Eine Hornmilbe tut, was sie kann, aber über den Streckenrekord von zwei Zentimeter pro Tag kommt sie nicht hinaus.
Foto: Andy Murray

Leipzig – Gefressenwerden bedeutet für die meisten Tiere das Ende ihres Lebenszyklus – aber nicht für alle. Bei manchen Arten ist das sogar ein für ihre Ausbreitung notwendiges Stadium. Vor kurzem erst berichteten Forscher vom Bandwurm Schistocephalus solidus, der sich als Larve von Wirt A (einem Kleinkrebs) fressen lässt, in ihm verharrt, bis dieser seinerseits von Wirt B (einem Fisch) verschlungen wird, bis dieser schließlich zur Beute von Wirt C (einem Vogel) wird. In dessen Verdauungstrakt ist der Wurm dann endlich an seinem eigentlichen Ziel und vermehrt sich.

So ausgeklügelt ist der Vorgang nicht immer, aber auf Gefressenwerden als Teil des Lebenszyklus setzen viele Spezies: in erster Linie Pflanzen, die ihre Samen über den Kot pflanzenfressender Tiere verbreiten. Aber auch einige Tiere tun dies – offenbar auch Hornmilben, wie nun das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) berichtet. Von diesen winzigen Spinnentieren kannte man ein solches Verhalten bislang noch nicht.

Wesentlich schneller geht es, wenn eine Milbe auf eine dahinrasende Schnecke aufspringt (bzw. in deren Verdauungssystem einsteigt).
Foto: Manfred Türke, iDiv

Die Forscher um Manfred Türke sprechen von einem regelrechten "Shuttle-Service": Als Busse fungieren Nacktschnecken, die unter anderem Moose, Flechten und leider auch Gemüse fressen, wobei sie auch die im Boden omnipräsenten Hornmilben aufnehmen. Türke stieß auf sie, als er über Monate hinweg im Leipziger Auwald Spanische Wegschnecken sammelte und anschließend deren Exkremente unter dem Mikroskop untersuchte.

Dabei fand er jede Menge Hornmilben aus 36 verschiedenen Arten – und zu seiner Überraschung war die Mehrzahl von ihnen quicklebendig. 70 Prozent der gefressenen Milben hatten die Passage durch den Schneckendarm überlebt. Und konnten so auf der wesentlich längeren Passage, die die Schnecken absolvierten, Trittbrett fahren.

Alles eine Sache der Relation

Die Schneckenpost mag nicht das schnellste Transportmittel sein, aber für Bewohner des Mikrokosmos kommt sie einem Langstreckenflug gleich: Die nicht einmal einen Millimeter kleinen Milben könnten aus eigener Kraft maximal zwei Zentimeter pro Tag zurücklegen. Eine große Nacktschnecke schafft in derselben Zeit bis zu 15 Meter: "Das bedeutet eine etwa tausendfache Geschwindigkeit. Wenn eine Schnecke vorbeikriecht, ist es für eine Milbe so, als würde ein ICE vorbeidonnern", sagt Türke.

Der Ausbreitungsmechanismus könnte erklären, warum Milben und andere winzige Bodenbewohner neue Habitate erstaunlich schnell besiedeln. Türke vermutet sogar, dass sich eine Milbe "vorsätzlich" fressen lassen könnte: "Es wäre möglich, dass sie mitbekommt, wenn eine Schnecke in der Nähe ist und dann höher in die Vegetation kriecht, um gefressen zu werden." (red, 5. 7. 2018)