Rosa für sie, blau für ihn: die ersten Schritte in Richtung Stereotype innerhalb eines streng binären Geschlechtssystems.

Foto: APA/dpa/Oliver Berg

Es geht meistens schon los, bevor "Es" überhaupt auf der Welt ist: Wird es ein "Er" oder eine "Sie"? Eine große Frage für viele Eltern, aber auch für alle anderen, wenn von einer Schwangerschaft berichtet wird. Sei es, um Gesprächsstoff über einen kleinen Menschen zu gewinnen, über den wir noch so wenig wissen, sei es, um diese erste Information als Anhaltspunkt für etwaige Prognosen heranzuziehen. Wird der Bauch eher spitz (Bub) weiterwachsen oder eher rundlich (Mädchen) – eine "Weisheit", die wohl viele Schwangere zu hören kommen –, wird die Erstausstattung hellrosa oder hellblau sein.

Und das ist erst der Anfang einer Reihe lebenslanger Einsortierungen in unser Zweigeschlechtersystem. Bekommt das Kind etwa einen nicht sofort klar als weiblich oder männlich erkennbaren Namen, reicht das schon, um bei manchen völlige Ratlosigkeit auszulösen. Und ist das einjährige (!) Kind anhand der Kleidung nicht in Sekundenschnelle identifizierbar, macht sich schon mal Unbehagen breit – das geht bis hin zu offenkundiger Scham, wenn das Mädchen als Bub angesprochen wird oder umgekehrt. Den Kindern ist es freilich herzlich egal, während sich die (fremden) Erwachsenen nicht selten untertänigst bei den Eltern entschuldigen und rechtfertigen, "wegen der blauen Jacke dachte ich …".

Das sagt alles schon extrem viel darüber aus, wie wichtig uns das Zweigeschlechtersystem noch immer ist, wie wichtig es etwa ist, dass wer "männlich" aussieht, auch ein Mann "ist". Die Einteilungswut in "männlich" oder "weiblich" ist für inter- und auch transsexuelle Menschen eine tagtägliche Herausforderung. Im Vergleich dazu erscheint das Urteil des VfGh in Urkunden, künftig auch "inter", "offen" oder "divers" angeben zu können, als kleiner Schritt, angesichts des herrschenden Geschlechterfetisch ist es aber eben dennoch ein riesiger.

Einigkeit, fast

Dass dieser Schritt einer in die richtige Richtung ist, darüber sind sich alle Parteien einig. Fast. Ein wichtiger Meilenstein für die Anerkennung für intergeschlechtliche Menschen, heißt es aus der SPÖ, "endlich sind wir im 21. Jahrhundert angekommen", meinen die Neos, und auch bei der Liste Pilz wird das Urteil uneingeschränkt begrüßt, von den Grünen sowieso. Während also weitgehend Konsens darüber herrscht, dass wir gerade einen gesellschaftspolitischen Fortschritt erleben, sehen das die Regierungsparteien anders und bestätigen damit einmal mehr ihren Hang zur Nostalgie bei sämtlichen Genderfragen.

Während die ÖVP sich zu keiner Reaktion herablässt (unwichtig?), bangt die FPÖ sofort um die Privilegien der Mehrheitsgesellschaft. Was ist jetzt etwa mit der Wehrpflicht? Oder mit dem Pensionsantrittsalter, sorgt sich FPÖ-Verfassungssprecher Harald Stefan. So, also ob da jemand mal schnell die Geschlechtsidentität switcht, weil die Pension in zu weiter Ferne liegt. Oder die Care-Arbeit im Zivildienst scheut, die Wehrpflichtige als Alternative haben. Dass Frauen wegen der für sie nicht geltenden Wehrpflicht – wie es immer wieder aus rechtspopulistischen Kreisen heißt – strukturelle Bevorzugung genießen würden, ist das angesichts der erheblichen Mehrarbeit, etwa die unbezahlte Sorgearbeit, von Frauen übrigens schlichtweg zynisch – aber gut, das ist wieder eine andere Geschichte.

Danken statt treten

Wenn wir allerdings über den Reflex reden, einer bisher benachteiligten Gruppe ihre Rechte wegen eines möglichen Terrain- oder Privilegienverlustes des weißen Heteromannes zu verwehren, dann ist es doch wieder nicht eine so andere Geschichte. Es ist ein schäbiger Reflex, insbesondere deshalb, weil er sich gegen eine besonders kleine Gruppe richtet. Jenen intersexuellen Menschen, in Österreich etwa Alex Jürgen, die für dieses VfGh-Urteil gekämpft haben, sollte stattdessen gedankt werden: Sie haben einen kleinen Riss in eine massiv limitierende Geschlechterkultur bewirkt und somit für uns alle verdammt viel getan. (Beate Hausbichler, 4.7.2018)