In Wirklichkeit war es ein Anfängerfehler. Ein No-Go. Etwas, das zu vermeiden ich schon bei 1.001 Jungjournalisten-, Schreib- und PR-Seminaren und Medientrainings selbst gepredigt habe. Regel eins: "Der Köder muss dem Fisch schmecken – nicht dem Angler."

Auf Deutsch: Egal wie gescheit und kompetent und was auch immer man ist – wenn einen das Publikum nicht versteht, ist man raus. Darum ist Regel zwei so wichtig: "Kenne deine Zielgruppe."

Und wenn die mit "Jedermannläufer und Durchschnittsathletin" definiert ist, ist es zwar nett und zulässig, hin und wieder aus einer anderen Welt zu berichten – aber Sprache und Wissensstand haben der Zielgruppe zu entsprechen: Fachchinesisch ist der Schuss ins Knie. Weil es nach Attitüde und Angeberei klingt (und oft genug ist).

Memo an mich selbst: Nicht nur "Laktatwert", "anaerob" oder "Herzfrequenzvariabilität" müssen jedes Mal erklärt werden, sondern auch Wörter, die für mich so alltäglich sind wie "Zahnpasta" oder "Telefon": "Koppeltraining" etwa. Oder "Tapering".

Foto: thomas rottenberg

Mit den ersten drei Begriffen werde ich mich, sollte ich den Sonntag in Klagenfurt überstehen, hier wieder ausführlicher auseinandersetzen. Auch inhaltlich. Versprochen. Weil das hier eine Laufkolumne ist, die sich an interessierte Normalos richtet.

Doch als ich vor zwei Wochen an dieser Stelle über jene Trainingsvolumina schrieb, die für mich im vergangenen Jahr zur Normalität geworden sind, ging zwischen allerlei Ferndiagnosen, ehrlichen, gut gemeinten und hämischen Tipps und auch der einen oder anderen Klugscheißerei prompt die eine Frage unter, die zu beantworten hier eigentlich zwingend wäre: "Was ist ein Koppellauf", fragte der Poster (oder die Posterin) "bloody nine".

Die Frage wurde im Forum umgehend beantwortet (danke dafür). Dennoch zeigt sie (so wie die Anmerkung "Ich dachte immer, die "Volldistanz" beim Triathlon sei die olympische Distanz, sprich 1,5 Kilometer Schwimmen, 40 Kilometer Radfahren und 10 Kilometer Laufen"), wie weit das oft selbstverliebte Experten-Hickhack von der tatsächlichen Sportwissenwirklichkeit sogar an der Sache interessierter Menschen entfernt ist. Und wie rasch und leicht man sich in Fachdebatten verliert, anstatt dort anzusetzen, wo die Leute zu Hause sind, die man eigentlich erreichen soll. Denn Menschen, die ihre Hauptaufgabe darin sehen, dem Rest der Welt auszurichten, wie ahnungslos er (der Rest der Welt) ist, gibt es ohnehin genug.

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"Was ist ein Koppellauf?" Vor zwei Wochen habe ich die Frage glatt überlesen. Vor zwei Jahren hätte ich sie nicht beantworten können, mich aber lieber in den Hintern gebissen, als das zuzugeben: In "Des Kaisers neue Kleider" wagt es ja auch nur einer, das Offensichtliche auszusprechen.

Fragen wie jene nach dem Koppellauf oder dem "Koppeltraining" sind ähnlich: Viele belächeln den Fragesteller demonstrativ, schreiben die Antwort aber doch sehr aufmerksam mit.

Zuzugeben, etwas, was alle anderen (zum Schein) intus haben, nicht zu kennen, braucht Mut. Das ist ein gruppendynamischer Stunt, den nicht jeder hinkriegt.

Gerade wenn die Erklärung einfach und simpel ist: "Man hängt an eine andere Einheit (Radfahren) einen Lauf an, das heißt: man koppelt den Lauf," brachte es Poster "Runzelstirn" knapp auf den Punkt. Nur: Das klingt eben erst logisch, wenn man es weiß.

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"Koppeln" klingt easy: Ein bisserl Radfahren – und dann ein bisserl laufen. Oder Schwimmen und Laufen. Oder Schwimmen und Radfahren. Beides beherrscht man schließlich halbwegs. Was soll daran die Challenge sein?

