegen fühlt sich unter Druck gesetzt, sie spricht von "Einschüchterung".

Frage: Darf man als Beamtin oder Vertragsbedienstete denn keine Kritik an Gesetzen üben?

Antwort: Natürlich schon, entscheidend ist aber das Wie. Die Frage ist, was unter freie Meinungsäußerung fällt und wo diese Meinung mit dem Disziplinarrecht kollidiert.

Im konkreten Fall ist sich Direktorin Rollett keines Vergehens bewusst: Natürlich wisse sie, dass sie Gesetze einzuhalten habe. Eine Deutschförderklasse sei an ihrer Schule aber schon allein wegen einer sehr geringen Anzahl an außerordentlichen Schülern nicht zu eröffnen. Im Bildungsministerium sieht man das anders. Demnach habe man die Aussage Rolletts – unabhängig davon, ob überhaupt eine Deutschförderklasse an der AHS Rahlgasse eröffnet werden muss – als Aufruf zum Gesetzesbruch verstanden. Und damit sei das Ganze eigentlich ein Fall für § 43 des Beamtendienstrechts oder § 5 des Vertragsbedienstetengesetzes. Genau wegen dieses Unterschieds "haben wir auch mit den anderen Direktorinnen nicht reden müssen", erklären Netzer und Benesch – deren Kritik wertet man als "legitim".

Frage: Wie sind die "Dienstpflichten" im Gesetz geregelt?

Antwort: Sinngemäß, dass Gesetze einzuhalten sind. Und dass auch die Öffentlichkeit darauf vertrauen können muss, dass das so ist.

Frage: Was, wenn eine Schulleiterin oder ein Schulleiter gegen diese Bestimmungen verstößt?

Antwort: Die Palette möglicher Konsequenzen reicht von der Verwarnung bis hin zu Geldstrafen oder einer Suspendierung. Weigert sich ein Beamter, ein Gesetz umzusetzen, folgt eine Weisung. Hilft das auch nichts, würde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. In der Folge müsste die Disziplinarkommission prüfen, ob die Vorwürfe zu Recht erhoben wurden – was im Fall der Fälle die oben genannten Konsequenzen zur Folge hätte. Für Vertragsbedienstete ist ein solches Verfahren laut Lehrergewerkschafter Paul Kimberger (FCG) nicht vorgesehen. Hier könnte die Behörde also gleich eine Kündigung aussprechen, die dann im Streitfall vor dem Arbeits- und Sozialgericht landen würde. Zulässig wäre dieser Schritt aus seiner Sicht aber nur, wenn ein Gesetz willkürlich nicht eingehalten wird. Kritik an einem Gesetz sei keinesfalls ausreichend für disziplinäre Schritte.

Frage: Wie oft kommt es zu solchen Disziplinarverfahren?

Antwort: "Sehr selten, aber diese Fälle gibt es", erklärt der stellvertretende Generalsekretär Netzer. Etwa bei "groben Dienstverletzungen" – wie dem Fall eines Lehrers, der ständig zu spät zum Unterricht kommt.

Frage: Wie reagiert die Gewerkschaft auf den unüblichen Schulbesuch aus dem Ministerium?

Antwort: Herbert Weiß, Vorsitzender der AHS-Lehrergewerkschaft, hält die Aussagen Rolletts für "völlig unangreifbar". Da an ihrer Schule nur ein Kind für die Deutschförderklasse infrage komme, sei ihre Aussage, sie werde "sicher keine Deutschförderklasse" machen eine "Tatsache". Das Vorgehen des Ministeriums halte er für "überzogen", weil für die Kontrolle der Dienstpflichten die Landesschulinspektoren zuständig seien. Daher verstehe er auch, dass der Besuch als versuchte Einschüchterung aufgefasst wurde. Bei etwaigen Probleme werde Rollett jedenfalls gewerkschaftlichen Rechtsschutz bekommen, sagt Weiß.

Frage: Muss Direktorin Rollett jetzt mit disziplinarrechtlichen Konsequenzen rechnen?

Antwort: Nein, heißt es aus dem Ministerium. Man werde kein Verfahren einleiten – "obwohl es möglich oder sogar notwendig wäre", sagt Martin Netzer. Und auch Kabinettschef Benesch will die Sache jetzt auf sich beruhen lassen: "Für uns ist das erledigt", im Gespräch mit Frau Rollett habe man auch nie disziplinarrechtliche Konsequenzen in Aussicht gestellt.

Frage: Und was bleibt im Bildungsministerium von der Aktion?

Antwort: Jedenfalls einiges an Schreibarbeit. Gleich zwei parlamentarische Anfragen (von Liste Pilz und SPÖ) beschäftigen sich jetzt mit der Causa – Details siehe Artikel unten.

Frage: Eines noch: Ist es nicht ungewöhnlich, dass eine Schulleiterin von sich aus den Schritt in die Medien unternimmt?

Antwort: Es stimmt, viele Lehrkräfte berichten lieber anonym aus ihrem Schulalltag. Zwar gibt es laut Gewerkschafter Kimberger keine rechtlichen Vorgaben, wann Lehrer oder Direktoren öffentlich ihre Meinung äußern dürfen, in der Praxis werde das aber von Land zu Land unterschiedlich gelebt. In Wien sei der Stadtschulrat für einen "sehr restriktiven Zugang" bekannt – man dränge darauf, dass Lehrer vorab Genehmigungen einholen, "was ich aber nicht verstehe", wie Kimberger sagt. In Vorarlberg geht man den anderen Weg. Gelebte Praxis sei, dass Schulleiter zwar der Schulaufsicht von Medienanfragen berichten. Macht das einer nicht, ist es auch egal. (Günther Oswald, Karin Riss, 11.7.2018)