Wiens wahrscheinlich bestes Schnitzel, das es für Geld zu kaufen gibt, wird von einem Deutschen gemacht. Außer er ist auf Urlaub oder krank, dann übernimmt seine Co-Köchin, eine Vorarlbergerin mit vietnamesischen Eltern. Serviert wird es in einem Lokal, das nach einem Prager Selbstbedienungsladen benannt ist und im einst jüdisch geprägten, heute vornehmlich türkisch-afrikanischem Viertel zu finden ist: dem Automat Welt auf dem Wiener Volkertplatz.

Es ist für mich der Inbegriff eines gelungenen Schnitzels: saftig, aber nicht zu dick, knusprig, aber nicht so, dass man vor lauter Panier kein Fleisch mehr merkt, und mit einem so betörenden Butterschmalz-Geschmack, dass ich jedes Mal ein wenig traurig bin, wenn ich es (stets viel zu schnell) aufgegessen habe. Dass die Petersilerdäpfel dazu ebenfalls zu den allerbesten der Stadt gehören, ist eine höchst erfreuliche Draufgabe.

Als die Menschen in der Rondo-Redaktion mich gefragt haben, ob der Gruß aus der Küche in den kommenden Wochen etwas machen könnte, was irgendwie zur EU-Ratspräsidentschaft passt, fand ich es höchst passend, das Automat Welt zu besuchen und sie nach dem Geheimnis ihres famosen Schnitzels zu fragen. Das soll der Beginn sein einer kleinen Serie über Gerichte aus allen Ecken und Enden Europas, die den Menschen dort aus irgendeinem Grund wichtig sind – von Rumäniens Schwarzmeerküste bis zu den schottischen Hügeln. Weil Essen meiner Meinung nach ein wunderbarer Weg ist, Menschen und ihre Welt kennen zu lernen. Vorschläge in den Postings sind höchst willkommen.

Foto: Tobias Müller

Objektiv betrachtet, vereint das Wiener Schnitzel viel in sich, was an österreichischer Küche so furchtbar ist: ein Gericht, das aus fast nichts besteht, außer einem riesigen panierten Stück Fleisch. Kaum gewürzt, notorisch übergart, und zur Sicherheit traditionell aus dem geschmacklosesten aller Tiere geschnitten, befriedigt es vor allem die niedrigen Instinkte nach Fett und Knusprigkeit.

Gleichzeitig ist diese Plumpheit aber auch seine Stärke: Ein Schnitzel ist Realitätsflucht zum Essen, das kulinarische Äquivalent zu Disneyworld, wo Fleisch nicht nach Tier aussieht und zumindest auf dem Teller die komplizierte Vielfalt der Welt dem einfachen Bröselteppich weicht. Es ist so harmlos, dass es international gern an kleine Kinder verfüttert wird (in Österreich wird es bezeichnenderweise gern auch noch sprachlich als "Schnitzi" verniedlicht). Es kann entspannend, beruhigend, herzerwärmend füllend sein – und, wenn es mit Liebe gemacht wird, ganz, ganz köstlich.

Wer zuerst die Idee hatte, Fleisch weich zu klopfen und in altem Brot zu verstecken, ist unklar. Aufgeschrieben wurde sie, wie sehr viele Rezepte, wahrscheinlich zuerst in Paris im 18. Jahrhundert, von wo aus sie sich um die Welt verbreitete. Das "Wienerische" am Schnitzel war wohl zunächst die Garnitur: "À la Viennoise" meinte eine Mischung aus gehacktem Petersil, Sardellen, Kapern und Zitronen.

Andere Länder, andere Garnitur

Heute existieren zahlreiche Wiener Schnitzelvarianten: In Frankreich und Skandinavien wird es immer noch mit der klassischen Garnitur serviert, wie Kollege Corti in seiner schönen Schnitzelgeschichte "Schnitzel, fremdes Schnitzel" hier geschrieben hat. In Deutschland wird es gern mit Tunke umgossen (eine Sitte, die wiederum auf US-Besatzungssoldaten zurückgehen soll), in Westösterreich kommen Preiselbeeren dazu, in Ostösterreich eher nur Zitrone. Menschen, die glauben, es gäbe so etwas wie eine authentische Küche, bestehen darauf, dass ein Wiener Schnitzel aus Kalbfleisch gemacht wird, alle anderen nehmen, was ihnen besser schmeckt. In meinem Fall ist das meistens Schwein.

In Wien tauchte der Zusatz "Wiener" beim Schnitzel immer häufiger gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Kochbüchern auf und bezeichnete meist ein simples Kalbsschnitzel. Zu seiner aktuellen patriotischen Prominenz dürfte es frühestens in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg gekommen sein. Als im 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert immer neue Nationalstaaten gebastelt wurden, wurde gern auch die dazupassende Küche mit erfunden. Die eine Nation, die keine sein wollte, schrieb sich die "Wiener" und nicht die "österreichische Küche" zusammen.

Nach dem Untergang des Habsburger Reiches erschien eine Flut an Kochbüchern über die "Wiener Küche" und ihren angeblichen Weltruhm – wenn es schon kein großes Reich mehr gab, sollte es zumindest noch eine große Küche geben. (Leseempfehlung: Konrad Köstlin, "Die Wiener Küche", zum Beispiel hier.)

