Es ist ein guter Tag für das Internet: Knapp, aber doch hat sich das EU-Parlament gegen die umstrittene neue Urheberrechtsrichtlinie entschieden. Die gerade in den vergangenen Wochen massiv intensivierten Bemühungen von Netzaktivisten, die vor einem nachhaltigen Schaden für die Freiheit im Internet gewarnt haben, haben schlussendlich also doch noch gefruchtet. Komplett vom Tisch sind die Vorschläge damit zwar noch nicht – immerhin soll im Herbst weiter über diese Pläne diskutiert werden, zumindest wurde aber ein wichtiger Etappensieg errungen.

Für die Copyright-Industrie und deren Vertreter ist das Ganze hingegen ein herber Rückschlag. Google und Facebook wollte man in die Schranken verweisen, den vermeintlichen Wilden Westen im Internet beenden und europäischen Rechteinhabern endlich das zukommen lassen, was ihnen zusteht! Mit solchen Heilsversprechungen hatten Lobbyverbände in den letzten Monaten massiv für die Richtlinie getrommelt. Das Problem dabei: Die Realität könnte kaum weiter von diesen Behauptungen entfernt sein, wie etwa ein Blick auf einen der problematischsten Punkte der erwähnten Richtlinie zeigt – die sogenannten Uploadfilter.

Wunschträume

Ginge es nach den Plänen der Industrie, hätten sämtliche Webseitenbetreiber dazu verpflichtet werden sollen, jegliche bei ihnen hochgeladenen Inhalte bereits vorab zu prüfen, um etwaige Urheberrechtsverstöße zu verhindern. Lobbyorganisationen verkauften diese Idee mit dem Versprechen, dass so endlich große US-Plattformen wie Google oder Facebook in die Schranken gewiesen und zur Kasse gebeten werden sollen. Immerhin würden dort massiv Rechtsverstöße begangen, von denen diese Konzerne indirekt profitieren.

Keine Filter?

Dabei vergisst man allerdings ein klitzekleines Detail zu erwähnen, das den unangenehmen Nebeneffekt hat, die aufgestellte Behauptung komplett in sich zusammenstürzen zu lassen: Googles Youtube, um das es hier primär geht, betreibt schon seit Jahren ein ebensolches System, um urheberrechtlich geschütztes Material auszufiltern. Die rechtliche Vorschreibung von Uploadfiltern trifft Google also nicht im Geringsten.

Wirklich davon betroffen sind hingegen alle anderen Webseitenbetreiber in Europa: Wenn etwa auf einem Nachbarschaftsportal künftig jemand eine Bohrmaschine mit jemandem anderen tauschen will, muss der Betreiber zuvor prüfen, ob das zur Illustration genutzte Foto nicht von irgendwo kopiert wurde. Der damit verbundene finanzielle Aufwand und die einhergehende Rechtsunsicherheit wären gerade für kleinere Unternehmen und Start-ups kaum tragbar.

Dass hier so viel im Konjunktiv verfasst ist, hat ebenfalls einen guten Grund: Wie eine solche Regelung schlussendlich technisch umgesetzt werden soll, ist eine Frage, zu der sich deren Verfechter bisher nämlich bisher noch keinerlei Gedanken gemacht haben. Die realistischste Lösung wäre dabei eine massive Datenbank, die sämtliches kopiergeschützte Material, also jedes Foto und jedes Video, indiziert, und dann bei jedem Upload einen Abgleich durchführt.

Und natürlich muss dieses System laufend erweitert werden, finden doch Dritte immer wieder Wege, solche Filter auszutricksen, wie Youtube in den letzten Jahren erkennen musste. Von Google weiß man auch, wie teuer solche Systeme sind, für den Betrieb von Content-ID gibt das Unternehmen jeden Monat mehrere Millionen US-Dollar aus. Woher dieses Geld kommen sollte, ist natürlich ebenfalls unklar.

Wer macht die Zensurbehörde?

Noch viel wichtiger ist aber die Frage: Wer sollte so ein System eigentlich betreiben? Dass jede einzelne Webseite ein eigenes Filtersystem aufzieht, darf angesichts der oben erwähnten Fakten ausgeschlossen werden – das ist einfach finanziell nicht tragbar. Die einfachste – und für die EU kostengünstigste – Lösung wäre, einfach ein Unternehmen damit zu beauftragen, das bereits jahrelanges Know-how in diesem Bereich gesammelt hat und auch die nötige Infrastruktur betreibt, sagen wir einmal: Google.

Das mag zunächst absurd klingen, aber an dieser Stelle darf daran erinnert werden, dass genau das bereits an anderer Stelle passiert ist: Die Durchsetzung des "Rechts auf das Vergessen" wird von Google administriert. Andere Anbieter übernehmen dann einfach die Entscheidungen des Konzerns – eben auch, weil sie sich die gesamte dafür notwendige Infrastruktur nicht leisten können oder wollen. Hier hat man also bereits ein privates Unternehmen in die Rolle eines Zensurwächters gedrängt.

Überwachung

Politisch wäre ein solcher Schritt angesichts der anhaltenden Anti-Google-Rhetorik von EU-Vertretern derzeit freilich nur schwer umzusetzen. Bliebe also noch die Variante, dass man selbst eine zentrale Filterplattform für Europa aufzieht und diese dann Webseitenbetreibern zur Verfügung stellt. Das Problem dabei: Dies würde de facto eine komplette Überwachung sämtlicher Uploads innerhalb Europas erlauben. Und wer glaubt, dass staatliche Stellen solch ein Instrument nicht nutzen würden, ist angesichts der politischen Entwicklungen der letzten Jahre im besten Fall naiv.

Jene, die hier in den letzten Monaten massive Lobbyarbeit für die neue Urheberrechtslinie gemacht haben, müssen sich angesichts solcher Fakten jedenfalls den folgenden Vorwurf gefallen lassen: dass sie hier eiskalte Interessenpolitik betreiben – und zwar ohne irgendeine Rücksichtnahme auf die Schäden, die man dem Internet mit dem eigenen Tun zufügt.

Bleibt zu hoffen, dass die aktuelle Entscheidung des EU-Parlaments eine komplette Abkehr von Uploadfiltern und Co bringt. Die Erfahrung rund um das mehrfach fabulös gescheiterte und doch offenbar nicht totzukriegende Leistungsschutzrecht lässt allerdings das Gegenteil befürchten. (Andreas Proschofsky, 5.7.2018)