Eine Umfrage unter Betriebsräten kam zu dem Schluss, dass Druck und Arbeitspensum steigen.

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Wien – Die Aufregung über die von der Regierung geplante Arbeitszeitflexibilisierung flacht nicht ab. Am Mittwoch meldete sich die zuständige Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) zu Wort, um die Freiwilligkeit zu betonen. "Bei der elften und zwölften Stunde kann der Arbeitnehmer ja Nein sagen", sagte Hartinger-Klein der "Kleinen Zeitung". Am Nachmittag tagt zum Thema der Sozialausschuss im Parlament.

Auf die Frage, wie oft eine Billa-Verkäuferin ablehnen kann, bevor sie gekündigt wird, sagte Hartinger-Klein: "Sie wird den Job nicht verlieren. Wenn sie dreimal Nein sagt, und der Arbeitgeber kündigt sie, dann wird sie beim Sozialgericht gewinnen." Dass die Betriebsräte nicht eingebunden werden, begründete sie damit, dass es oft so sei, dass "der Betriebsrat etwas anderes will als der einzelne Arbeitnehmer". Die Sozialpartner seien jetzt gefordert, sozialen Unfrieden abzuwenden.

Betriebsräte sehen höheren Arbeitsdruck

Eine Ifes-Umfrage unter Betriebsräten im Auftrag der Arbeiterkammer kam laut ORF-Radio unterdessen zu dem Ergebnis, dass Druck und Arbeitspensum steigen. Bei einer Änderung der Arbeitszeitmodelle sehen die befragten Belegschaftsvertreter größere Gefahren für die Arbeiter als für die Angestellten. "52 Prozent der Betriebsräte sagen, ausgehend von einem ohnehin schon sehr hohen Belastungsniveau, dass Arbeitsdruck und Arbeitsmenge sich im letzten Jahr erhöht haben", sagte Georg Michenthaler vom Ifes-Institut.

Die Gewerkschaft Vida warnte davor, mit der 60-Stunden-Woche das Vereinsleben und das ehrenamtliche Engagement in freiwilligen Feuerwehren zu gefährden. Vida-Chef Roman Hebenstreit rief die Feuerwehrverbände auf, am 30. Juni in Wien mitzudemonstrieren. Die Wirtschaftskammer rückte daraufhin zur Beruhigung aus: Österreichs Betriebe hätten Verständnis für Freiwilligenarbeit, es seien auch Einsätze während der Arbeitszeit möglich.

Blickwinkel auf Pendler

Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl richtet indes den Blickwinkel auf die Pendler: Für Autofahrer steige die Unfallgefahr nach überlangen Arbeitszeiten, und die Öffi-Pendler hätten außerhalb der Hauptverkehrszeit mit langen Wartezeiten zu rechnen. Das Pendlerforum Burgenland beschloss zudem eine Resolution gegen die 60-Stunden-Woche. Der Obmann und SPÖ-Landtagsabgeordnete Wolfgang Sodl forderte einen "Stopp des 'Drüberfahrens'" und Verhandlungen auf Augenhöhe.

In vielen Unternehmen finden dieser Tage Betriebsversammlungen statt. So beschlossen am Dienstag bei Siemens in Wien rund 1.200 Mitarbeiter – laut Gewerkschaft Pro-Ge ohne Gegenstimme – "bis zum Inkrafttreten des Gesetzes und auch danach weitere gewerkschaftliche Maßnahmen".

Großdemo am Samstag

Die ÖGB-Demonstration gegen die Ausweitung der Höchstarbeitszeit dürfte am Samstag zu einer echten Großkundgebung werden. Organisator Willi Mernyi ging am Mittwoch im Gespräch mit der APA von mehreren zehntausend Teilnehmern aus. Die Route führt ab 14 Uhr vom Wiener Westbahnhof zum Heldenplatz.

Bisher wurden schon 100 Busse aus allen Bundesländern organisiert. Dazu dürften mehrere hundert Demonstranten per Sonderzug in die Bundeshauptstadt kommen.

Obwohl der Termin am ersten Sommerferien-Tag im Osten schwierig ist, geht Merny von einer starken Teilnahme aus. Zuversicht gibt ihm unter anderem der enorme Zulauf zu Betriebsversammlungen in den vergangenen Tagen. Auch stark frequentiert wird seinen Angaben zu Folge jene Hotline, auf der mögliche Arbeitszeit-Verstöße gemeldet werden können.

Rednerbühnen sind zwei geplant, eine beim Abmarschort, die andere am Heldenplatz. Zu Beginn werden unter anderen AK-Präsidentin Renate Anderl, die neue GPA-Chefin Barbara Teiber sowie der Vorsitzende der Beamtengewerkschaft Norbert Schnedl als prominenter Christgewerkschafter zum Publikum sprechen.

Beim Abschluss am Heldenplatz, zu dem über Mariahilfer Straße und Ring marschiert wird, sind dann alle Gewerkschaftsvorsitzenden am Wort. Den Schlusspunkt setzt ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian. Neben den Reden sind auch Videoeinspielungen geplant.

Unter die Demonstranten wird sich eine große Gruppe des SPÖ-Parlamentsklubs mit Fraktionschef Christian Kern an der Spitze mischen. Auch der Klub der Liste Pilz wird beim Protestmarsch vertreten sein. Seitens der ÖVP dürften etliche Christgewerkschafter den Weg durch die Innenstadt antreten.

Opposition eins, aber uneins

Die Opposition hat sich Mittwochnachmittag zu einem Gipfel zur Arbeitsflexibilisierung getroffen. Vertreter der Regierungsparteien ÖVP und FPÖ waren der Einladung – offiziell aus Termingründen – allerdings nicht gefolgt. Dementsprechend enttäuscht gab sich NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker, der das Treffen initiiert hatte. Er warf den Regierungsfraktionen "totale Gesprächsverweigerung" vor.

Auch wenn sich die Oppositionsparteien bei der generellen Ausweitung der Arbeitszeit auf zwölf Stunden nicht einig sind, sehen sie doch einige Gemeinsamkeiten beim Thema. "Wir treffen uns bei bestimmten Punkten", sagte etwa Daniela Holzinger-Vogtenhuber von der Liste Pilz. Es gehe darum, bei der Arbeitszeit auf die Lebensrealitäten der Menschen einzugehen. Zudem dürfe man nicht "ein Modell über alle Branchen drüberziehen".

Auch für Loacker macht es einen großen Unterschied, wie die einzelnen Branchen betroffen sind. So könne man Büroangestellte mit Gleitzeit nicht mit Schichtarbeitern in einen Topf werfen. Wirtschaft, Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssten beim Thema Hand in Hand gehen und die Arbeitszeit auf Augenhöhe verhandeln, verlangt seine Fraktionskollegin Karin Doppelbauer.

Eine "ausreichende, faire Begutachtung" will SPÖ-Vertreter Josef Muchitsch. Die Regierung plane Maßnahmen, die weniger mit einer Flexibilisierung der Arbeitszeit als mit deren Verlängerung zu tun hätten. Auch die angedachte "Freiwilligkeit" sieht er in der Realität nicht kommen, etwa aufgrund der Abhängigkeit vom Arbeitsplatz oder der Solidarität mit Kollegen. Derzeit herrsche jedenfalls große Unsicherheit bei der Rechtssicherheit. (APA, 27.6.2018)