Am 4. Juli beginnt in Graz der Prozess gegen 17 Mitglieder der "Identitären". Nach einer längeren Serie von Misserfolgen und gesunkener politischer Relevanz, könnte die Gruppe durch die zu erwartende Berichterstattung wieder mehr Aufmerksamkeit bekommen. Um die "Identitären" nicht mächtiger oder harmloser darzustellen als sie eigentlich sind, sollten die sie dabei weder kleingeredet, noch Stagnation und Scheitern ihrer jüngsten Aktivitäten ausgespart werden.

Ab 4. Juli müssen sich "Identitäre" am Straflandesgericht in Graz verantworten.
Foto: APA/Erwin Scheriau

Stagnation und Scheitern

Die unrühmliche Rolle der Medien beim Großwerden der "Identitären" scheint sich langsam aber stetig zu ändern. Hatte gerade die jahrelange, oftmals unkritische Berichterstattung über Aktionen der "Identitären" noch zu deren Bekanntwerden maßgeblich beigetragen, wurde die rechtsextreme Gruppe in letzter Zeit in der Berichterstattung eher vernachlässigt. Sowohl der Versuch mehrerer identitärer Aktivistinnen über eine auf YouTube verbreitete Videobotschaft ein rechtsextremes #Metoo zu starten, als auch ein Beginn des Jahres initiiertes identitäres Internetzeitungsprojekt gingen eher unter Ausschluss der Öffentlichkeit über die Bühne. So konnten sie für letztgenanntes weder ausreichend Sponsorinnen und Sponsoren noch Leserinnen und Leser mobilisieren und auch die Kampagne, die versucht, Frauenrechte rassistisch zu instrumentalisieren fand in der österreichischen Medienlandschaft keine nennenswerte Erwähnung.

In Deutschland entschieden sich Tageszeitungen durchgängig für gut recherchierte, kritische Berichtserstattung über die erwähnte Kampagne, während andere, kleine Aktionen der Gruppe in den Medien (endlich) keine Aufmerksamkeit fanden. Zudem wurden erst kürzlich die regionalen wie auch nationalen Gruppenaccounts der "Identitären" auf den Social-Media-Plattformen Facebook und Instagram gesperrt und Einreiseverbote in Großbritannien gegen mehrere Aktivistinnen und Aktivisten erfolgreich umgesetzt. Hinzu kommen die "Flops" des letzten Jahres: Dazu zählt beispielsweise ihr – zwar gescheiterter aber dennoch zutiefst menschenverachtender – Versuch mit einem gecharterten Schiff im Mittelmeer NGOs daran zu hindern, Geflüchtete in Seenot zu retten. Ebenso mussten sich die Kader der "Identitären" auch eingestehen, dass sie mit den knapp 600 Personen, die sie vergangenes Jahr für ihren Aufmarsch in Berlin mobilisieren konnten, weit von der erhofften "(Massen-)Bewegung" entfernt sind, als die sie sich immer wieder zu inszenieren versuchen. Auch abseits des anstehenden Prozesses und der voraus gegangenen Hausdurchsuchungen, scheint es wahrlich kein erfolgreiches Jahr für die "Identitären" gewesen zu sein.

Mediale Präsenzen

Die sinkende gesellschaftliche und mediale Aufmerksamkeit für die rechtsextreme Gruppe könnte sich durch den anstehenden Prozess, bei dem einzelnen Mitgliedern Verhetzung, Mitgliedschaft und Gründung einer kriminellen Vereinigung sowie Sachbeschädigung und Nötigung vorgeworfen wird, wieder ändern. Das zeigt sich bereits im Vorfeld, da die "Identitären" seit Bekanntwerden der konkreten Anklage wieder deutlich stärker in den Medien präsent sind. Während nennenswerte Solidaritätskampagnen mit der Gruppe aus dem rechtsextremen Milieu bislang ausgeblieben sind, kommt auch die "Kritik" an den Ermittlungen sowie der Anklageerhebung einerseits von (ehemaligen) Politikern, andererseits wird auch in den Tageszeitungen Stimmung gemacht. So echauffierte sich beispielsweise der ehemalige Chef der FPÖ-Abspaltungspartei BZÖ, Gerald Grosz, in einem an den Justizminister Josef Moser (ÖVP) gerichteten Facebook-Kommentar darüber, ob dieser "politischen Aktivismus und politische Meinungsäußerung in Zukunft unter dem Mafiaparagrafen aburteilen lassen" wolle. Indem er zudem fragt, ob "Greenpeace" oder "Global 2000" als nächstes kommen würden, übernimmt er die verharmlosende (Selbst-)Inszenierung der "Identitären" als eine NGO unter vielen. Geteilt wurde der Kommentar auch von Vizekanzler Heinz-Christian Strache – auf seinem "privaten" Account.

Kurz vor dem Prozess heißt es auch in der Tageszeitung "Die Presse" einerseits, dass "Experten kritisieren" würden, dass die Staatsanwaltschaft Graz "ein Gesinnungsstrafrecht" einführe. Andererseits ist die Rede davon, dass die Anklage "öffentliche IBÖ-Aktionen auf[liste], in der die Bewegung unter anderem gegen Zuwanderung protestiert". Dazu lässt sich anmerken, dass die Gruppe gerade durch die Bedienung des "Bewegungsbegriffs" erneut größer gemacht wird, als sie eigentlich ist und die Einschätzung ihrer Aktionen als "zuwanderungskritisch" eindeutig zu deren Verharmlosung beiträgt, da gerade der rechtsextreme Charakter sowie die Gefährlichkeit der Gruppierung im besagten Beitrag keine Beachtung finden. Eine ähnlich kritisch ausfallende Berichterstattung wäre nicht nur beim Prozess gegen die "Identitären" wünschenswert gewesen, sondern auch als der Paragraf der "Kriminellen Vereinigung" gegen Tierrechtlerinnen und Tierrechtler sowie Aktivistinnen und Aktivisten der Refugee-Bewegung angewendet wurde.

