Österreich will nach dem deutschen Asylkompromiss keine Verträge zu seinen Lasten akzeptieren, verkünden am Dienstag Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Innenminister Herbert Kickl (beide FPÖ).

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Er erwarte sich von einem Treffen mit dem deutschen Innenminister Horst Seehofer "einiges an Klarheit", sagte Kanzleramtsminister Gernot Blümel zum aktuellen Streit über mögliche Zurückweisungen von Migranten und Flüchtlingen an der österreichisch-deutschen Grenze.

Nach einem für Donnerstag anberaumten Zusammentreffen mit Seehofer werde man "bewerten, was das genau heißt", und erst dann über eine Reaktion entscheiden. Welche Szenarien es gibt, wollte Blümel nach dem Ministerrat am Mittwoch nicht sagen. Und zur Kritik, dass das System der offenen Binnengrenzen nun ins Wanken gerate, meint Blümel: "Wir haben immer gesagt, wir brauchen europäische Lösungen, wir müssen die Außengrenzen schließen." Da das nicht funktioniert habe, gehe es eben nicht anders.

Hintergrund: Österreich will nach dem deutschen Asylkompromiss keine Verträge zu seinen Lasten akzeptieren. Dies hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag in einer Pressekonferenz mit Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Innenminister Herbert Kickl (beide FPÖ) in Wien klargestellt. Die Bundesregierung sei "sicherlich nicht bereit, Verträge zulasten Österreich abzuschließen", sagte Kurz.

Hofer erwartet "natürlich" Auswirkungen auf Verkehr

Infrastrukturminister Norbert Hofer (FPÖ) erwartet durch das von der Regierung angekündigte Hochfahren der Grenzen "natürlich" Auswirkungen auf den Verkehr. Als Beispiel nannte er nach dem Ministerrat am Mittwoch den Brennerpass in Tirol. Dennoch sei die Maßnahme wichtig, betonte der Minister. Diese könnte ein "Turbo" für eine gemeinsame europäische Lösung in der Flüchtlingspolitik sein.

Hofer wie auch Blümel drängen in der Frage der Asylpolitik auf ein gemeinsames Vorgehen in Europa. Nach dem jüngsten EU-Gipfel sei ein solches zumindest in Sichtweite.

Schramböck sieht keine Nachteile durch Kontrollen

Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) sieht durch das Hochfahren von nationalen Grenzkontrollen keine Nachteile für den Wirtschaftsstandort Österreich. Es gehe darum, den Druck auf die EU-Außengrenzen zu erhöhen, sagte sie am Mittwoch vor dem Ministerrat. Dadurch werde auch das Wirtschaften innerhalb des EU-Raumes vereinfacht.

Dauerhafte Kontrollen am Brenner wären Katastrophe

Am Mittwochnachmittag hat Infrastrukturminister Norbert Hofer (FPÖ) dann bei einem Briefing für Journalisten aus anderen EU-Ländern in Wien vor erheblichem wirtschaftlichen Schaden bei möglichen dauerhaften Grenzkontrollen am Brenner gewarnt, wie die Deutsche Presse-Agentur und die italienische Agentur ANSA am Mittwoch berichteten.

"Das wäre zweifellos eine Katastrophe", sagte Hofer laut dpa. Für jeden Umweg über die Schweiz müssten Speditionen je Lastwagen rund 100 Euro mehr Mautgebühr zahlen. Hofer warnte laut ANSA vor einem "Dominoeffekt" durch die geplante Verschärfung der Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland.

Warten auf deutschen Asylkompromiss

Hofer betonte, man müsse abwarten, wie Deutschland nach dem Asylkompromiss zwischen CDU und CSU tatsächlich weiter vorgehen wird. In dem Moment, in dem die deutsche Grenze dichtgemacht werde, werde Österreich an der Südgrenze ähnliche Maßnahmen ergreifen. Er sei jedoch optimistisch, dass eine Lösung gefunden wird.

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) wird am Donnerstag zu einem Gespräch mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in Wien erwartet. In Reaktion auf den deutschen Asylkompromiss hat die österreichische Bundesregierung eigene nationale Maßnahmen an den Staatsgrenzen nicht ausgeschlossen. Man sei darauf eingestellt, insbesondere Maßnahmen zum Schutz der Südgrenzen zu ergreifen, hieß es.

