Der Zauber hält an: Die Lust an Kritik und Diskurs mit der Parteispitze ist in der ÖVP anscheinend weitgehend verschwunden.

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Der Tiroler Arbeiterkammerchef Erwin Zangerl protestiert mit scharfen Worten gegen den Zwölfstundentag, der Lehrergewerkschafter Paul Kimberger verwehrt sich dagegen, dass eine Schulleiterin wegen der Deutschklassen unter Druck gesetzt wird, und zwei Landeshauptleute, der Salzburger Wilfried Haslauer und der Vorarlberger Markus Wallner, fordern, dass gut integrierte junge Flüchtlinge, die auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich sind, nicht abgeschoben werden sollen.

Sie alle gelten innerhalb der Kanzlerpartei als "mutig" (oder anmaßend, je nach Lesart), weil sie sich mit ihrer Kritik explizit nicht nur an die Regierung in Wien, sondern auch an die eigene Partei, die ÖVP, wenden. Dabei hat keiner von ihnen zu einem grundsätzlichen "Ja, aber ..." ausgeholt – sondern nur in einem Teilbereich, der ihn betrifft, gegen den türkisen Mainstream gehalten.

Allein auf weiter Flur

Aber selbst damit sind die ÖVP-Politiker innerhalb ihrer Partei ziemlich allein auf weiter Flur – und der Gegenwind ist beträchtlich. Vom Tiroler Wirtschaftsbundchef Hörl muss sich Zangerl neuerdings "Prolet" nennen lassen, und Haslauers Vorschlag brachte bis dato vor allem eisiges Schweigen hervor.

In der Kanzlerpartei, so scheint es, gibt es nur wenige abweichende Meinungen – je näher man nach Wien kommt, desto weniger.

Mandatare, Funktionäre, die meisten anderen Länderchefs, die Bünde sind offenbar zufrieden mit allem – ob es sich nun um Arbeitszeit, Sozialversicherungen, den Umgang der Regierung mit dem Parlament oder eben um Ausländerpolitik handelt. Alles paletti, die Richtung stimmt, Ja zur Veränderung. Offiziell.

Hinter den Kulissen trifft man sie freilich schon, die Konservativen mit Bauchschmerzen, die Christlich-Sozialen, die sich bang fragen, ob man etwa in der Asylpolitik wirklich in einer Reihe stehen mag mit Salvini, Söder oder auch Seehofer, der sich über 69 Abschiebungen an seinem 69. Geburtstag freute.

Kirche macht Eindruck

Diese Menschen sind keine blauäugigen Weltverbesserer. Sie sind zum Beispiel auch der Ansicht, dass man Zuwanderung ordnen, beschränken, steuern sollte. Aber sie mögen die Art nicht, wie grundsätzlich über Flüchtlinge gesprochen, wie Flucht- und Migrationsthemen ständig vermischt werden, wie die Regierung das Thema immer wieder hochzieht – auch wenn andere, dringlichere Themen auf der Agenda stünden. Es macht Eindruck auf sie, wenn sich Papst und Kardinal kritisch äußern zur europäischen Asylpolitik und Menschlichkeit einfordern.

Oder: Als Unternehmer in boomenden Wirtschaftszweigen bräuchten diese Menschen dringend junge, engagierte Fachkräfte aus dem Ausland – weil sie im Inland derzeit nicht zu finden sind (ein anderes Problem, das ebenfalls einer dringenden Lösung bedarf). Diese Menschen hielten ein vernünftiges Einwanderungsgesetz, eine Rot-Weiß-Rot-Card, die auch funktioniert, für sehr notwendig.

Gegen Ho-ruck

Sie sind etwa auch was die Arbeitszeitfrage betrifft durchaus der Ansicht, dass es noch mehr Flexibilität bräuchte – vor allem im Bereich des Tourismus. Allerdings hätten sie lieber den Kompromiss und den Ausgleich mit der Gewerkschaft gesucht, statt eine Ho-ruck-Aktion im Parlament unterstützen zu müssen.

Noch ein Beispiel: Als Anhänger eines schlanken Staates sind sie der Meinung, dass man im üppig ausgestalteten Sozialversicherungssystem durchaus sparen könnte. Aber sie finden es unangebracht, dass jene, die dort arbeiten (auch schwarze Funktionäre), von der Regierung öffentlich als höchst bezahlte Nichtstuer hingestellt werden.

Mangel an Mut

Allerdings: Offiziell treten diese Menschen derzeit nicht vor den Vorhang. Sie bleiben in ihrer Deckung, sie kämpfen nicht für ihre Standpunkte, Meinungen, Werthaltungen. Weil sie "der Partei nicht schaden" wollen, weil ja gerade, wenn man "den Kanzler stellt", Einigkeit alles sei. Niemand will den "Verräter" geben. Es fehlt an Mut und Zivilcourage, seine Meinung laut zu sagen – mit einigen wenigen Ausnahmen.

Das Phänomen ist aus der schwarz-blau-orangen Regierungszeit zwischen 2000 und 2006 bekannt. Auch hier galt oft als Outlaw, wer sich (zu) kritisch äußerte. Der ehemalige ÖVP-Generalsekretär Ferdinand Maier beschrieb den damaligen Debattenstil im ÖVP-Parlamentsklub als "Hände falten, Gosch'n halten".

Damals wie heute wirkt die schweigende, zustimmende Mehrheit innerhalb der ÖVP wie berauscht davon, dass man das Kanzleramt, und damit die Macht im Land, innehat. Dem wird viel untergeordnet – zu viel, wie einige (selbst-)kritische Geister hinter vorgehaltener Hand meinen. Aber eben nur hinter vorgehaltener Hand. Gut möglich, dass sie sich eines Tages fragen müssen, warum sie nicht früher "Stopp" gerufen haben. (Petra Stuiber, 13.7.2018)