Das Leben ist jetzt so schön wie nie! Wir, die wir einfach nicht wussten, wohin mit unserer Zeit, unserem Geld und Verstand, haben endlich so schöne, einfache, einleuchtende Vorgaben erhalten, da kann echt nix mehr schiefgehen.

Das Leben wird endlich überschaubar, keine quälenden Entscheidungsschwierigkeiten. Wohin mit der Freizeit, wen man treffen will und wen lieber nicht, ob man dieses Buch lesen solle oder jenes? Es bleibt nach Einführung der wundervollen Arbeitszeitflexibilisierung eh keine Zeit mehr – weder für dieses noch für jenes. Und Geld wird es auch eher weniger zum Einteilen geben, was gut ist, weil das vereinfachte Leben, wie viele Zenmönche seit Jahrtausenden vorgelebt haben, sowieso besser für Gemüt, Erleuchtung, ja sogar gegen das ewig im Kreis laufende Samsara ist.

Das simple Leben, meine Damen und Herren, macht sowieso glücklicher als sämtliche unnötig verwirrende Ausschweifungen, in die ein Achtstundentag das unglückselig früh in seine Eigenverantwortung entlassene Individuum davor gestoßen hat. Die Kinderbetreuung, die für einen solchen Zwölfstundentag natürlich keinesfalls ausgebaut werden soll, kann selbstverständlich sogar gekürzt werden.

Dann können sich die Mütter auch endlich auf das Wesentliche konzentrieren, und Alleinerziehende beiderlei Geschlechts können sich fröhlich einfach die Kugel geben, weil ihr Leben zu einer zeitimmanenten Zwickmühle transformiert, in der sich die beiden Geraden Kinderbetreuung und Geldheranschaffung in der Unendlichkeit irgendwann treffen werden, vermutlich dann, wenn das Universum in sich zusammenbricht, aber das hat ja ein bisschen Zeit.

Und wenn wir schon von Geldbeschaffung sprechen: Wer in dieser gut durchdachten schönen neuen Arbeitswelt nicht weiß, wie er sich so über die Runden bringen soll, kann immer noch Demonstrant werden. Hauptberuflich. Die Bezahlung dieses weltweit erprobten Modells ist, wenn man diversen Führungspersönlichkeiten aus autoritär angehauchter Ecke lauscht, hervorragend. (Julya Rabinowich, 30.6.2018)