Es hätte ein großer Wurf werden können. Einen solchen hätten Österreichs Unternehmen dringend gebraucht wie hunderttausende Beschäftigte auch. Denn das Arbeitszeitgesetz gleicht einem Fleckerlteppich, der im vergangenen halben Jahrhundert ständig ergänzt und geflickt wurde. Wer sich über seine Rechte schlaumachen will, braucht einen Anwalt – oder viel Zeit. Es gibt nicht einmal ein Kompendium mit allen gültigen Bestimmungen.

So gesehen ist das neue Arbeitszeit- und Arbeitsruhegesetz, das die Regierungsparteien am Donnerstag beschließen werden und das Zwölfstundenarbeitstage ermöglichen wird, eine Fortsetzung des über Jahrzehnte gepflegten Murkses. Wohl entkriminalisiert die türkis-schwarz-blaue Reformregierung unter Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die in vielen Betrieben gelebte Praxis. Eine zukunftsweisende Reform, wie man sie von einer "Reformregierung" erwarten darf, bringt man nicht auf Schiene. Sie erfüllt Wünsche von Industrie und Hoteliers, eine Wissenschaft bleiben die Arbeitszeitbestimmungen trotzdem. Auch inhaltliche Widersprüche werden perpetuiert, was Arbeits- und Sozialgerichte in den nächsten Jahren gut beschäftigten wird.

Dass die Gesetznovelle verbesserungsfähig ist oder (handwerklich) schlecht gemacht, wie Neos und Sozialdemokraten kritisieren, ist unbestritten. Die Liste an Widersprüchen ist lang, und es gibt viele gute Argumente gegen Zwölfstundenarbeitstage und verkürzte Ruhezeiten, insbesondere gesundheitliche.

Genau hier beginnt der Job der Opposition. Im Gegensatz zu den Neos, die "dem schlechten Gesetz" mit Änderungsanträgen Giftzähne ziehen wollen, versuchen das die Sozialdemokraten nicht einmal. Sie beklagen wortreich, dass Kontrollmechanismen außer Kraft gesetzt würden und der Willkür der Arbeitgeber Tür und Tor geöffnet würde. Konkrete Verbesserungsvorschläge bleiben sie aber schuldig – mit der fadenscheinigen Begründung, man wolle an einem schlechten Gesetz nicht herumdoktern.

Das ist zwar verständlich, aber auch verwerflich. Wenn das Gesetz Arbeitern und Angestellten tatsächlich so viele Nachteile bringt, wie von SPÖ und Gewerkschaft behauptet, dann müssen sie Regierung und Parlament mit Abänderunganträgen bombardieren, um Verbesserungen zu erzwingen. Fachexpertise sollte sich finden lassen.

Die Unterstützung der Öffentlichkeit wäre ihnen sicher, das hat die Großdemonstration gezeigt, bei der trotz Ferienbeginns Zehntausende durch die Wiener Innenstadt zogen. Schwer vorstellbar, dass sich ausgerechnet die selbsternannte Arbeiterpartei FPÖ dem Druck der Werktätigen widersetzt hätte. Der Antrag der SPÖ, eine Volksabstimmung abzuhalten, ist lächerlich. Er entstammt dem populistischen Repertoire der Freiheitlichen und ersetzt Sacharbeit nicht.

Mit dieser Taktik hat sich die SPÖ ins Out manövriert. Der Elan ist verpufft und die Regierung am Ziel. Auch wenn es manchen vielversprechend scheinen mag: Fortgesetztes Kampagnisieren gegen die Arbeitszeitflexibilisierung wird die Herbstlohnrunde nicht erleichtern. Das ohne öffentliche Begutachtung durchgepeitschte Arbeitszeitgesetz ist nicht mehr aufzuhalten: Es gilt ab Jänner 2019. Und enthält vieles, das in jener Sozialpartnereinigung vorgesehen war, die auf dem Altar der Neuwahl 2017 geopfert wurde. SPÖ und Gewerkschaft kämpfen also auch gegen ihren eigenen Kompromiss. (Luise Ungerboeck, 4.7.2018)