Zuvor hatte Manfred Seeh in der selben Zeitung die beiden Prozesse zwar erwähnt, jedoch in erster Linie, um die "Identitären" in eine Reihe von "rigorose[m] Vorgehen der Behörden" einzugliedern. Auch sein Beitrag kam ohne eine entsprechende Thematisierung der rechtsextremen Ausrichtung der Gruppe aus, veröffentlichte aber – ohne weitere kritische Kommentierung – ausführlich O-Töne der "Identitären". So kann festgehalten werden, dass Fragen wie "Wie viel politischen Aktionismus muss eine moderne, auf rechtsstaatlichen Prinzipien beruhende Demokratie aushalten?", die in besagten Kommentar aufgeworfen wurden, durchaus diskutiert werden sollten, allerdings ohne dabei auf verharmlosende Art und Weise Sympathie für die "Identitären" zu generieren. Ganz unabhängig von Legitimität des Paragrafen, der Anklage sowie auch des kommenden Gerichtsurteils ist und bleibt die Ideologie der "Identitären" menschenverachtend und brandgefährlich, geht es ihnen ja um die Schaffung einer "ethnisch relativ homogenen Gemeinschaft", die unter den Voraussetzungen einer durch Migration geprägten Gesellschaft nur mit massiver Gewalt durchzusetzen wäre.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der anstehende Prozess durchwegs widersprüchlich einzustufen ist, da er zwar große zeitliche wie auch finanzielle Ressourcen der Gruppe binden wird. Gleichzeitig bleibt – wie bereits erwähnt – zu befürchten, dass die "Identitären" dadurch erneut starke mediale und öffentliche Aufmerksamkeit für ihre politische Propaganda erhalten werden.

Was dann?

Abschließend stellt sich nun die Frage, was in der medialen Berichterstattung über die "Identitären" anders gemacht werden könnte? Die Antworten darauf scheinen weniger schwer zu finden, als vielleicht angenommen werden könnte. So bietet es sich beispielsweise in Hinblick auf die Verwendung von Bildmaterialien an, schlichtweg keine Selbstinszenierungen der "Identitären" mehr zu reproduzieren, sondern stattdessen Fotos von Gegenprotesten oder von Betroffenen zu verwenden und dadurch den Fokus weg von den Täterinnen und Tätern hin zu den Betroffenen zu rücken. Eine weitere Möglichkeit, die auch von kritischen Rechtsextremismusforscherinnen und -forschern immer wieder vorgeschlagen wurde, wäre gänzlich auf symbolisches Bildmaterial zu verzichten, da dieses oftmals retraumatisierend für Betroffene wirken kann. Weiters wäre eine kritische Auseinandersetzung mit rechtsextremen Selbstbezeichnungen wie "zuwanderungskritisch", "identitär", "Neue Rechte" und ähnliches dringend von Nöten, um entsprechenden Verharmlosungen und Selbstinszenierungen nicht in die Hände zu spielen. An ihre Stelle sollten vielmehr Begriffe rücken, die tatsächlich die Ideologie und das Programm, für das die "Identitären" einstehen, zu beschreiben vermögen: rechtsextrem und neofaschistisch.

Eine Gegendemonstration in Solingen: "Rassismus ist keine Meinung"
Foto: imago/Deutzmann

Anstatt unmittelbar nach jedem Prozesstag mit Beiträgen in den Medien zu reagieren, wäre es durchwegs sinnvoller, ausführlich die Hintergründe, Inhalte und Ziele der jeweiligen verhandelten Aktionen und Ereignisse zu recherchieren sowie die Konsequenzen der aufgestellten Forderungen durchzudenken um tatsächlich kritische Berichtserstattung gewährleisten zu können. Expertinnen und Experten wie Rechtsextremismusforscherinnen und -forscher oder Prozessreport ebenso wie Betroffene zu Wort kommen zu lassen, anstelle der bislang veröffentlichten Wortspenden von "Identitären" selbst, würden einen wichtigen Perspektivenwechsel in der Berichterstattung mit sich bringen. Zudem scheint es dringend von Nöten, die Grenzen des Nicht-Tolerierbaren zu schärfen und menschenfeindlichem Gedankengut insbesondere in der Öffentlichkeit keinen Platz und keine Legitimation einzuräumen. Dementsprechend wäre es an der Zeit, "Identitären" ebenso wie anderen Rechtsextremen und Neonazis nicht durch Einladungen zu öffentlichen Auftritten Legitimationsvorschub zu verleihen, sondern ihnen (wieder) konsequent die Bühne zu verweigern. Nicht zuletzt scheint es aber auch wichtig, die metapolitischen Bemühungen der "Identitären" zu durchschauen und die von ihnen in den Diskurs gebrachten, umgedeuteten oder neu geschaffenen Wörtern nicht zu reproduzieren, sondern kritisch zu kommentieren und die dahinter stehenden rassistischen und menschenverachtenden Inhalte zu entlarven. (Judith Goetz, 4.7.2018)

Judith Goetz ist Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit und hat gemeinsam mit Joseph Maria Sedlacek und Alexander Winkler den Sammelband "Untergangster des Abendlandes. Ideologie und Rezeption der rechtsextremen 'Identitären'" herausgegeben.