Hui Jin (Pilade), Iurie Ciobanu (Oreste) und Maria Radoeva in der Rolle der Ermione (v. re.).

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Erl – Dunkle Wolken über dem Festspielhaus, Salzburg hat seinen Schnürlregen für einen Tag an Tirol ausgeliehen. Und auch im bedrohlichen Bau von Delugan Meissl wurde zu Beginn der Festspiele Düsteres aufgeführt: Rossinis selten gespielte "Azione tragica" Ermione. Darin geht es um einen mächtigen König, der sich nicht zwischen zwei Frauen entscheiden kann.

Anonyme Vorwürfe

Doch dunkle Schatten, sie liegen schon seit Monaten über den Tiroler Festspielen Erl: Es gab aufgrund (von Blogger Markus Wilhelm) publizierter anonymer Vorwürfe gegen Festivalleiter Gustav Kuhn Klagen gegen Wilhelm. Zuletzt gab es dabei Versuche einer außergerichtlichen Diskussion. Es tauchten aber auch offene Briefe von Musikern auf, die von Kuhn beschimpft wurden. Und bevor diesen Sommer der erste Ton erklungen war, erhob erneut Mezzosopranistin Elisabeth Kulman ihre Stimme: Es sei Zeit, "gegen Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe" in Erl auszusagen.

Misstöne vonseiten der großteils aus Weißrussland stammenden Musiker des Orchesters waren bei der Premiere nur wenige zu hören. Kuhn, der Ermione 1987 in Pesaro aus einem 168 Jahre langen szenischen Dornröschenschlaf wachküsste, ließ federnd und sängerdienlich behutsam musizieren. Er deckelte die Dynamik – was bei der eröffnenden Sinfonia zulasten der Dramatik ging.

Zwei Rivalinnen

Auf der Bühne ereigneten sich Sängerfestspiele. Allen voran fesselte Maria Radoeva in der Partie der wankelmütigen Titelheldin: mit energischem Gestus, virtuos wie eine Nachtigall, mit rundem, nur in der Höhe etwas spitzem Ton. Edel und dunkel das Timbre von Svetlana Kotina als Andromaca, der Rivalin Ermiones um die Gunst von König Pirro. Dessen Koloraturprunk bewältigte Ferdinand von Bothmer wendefreudig und wurde nur in extremen Höhenlagen etwas eng. Zwei vokale Kraftquellen: Iurie Ciobanu als heldenhafter Oreste und Hui Jin als Kompagnon Pilade. Kraftvoll und präzise der Festspielchor.

Dieser musste übrigens szenisch bizarre Dinge aufführen, was dem Verständnis der Vorgänge keinen guten Dienst erwies. Das inszenatorische Wirken (vom Anonymus Furore di Montegral) mutete oft eher stümperhaft an und erinnerte an Kuhns Handschrift. Die geisterhaften, Andromacas Sohn Astianatte versinnbildlichenden Stoffpuppen, die Akteure mit sich schleppten, sind ein tragikomischer Tiefpunkt der Opernregie.

Zeitgenössische Sexyness

Zu Beginn des zweiten Aktes gefiel ein stimmungsvolles Bild (Peter Hans Felzmann) mit poetischem Meeresblick. Geht doch! Die Damenkostüme (Karin Waltenberger), die Anklänge an die Antike mit zeitgenössischer Sexyness verbinden, stellten ebenfalls eine rare Augenweide dar. Am Ende hatte es draußen aufgeklart, der Regen war Geschichte. Eine Aufklärung der Vergangenheit in Erl, sie wird hoffentlich bald von den juristischen Fachkräften erreicht. (Stefan Ender, 9.7.2018)