Kurz hatte mehrfach betont, dass auch Grenzkontrollen am italienisch-österreichischen Grenzpass Brenner zur Debatte stünden. CDU und CSU wollen Transitzentren für bereits in anderen EU-Ländern registrierte Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze einrichten. Aus diesen Zentren sollen Asylwerber direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden – wenn es entsprechende Abkommen gibt. Der Koalitionspartner SPD hat noch nicht entschieden, ob er dieser Regelung zustimmen wird. Auch eine Zustimmung der anderen Staaten ist unsicher.

Tirol laut Platter nicht "Wartezimmer Europas"

Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) hat am Mittwochnachmittag Deutschland und Bayern gewarnt, "einseitige Maßnahmen zulasten Österreichs und Tirols zu ergreifen". Denn eine "logische Konsequenz" von verstärkten Kontrollen und Zurückweisungen durch Deutschland wären etwa auch Kontrollen in Kufstein Richtung Süden.

Und ebensolche auf dem Brenner würden "hunderttausend deutsche Touristen" auf ihrer Heimreise treffen. Platter warnte vor den "gewaltigen Folgen" durchgängiger Grenzkontrollen sowohl für den Personen- als auch für den Transitverkehr, aber auch hinsichtlich der illegalen Migration.

"In kürzester Zeit würden wir unser Land Tirol nicht wiedererkennen", so der Tiroler Landeshauptmann. Von Juni bis Oktober 2017 wurden über den Brenner 6,2 Millionen Pkws und fast eine Million Lkws gezählt. An diesen Zahlen könne man ablesen, was verstärkte Kontrollen bedeuten würden.

In enger Abstimmung mit Kurz

Zudem stehe kein anderer Grenzübergang so wie der Brenner für ein Europa ohne Grenzen, gab Platter zu bedenken. Kehre die Brennergrenze zurück, sei "ein Europa ohne Grenzen gescheitert". Andererseits dürfe Tirol auch nicht "das Wartezimmer Europas werden", betonte Platter. Wie schnell es zu Folgemaßnahmen in Tirol kommen könnte, wollte Platter nicht beantworten.

Er sei diesbezüglich mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in "enger Abstimmung". Das Grenzmanagement sei in technischer Hinsicht jedenfalls innerhalb von 24 Stunden einsatzbereit, gab der Tiroler Landeschef zu bedenken: "Das muss man in Deutschland und Bayern wissen." Vom Treffen der EU-Justiz- und -Innenminister kommende Woche in Innsbruck erwartet sich Platter eine "vernünftige Diskussion, wie man die EU-Außengrenzen absichern kann". "Illegale Migration darf keine Chance haben", erklärte Platter. Er hoffe aber, dass die Innenminister die zu ergreifenden Maßnahmen "sehr sensibel" überlegen, damit ein Europa ohne Grenzen nicht durch "einseitige Maßnahmen" zerfällt.

Flüchtlings-Dringliche der Liste Pilz an Kurz

Angesichts der jüngsten asylpolitischen Aufwallungen in Europa stellte die Liste Pilz heute, Mittwoch, im Nationalrat eine dringliche Anfrage an Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Er sollte sich zum Thema Rückweisungen von Flüchtlingen aus Deutschland, über den Schutz der Südgrenze Österreichs, die Ergebnisse des EU-Gipfels und nicht zuletzt über das Verhältnis zur CSU äußern.

Kurz sieht Trendwende

Kurz setzte sich am Mittwoch im Nationalrat gegen die Kritik der Liste Pilz in Sachen Flüchtlingspolitik zur Wehr. Dass es heute wieder Grenzkontrollen in Europa bzw. den Wunsch nach diesen gebe, liege in der Verantwortung jener, die 2015/16 eine falsche Flüchtlingspolitik betrieben hätten. Der jüngste EU-Gipfel habe eine Trendwende gebracht, betonte er erneut.

Es gebe jetzt eine Regierung in Österreich, "die versucht, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen", sagte Kurz. Sein Versprechen: "Wir werden es zustande bringen, dass ein Europa ohne Grenzen wieder selbstverständlich ist." Dafür gebe es einen Plan, nämlich Hilfe vor Ort (die Österreich vor auch als EU-Nettozahler mittrage) und einen funktionierenden Außengrenzschutz der EU.

Der Kanzler bekräftigte auch seine Ablehnung der Möglichkeit zum Stellen von Asylanträgen in den vereinbarten Ausschiffungsplattformen. Die Diskussion dazu sei noch im Gange. "Wir setzen auf den Zugang zu Resettlementprogrammen direkt aus Kriegsgebieten", sagte er, denn damit entstünden keine Pullfaktoren.