Foto: Tobias Müller

Im Automat Welt schert sich glücklicherweise keiner um sowas. In der Küche werkt seit ein paar Jahren Stefan Rimböck aus Bayern und Denise Nguyen aus Vorarlberg. Die beiden kochen nicht nur Schnitzel, sondern auch ungewöhnlichere Dinge wie Reisrollen mit Weißwurstfüllung oder eine Wiener Variante von Pho – das Rezept für die Suppe stammt von Denise' kochbegeistertem Vater, der es bei einem Wienbesuch gegen das Sauerkrautrezept von Stefans Großmutter tauschte.

Das Schnitzelmachen hat Stefan zwar bereits während seiner Kochlehre in Deutschland gelernt, erst in Wien aber hat er seine Kunst perfektioniert. Wobei es nicht nur am Koch liegt, ob ein Schnitzel gelingt. Einen mindestens so großen Anteil am Automat-Welt-Schnitzel hat Martin Neumann, der Besitzer. Der besteht nämlich seit der Eröffnung auf zwei wesentliche Dinge: erstens, dass das Fleisch für die Schnitzel super ist; und zweitens, dass die Schnitzel ausschließlich in Butterschmalz in der Pfanne gebacken werden. Das ist teuer und aufwendig, weil immer nur zwei Schnitzel in eine Pfanne passen, die wiederum eine der sechs Flammen des Herds blockiert – größere Schnitzelbestellungen werden damit regelmäßig zur logistischen Herausforderung. ("Ein Schnitzel kommt selten allein", sagt Denise). Die Mühe zahlt sich aber aus.

Wie stets bei sehr einfachen Rezepten liegt auch beim Schnitzel der Teufel im Detail, und es gibt eine erstaunlich große Variantenmöglichkeit bei der Zubereitung – bei Gelegenheit soll es hier einmal einen Test geben, mit Butter- und Rinderschmalz, und den verschiedenen Fleischteilen von Schale bis Schopf. Vorab der höchst bewährte Automat-Welt-Schnitzel-Prozess.

Die Zutaten

Schnitzel ist so simpel, dass es ohne gute Zutaten undenkbar ist. Das Fleisch im Automat Welt kommt von den Schweinen vom Fleischer Höllerschmid, die Brösel für die Panier stammen von einem Bäcker aus der Umgebung. (Früher verwendete Stefan die Anker-Brösel. Beide, Anker und Bäcker, seien sehr gut, meint er, bloß billige Supermarktbrösel gingen gar nicht: Sie seien unterschiedlich groß, was man in der Konsistenz merke – die fertige Panier mit Supermarktbröseln erinnere an Tiefkühlware.) Und, der laut Stefan letzte wesentliche Punkt, die Eier, in denen das Fleisch gewendet wird. In vielen Lokalen, in denen er früher gearbeitet hat, wurden sie mit Milch gestreckt. Im Automat Welt kommt nur Eigelb zum Einsatz.

Die Erdäpfel, die später neben dem Schnitzel liegen werden, kommen übrigens von einem Bauern, der am Samstag am Karmelitermarkt verkauft. Sie werden mit gar nicht so wenig Kümmel und Knoblauch gekocht, kräftig gebuttert und mit Petersil bestreut.

Die Zubereitung

Stefan schneidet seine Schnitzel aus der Schale, ungefähr zwei Finger dick, und, ganz wichtig, quer zur Faser. Pro Portion rechnet er 130 Gramm. (Zugegeben, nicht viel, aber es lässt genug Platz für Denise’ umwerfend gute im Kokosfett gebackene Powidl-Sauerrahm-Pofesen). Dann klopft er sie für den ganzen Abend vor: ziemlich fest und dünn, aber ohne das Fleisch komplett zu plattieren, und zwischen Klarsichtfolie, damit nichts klebt.

Foto: Tobias Müller

Unmittelbar vor dem Panieren wird das Fleisch kräftig gesalzen und dann erst durch Mehl, dann durch verquirltes Ei, dann durch die Brösel gezogen und die danach angedrückt.

Foto: Tobias Müller

In eine Pfanne, die groß genug ist für zwei Schnitzel, gibt Stefan ordentlich Butterschmalz, sodass das Fleisch darin nachher gemütlich schwimmt. Er macht es nicht zu heiß: Beim Reinlegen soll das Schnitzel eher sanft und entspannt blubbern statt übermotiviert zu schäumen.

Foto: Tobias Müller

Zunächst lässt Stefan es zwei, drei Minuten backen, dann wendet er es erstmals und rüttelt schließlich die Pfanne mehrmals kräftig durch, sodass das Fett ordentlich schwappt und die Panier später schöne Wellen wirft.

Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller

Wenn es auf beiden Seiten appetitlich goldbraun ist (aber nicht zu sehr, es zieht noch nach), hebt er es aus dem Fett, lässt es auf Küchenpapier kurz abtropfen und serviert es.

Leider mit Preiselbeeren und ohne Zitrone, aber was soll man machen, niemand ist perfekt.(Tobias Müller, 8.7.2018)

Foto: Tobias Müller

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