Bild nicht mehr verfügbar.

Rund 180 Quadratkilometer Schilf umgeben das "Meer der Wiener", wie der Neusiedler See gern genannt wird.

Foto: Picturedesk / imageBroker / Heinz Hudelist

Viele Vögel leben im Schilf – wie der Drosselrohrsänger.

Foto: Michael Dvorak

Auf den ersten Blick mag der Schilfgürtel des Neusiedler Sees eintönig wirken. Dabei handelt es sich um eine äußerst vielfältige Landschaft: Schilfrohr unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Struktur wechselt mit kleineren und größeren Wasserflächen.

Das schafft optimale Bedingungen für zahlreiche Vogelarten, die auf genau diese Verhältnisse angewiesen sind. Auch wirtschaftlich wird das Schilf seit langem mit Erfolg genutzt. Die so mächtig scheinende Fläche ist jedoch alles andere als endlos: Neueste Untersuchungen zeigen, dass sich der Schilfgürtel in den letzten Jahren in besorgniserregender Weise verändert hat.

Natürliche Kläranlage

Rund 180 Quadratkilometer Schilf umgeben den Neusiedler See. Das ist nach dem Donaudelta der zweitgrößte zusammenhängende Schilfbestand Europas und einer der größten weltweit. Im Schilf lagern sich in den See eingetragene Nähr- und Schadstoffe ab, sodass der Schilfgürtel gewissermaßen als natürliche Kläranlage dient. Knapp die Hälfte des Schilfs wächst in der Naturzone des Nationalparks Neusiedler See Seewinkel, in der keine Nutzung mehr stattfindet. Die andere Hälfte ist genutzte Kulturlandschaft.

In den Jahren 2013/14 wurde für diesen Teil des Neusiedler Sees durch die Vogelschutzorganisation Birdlife Österreich und den WWF ein Managementplan erstellt, der auch eine naturschutzgerechte und nachhaltige Bewirtschaftung des Schilfgürtels vorsieht. Ein heuer gestartetes und von der EU gefördertes Projekt befasst sich mit dem Zustand des Schilfs und seiner Erhaltung, wozu allem voran auch entsprechende Erntemethoden gehören. Durchgeführt wird das Projekt vom WWF und Birdlife Österreich in Zusammenarbeit mit der Esterhazy Betriebe GmbH, der 73 Prozent der Fläche gehören.

Gerade für Schilfrohr ist die landwirtschaftliche Nutzung kein Problem – im Gegenteil: Die Ernte erfolgt im Winter, während sich alle Nährstoffe der Pflanze in den unter Wasser liegenden Wurzelstöcken oder Rhizomen befinden. Der Schnitt sorgt sogar für besseres Wachstum im darauffolgenden Frühjahr, weil die neu nachkommenden Halme so mehr Licht haben.

Schilfernte mit Pistenraupen

Allerdings sind die Winter nicht mehr das, was sie einmal waren: "In den letzten zehn bis 15 Jahren ist der See oft nicht zugefroren oder erst sehr spät im Jahr wie heuer im März", sagt Projektleiter Bernhard Kohler vom WWF, "das führt dazu, dass die Schilfschneider irgendwann hinausfahren und notfalls im Schlamm ernten." Wie der Vergleich zwischen aktuellen und älteren Luftbildaufnahmen erst kürzlich gezeigt hat, hat das oft fatale Folgen für das Schilf: "Ein Viertel der Schilfflächen sind bereits dauerhaft geschädigt", erklärt Kohler.

Das Problem sind die Erntemaschinen: Es gibt keine eigens dafür gefertigten Geräte, sondern es sind diverse umgebaute Gefährte, wie zum Beispiel Pistenraupen im Einsatz, mit denen sich die Aufgabe gut bewältigen lässt. Jedenfalls auf einer Eisdecke – für den Schlamm sind die Maschinen oft zu schwer: Vielerorts zerquetschen sie die Wurzelstöcke des Schilfs und zerstören es damit dauerhaft. "Es gibt ehemalige Ernteflächen, die nach 30 Jahren noch immer schilffrei sind", führt Kohler aus. Das liegt daran, dass die zerquetschten Rhizome verfaulen und dabei giftige Stoffe freisetzen, die das Aufkommen neuer Pflanzen behindern, wenn nicht unmöglich machen.

Im Unterschied zu vielen anderen sensiblen Lebensräumen liegt das Problem beim Neusiedler See nicht in der Gedankenlosigkeit oder gar Gier der wirtschaftlichen Nutzer: "Die Schilfschneider waren genauso schockiert von diesen Ergebnissen wie die Naturschützer und sind genauso an einer Lösung interessiert", betont Kohler.

Tragbare Lösung

Im Zuge des laufenden Projekts sollen die verschiedenen im Einsatz befindlichen Erntemaschinen auf ihre Umweltverträglichkeit getestet und eine im wahrsten Sinne des Wortes tragbare Lösung gefunden werden. Dazu gehört neben der Erhebung ihrer Auswirkungen auf das Schilf selbst auch die Erfassung ihrer Wirkung auf Vögel und Amphibien des Schilfgürtels. Außerdem sollen diese als besonders wichtige Altschilfflächen ausgewiesen und entsprechend geschützt werden.

Die ersten experimentellen Schnitte sind für die kommenden Winter geplant: Auf einer möglichst gleichförmigen Schilffläche soll dann mit den verschiedenen Maschinentypen geerntet werden. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den Amphibien: Viele Arten überwintern im Schlamm und könnten durch die Maschinen zu Tode kommen. In der Folge soll ein Gerät entwickelt werden, das das Schilf und seine Bewohner auch in milden Wintern möglichst wenig beeinträchtigt.

Allerdings ist der Schnitt nicht das einzige Problem für den Schilfgürtel: Stellenweise leidet er nämlich auch an Überalterung, kombiniert mit reduzierter Nährstoffversorgung des nicht geschnittenen Schilfbestands. Der Mariskensänger und das Kleine Sumpfhuhn haben am Neusiedler See ihr einziges österreichisches Brutgebiet und ihr wohl wichtigstes europäisches Habitat. Sie bevorzugen fünf bis 30 Jahre altes Altschilf mit offenen Wasserflächen. Wird das Schilf allerdings älter, sinken deren Bestände. Der Drosselrohrsänger kommt hingegen auch in dichteren, jüngeren sowie in genutzten Röhrichtflächen vor.

Burgenländische Rieddächer

"Der Schilfgürtel ist sehr schwierig zu managen", betont Birdlife-Experte Erwin Nemeth, "man muss sich überlegen, welche Arten man fördern möchte. Ein nachhaltiger und räumlich alternierender Schilfschnitt würde die Bestände aller Arten sichern.

Gegen die extreme Überalterung einzelner Schilfbestände könnte auch ein räumlich kontrolliertes, winterliches Abbrennen helfen, wie es bis in die 1990er-Jahre praktiziert wurde." Heute ist das aufgrund der Luftreinhaltebestimmungen allerdings nicht mehr möglich.

Sehr beliebt ist das Neusiedler-See-Schilf in der Dachdeckerei, denn sein hoher Silikatgehalt macht es besonders dauerhaft. "Fast alle Rieddächer, die Sie in den Niederlanden oder England finden", erklärt Kohler, "sind mit burgenländischem Schilf gedeckt." (Susanne Strnadl, 8.7.2018)