Nicht zu Lasten von Österreich

Nicht mittragen wolle er Maßnahmen Deutschlands, die zulasten Österreichs gingen, wiederholte er sich. Sekundärmigration zu verhindern, sei allerdings im Interesse beider Länder. Man sei jedenfalls im ständigen Austausch mit Deutschland und warte die dortigen Entscheidungen ab; dann werde man adäquat reagieren.

Auf den Pilz'schen Vorwurf, dass er beim "Putsch" gegen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit der CSU im Bunde gewesen sei, ging Kurz nicht weiter ein, sondern verwies nur darauf, dass die gemeinsame Ministerratssitzung mit dem Münchener Kabinett bereits im Februar vereinbart worden sei.

Zuvor hatte Listengründer Peter Pilz in der Anfragebegründung den Kanzler vehement kritisiert. Im EU-Parlament sei Kurz selbst von seinen eigenen Fraktionskollegen boykottiert worden. Er betreibe einen "antieuropäischen Ratsvorsitz" und setzte mit seinen Freunden in München und seinen Vorbildern in Polen und Ungarn ausschließlich auf Flüchtlingsabwehr. "Das ist das Dümmste, was der jetzigen EU passieren kann", so Pilz.

Forsche SPÖ-Angriffe

Ziemlich polemisch ist die Debatte weitergelaufen. Ausdrücke wie "Grapscherkönig" und "B'soffener" flogen durch den Plenarsaal. Inhaltlich arbeitete sich die Opposition an Kanzler Kurz ab. Der geschäftsführende SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder meinte direkt an den ÖVP-Chef gewandt: "Sie nennen sich Brückenbauer, aber in Wahrheit machen sie Österreich und ganz Europa kaputt."

Statt konstruktiver Politik setze Kurz auf Profilierungssucht und Nationalismus. Die Folge sei Unsicherheit und Chaos in Österreich und eine Zerstörung des europäischen Konsens. Schieder unterstellte dem Kanzler, in der Flüchtlingsfrage gar kein Interesse an einer tragfähigen Lösung zu haben. Denn ohne die Zündelei der Regierung bliebe nur unsoziale Politik über, attestierte der SP-Klubchef nebenbei angesichts beispielsweise des 12-Stunden-Tags Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ), ein "Arbeiterverräter" zu sein.

Strolz als Ex-Fan von Kurz

Neos-Klubobmann Matthias Strolz outete sich als Ex-Fan von Kurz. Warum er es nicht mehr ist, erklärte er mit der europäischen Haltung des Kanzlers: "Das kann nicht der Ernst dieses jungen Menschen sein", meinte er zum Zugang Kurz'. Daher werde er auch nicht aufhören ihn zu rütteln. Denn mit seinem Können könnte der Kanzler anderes tun als Zündeln und Nationalismus zu befeuern.

Strolz fordert Kurz auf, positiv voranzugehen und die Schicksalsgemeinschaft Europa als Chancengemeinschaft zu begreifen. So könnte Europa etwa tausend Partnerstädte in Afrika suchen und Österreich dabei vorangehen.

Spalten statt einen

Seitens der Liste Pilz befand die Abgeordnete Alma Zadic, dass Kurz eine "Achse der Mutwilligen" bilde. Es werde gespalten, was eigentlich zusammengewachsen sei. Sie fühle sich angesichts der Regierungspolitik wie in George Orwells "1984", wo das sogenannte Wahrheitsministerium gezielt Fehlinformationen verbreite.

Die Koalitionsredner nahmen sich vor allem Erstredner Peter Pilz zur Brust und das durchaus deftig. So erklärte der freiheitliche Abgeordnete Hans Jörg Jenewein, Pilz werde bald 65, ein schwieriges Alter für einen Mann, umso mehr wenn dieser sich als "Grapscherkönig und Mandatskäufer einen besonderen Namen gemacht hat."

Verteidigt wurde von Jenewein der Zug zur Außengrenzsicherung unter anderem mit dem Verweis darauf, dass schon 2004 der deutsche SPD-Innenminister Otto Schily Auffanglager in Afrika gefordert habe.

Als Verteidiger der österreichischen Europapolitik zitierte der VP-Mandatar Werner Amon lange EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, wobei aus dem Auditorium offenbar der Ruf "Der B'soffene" zu vernehmen war.

Der vorsitzführende Präsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) wollte daraufhin erbost einen Ordnungsruf erteilen, konnte aber nicht eruieren, wer den Kommissionspräsidenten beflegeln wollte. Amon focht dies nicht an und dankte der Regierung noch, dass sie keine Zweifel daran lasse, keine Situation mehr wie bei der Flüchtlingskrise vor drei Jahren entstehen zu lassen. (sterk, APA, 4.7.2018)