Gang im Flüchtlingsheim St. Gabriel. Nach Übersiedlung von mehr als der Hälfte Bewohnerinnen und Bewohner herrscht dort vielfach Leere.

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Maria Enzersdorf / Baden / Wien – 110 Flüchtlinge, neben unbegleiteten Minderjährigen großteils Menschen mit schweren psychischen oder körperlichen Erkrankungen, wohnten bis 16. Juni im Caritas-Heim St. Gabriel in Maria Enzersdorf. Nun sind es nur noch 44 Personen: Der niederösterreichische Asyl-Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) hat mehr als die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner absiedeln lassen, weil die Einrichtung seines Erachtens ein Sicherheitsrisiko für die Anrainer darstellte (DER STANDARD berichtete).

Immerhin, so Caritas-Sprecherin Andrea Frauscher, hätten sich der Landesrat sowie die Mitarbeiter der für Asyl-Angelegenheiten zuständigen Abteilung der niederösterreichischen Landesregierung bei den letzten zwei Übersiedlungsterminen großteils an ihr Versprechen gehalten, in besonders drastischen humanitären Fällen vom Abtransport abzusehen. Beim ersten Termin am 16. Juni waren just die am schwersten Erkrankten weggebracht worden, etwa ein auf den Rollstuhl angewiesener, an multipler Sklerose leidender 40-jährige Algerier sowie eine körperbehinderte und traumatisierte 50-jährige Kosovarin.

Unklar, wie es weitergeht

"Bei den folgenden Abholterminen wurden unsere Vorschläge, wer denn unbedingt bleiben solle, berücksichtigt – zumindest teilweise", sagt Caritas-Sprecherin Andrea Frauscher. Ob das Land nun vorhat, das noch vor einem Jahr von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) als Vorzeigeprojekt bezeichnete Grundversorgungsquartier halbleer zu belassen oder ob neuerliche Zuweisungen geplant sind, wisse die Caritas nicht. Die Zuständigen hielten sich diesbezüglich bedeckt.

Unklar ist laut Frauscher auch, ob es eine Möglichkeit gibt, jene Schwerkranken nach St. Gabriel zurückzuholen, die dies dringend wollen: etwa die 50-jährige Kosovarin, die in ihrer neuen Unterkunft, einem abgelegenen Heim bei Baden, sozial isoliert und völlig verzweifelt ist. Die diesbezügliche Entscheidung obliegt Waldhäusl. "Wir bemühen uns", sagt die Caritas-Sprecherin.

Afghane will zurück in den Iran

Mit in das bei Baden gelegene Heim musste am 16. Juni auch Masoud G. (Name der Redaktion bekannt) übersiedeln: ein 21-jähriger Afghane, der an einer akuten psychotischen Erkrankung leidet. 2013 nach Österreich gekommen, hat er nur einen Wunsch: Er will nach Hause zurück – doch dieser Ort liegt nicht in Afghanistan, sondern im iranischen Isphahan.

Dort lebt seine Ziehmutter, eine 71-jährige Hotelbetreiberin, die G., als er neun Jahre alt war, von der Straße holte und sich fortan um ihn kümmerte. Von seiner eigenen, in den Iran geflohenen afghanischen Familie war der Bub ausgerissen, weil er wiederholt misshandelt worden war.

Schon als Teenager labil

G. sei wohl schon damals psychisch labil gewesen, sagt der Psychiater Fritz Neuhauser, der den jungen Mann in Österreich mitbetreut. Die schmugglerunterstützte Reise nach Österreich mit 16 Jahren – Neuhauser: "Er ließ sich von Freunden überzeugen, mitzukommen" – und seine Probleme in Österreich hätten die Krankheit dann voll ausbrechen lassen.

Sieben Wochen saß G. im Winter in U-Haft, nachdem er in betrunkenem Zustand an der Kassa eines Supermarkts randaliert hatte. Beim darauffolgenden Prozess wurde er zu einer bedingten Haftstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Während er sich im Gefängnis befand, kam seine Ziehmutter nach Österreich. Sie wollte ihn mit zurück nach Isphahan nehmen – doch das erscheint unmöglich: die iranischen Behörden erteilten dem afghanischen Staatsangehörigen bisher keine Einreiseerlaubnis.

Treffen ohne Sprecherlaubnis

Selbst ein Gespräch zwischen Ziehmutter und -sohn scheiterte – an der Ablehnung der hiesigen Justizbehörden. Wochenlang hatten sich Unterstützer um einen Besuchstermin in der U-Haft bemüht, als es dann nach der Überwindung etlicher Hürden dazu gekommen sei, habe kein Dolmetscher zur Verfügung gestanden: die beiden hätten sich nur sehen, aber nicht miteinander reden dürfen – schildert Neuhauser.

Nach seiner Entlassung aus der U-Haft kam G. In eine Guntramsdorfer Unterkunft, wo er sehr unglücklich war. Er unternahm einen Suizidversuch, der nur von der iranischen Ziehmutter vereitelt wurde: der 21-Jährige hatte sie in verwirrtem Zustand angerufen, sie hatte die Unterstützer in Wien alarmiert.

Zuerst einmal nach Wien

Diesen gelang es in der Folge, die Übersiedlung des jungen Afghanen nach St. Gabriel zu erwirken. Dort ging es ihm besser – bis zur Übersiedlung in das Quartier bei Baden. Derzeit bemühen sich Neuhauser und andere Helfer, G. nach Wien zu bringen, wo sie allesamt leben. Die Entscheidung darüber liegt bei Landesrat Waldhäusl.

Und sie versuchen, doch ein Einreisevisum für G. in den Iran zu erwirken. In Österreich habe der in erster Instanz negativ beschiedene junge Mann null Perspektiven. Nach Afghanistan könne er aufgrund seiner Psychose nicht zurückgebracht werden, zumal er dort keinerlei Anknüpfungspunkte habe. "Die Ziehmutter in Isphahan hingegen will sich um ihn kümmern. Sie will ihn sogar adoptieren", sagt Neuhauser. (Irene Brickner, 9.7. 2018)