Das Bonmot, das Donald Tusk als ständiger Ratspräsident der EU dem Partner in Washington zum Auftakt des Nato-Gipfels lieferte, hat etwas Rührendes: "Liebes Amerika, schätzen Sie Ihre Verbündeten, denn schließlich haben Sie nicht so viele", sagte der Pole bei der Unterzeichnung eines Kooperationsabkommens von EU und Nato in Brüssel.

Das ist nett gesagt und spricht auch eine einfache Wahrheit aus. Was an enger Partnerschaft, Freundschaft und gemeinsamer Sicherheit am 4. April 1949 mit der Nato begründet und in 70 Jahren seither geschaffen wurde, sollte man tunlichst pflegen, nicht einfach so wegwerfen. Denn es zeigt sich ja praktisch jede Woche: Die USA, an die "Europas Präsident" appelliert, gehen mit dem Rest der Welt auf Konfrontation – Nordkorea ausgenommen.

Cruise-Missiles auf Nato-Partner

Das Pech ist nur: Der eigentliche Adressat, Donald Trump, hat wenig übrig für Avancen à la Tusk. Man kann sich den US-Präsidenten lebhaft vorstellen, wie er an Bord seiner Air Force One über den Atlantik düste und via Twitter eine seiner verbalen Cruise-Missiles auf die europäischen Nato-Partner abfeuerte: "Unfair" und "inakzeptabel" sind dabei noch höfliche Ausdrücke, wenn es um die Aufteilung der finanziellen Lasten bei der militärischen Sicherheit geht.

Die Europäer in der Nato und ebenso die EU-Staaten, die zwar nicht der Allianz angehören, aber über die gemeinsame EU-Sicherheitspolitik indirekt eingebunden sind, sollten sich keinerlei Illusionen hingeben: Der US-Präsident blufft nicht. Sie haben es mit einem Mann zu tun, der twitterte: "Trump ist mit mehr als 90 Prozent Zustimmung der populärste Republikaner in der Geschichte der Partei. Wow!" Wer so über sich selbst spricht, noch dazu in der dritten Person, von dem kann man keine baldige Einsicht in die Vernunft erwarten.

Trumps Trümpfe

Ganz im Gegenteil: Es gibt auch im handelspolitischen Bereich immer mehr Anzeichen, dass Trump an der Sanktionenfront gegen Waren aus Europa einen Zahn zulegen wird. Er plant eine Art kalten Krieg im Autohandel. Daher kann man auch getrost davon ausgehen, dass der US-Präsident bei seinen Forderungen im militärischen Bereich noch eins draufsetzen wird. Er hat dabei sogar zwei Trümpfe in der Hand. Zum einen hat er das Ziel, dass die Europäer ihre Militärausgaben auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung erhöhen, nicht selbst erfunden. Das wurde bereits 2014 beim Nato-Gipfel mit Vorgänger Barack Obama vereinbart, einstimmig. Der frühere US-Präsident hat 2016 gesagt: "Ihr Europäer müsst selber mehr auf euch schauen, bei Bedrohungen durch Russland, aus Nahost, bei Terror und bei der Migration."

Trump fiel in den vergangenen Monaten eine zweite Trumpfkarte in die Hände: Die größten EU-Staaten in der Nato – Deutschland, Italien, Großbritannien – stecken in Regierungskrisen. In Frankreich kommt Präsident Macron unter Druck. Das wird der US-Präsident beinhart nutzen.

Auf kurze Frist scheint es keinen Ausweg aus diesem Drama zu geben. Die Europäer sind zu sehr mit sich selber beschäftigt. Mittel- und langfristig kann die Misere wie schon bei der Handels- und Außenpolitik wohl nur durch einen großen Schritt bei der EU-Integration gelöst werden. Die Europäer müssen eine glaubhafte gemeinsame Armee schaffen, das Geld dafür zusammenwerfen. Nur so werden sie auch in der Nato handlungsfähig bleiben. So war das in den 1950er-Jahren auch schon einmal geplant. (Thomas Mayer, 11.7.2018)