Das Blöde an der Sache ist halt die Crux jedes Multisport-Bewerbes. Egal ob Triathlon, Duathlon, Aquathlon oder Swimrun. Egal, ob moderner Fünfkampf, die Kombi aus Beachvolleyball und Yoga, Fußball und Bouldern oder Schach und Boxen: Das Ganze ist immer mehr als die Summe der einzelnen Teile.

Egal wie gut Sie in einer Disziplin sein mögen: Sobald Sie Aufgaben kombinieren, wird etwas anderes daraus. Das kann spannend und fein sein – oder aber elend.

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Probieren sollten Sie das aber auf alle Fälle einmal. Einfach so. Eben weil es spannend ist zu erleben, wie der Körper auf eine gewohnte Belastung reagiert, wenn er mit einer Vorbelastung in die Aufgabe geht. Es muss ja gar kein Wettkampf sein, obwohl sich die zahllosen kleinen Sommer-Dorfläufe landauf, landab dafür perfekt eignen: Ich respektive meine Teamkolleginnen Nina und Moni und ich nutzten vergangenen Sonntag den "Weinlauf" in Gols genau dafür. Kommenden Sonntag starten wir alle in Klagenfurt über die Triathlon-Volldistanz (also 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 auf dem Rad und dann 42,2 Laufen) beim Ironman-Bewerb am Wörthersee. Und auch wenn wir längst in der Taperingphase (wieder so ein Wort, dazu gleich mehr) sind, und wir uns jetzt sicher nimmer die Kante geben, wäre Nixtun zwar gemütlich, aber genau das Falsche.

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Also folgten wir dem Ruf unsere Coaches Harald Fritz der, was für ein Zufall, den Lauf in Gols mit seinem besten Freund Gerald "Max" Moser organisiert. Mit Unterstützung der Gemeinde zwar, aber doch vor allem nach dem Prinzip der schonungslosen Selbstausbeutung von Familienmitgliedern (im Bild: seine Mutter am Anmeldetisch), Bekannten und Freunden. Anders könnte kaum eine dieser kleinen, niederschwelligen Veranstaltungen landauf, landab stattfinden – und auch wenn die "großen" Läufe die meiste Presse abbekommen, sind es doch solche Kleinevents mit ihren Kinder-Sprints, Jugendläufen und Nordic-Walking-Bewerben, die das Fundament der heimischen Sport-Landschaft darstellen.

Wenn Sie spüren wollen, was Herzblut ist, dann fahren Sie zu einem beliebigen solchen Lauf. Oder einem anderen kleinen Sportfest – egal wo. Sie müssen gar nicht mitmachen: Zuschauen, richtig zuschauen, genügt.

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Nina, Moni und ich hatten den einfachen Part: Zuerst sollten wir ein bisserl Radfahren. Zwei Stunden. Wir fanden eine Route zwischen Gols, Frauenkirchen, Zicksee und Podersdorf. Zügig, aber nicht mit all zu viel Druck war die Vorgabe – und so, dass wir rechtzeitig zum Lauf zurück wären.

Das klang easy, hatte aber zwei Haken: Die Radrouten-App sagte "rennradtauglich", führte uns aber flugs auf nichtasphaltierte Feldwege.

Und auf dem improvisierten Rückweg machte der Mix aus durchgeknallten Autorasern, die Seitenabstände von mehr als 15 Zentimetern für potenzgefährdend halten, und starkem, böigem Wind eine sonst harmlos-feine Rollerei phasenweise zu einer echt unentspannten Kiste.

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Beim Laufen kommt es immer drauf an, wie sehr man sich die Kante geben will. Oder soll. Wir sollten eher nicht ganz Vollgas geben: "Tapering" bedeutet "zuspitzen". So nennt man jene Zeit vor einem Bewerb, in der man durch härteres oder intensiveres Training nix mehr gewinnen kann und in der der Körper einerseits Erholung bekommen soll, um Kraft und Reserven aufzubauen, sich gleichzeitig aber nicht durch Unterforderung zu sehr in den Komfort- und Entspannungsmodus begeben sollte.

In der Regel reduziert man da also die Trainingsumfänge, hält aber die Intensität der einzelnen Einheiten in etwa gleich hoch. Und hofft, sich weder die grad grassierende Klimaanlagen-Sommerverkühlungswelle noch eine Magenverstimmung oder eine Nano-Verletzung einzufangen.

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Den Golser Weinlauf dann nicht voll zu rennen ist ein bisserl eine Challenge. Weil bei solchen Läufen sogar Jedermann-Hobetten wie ich eine Chance hätten, das eine Mal im Leben aufs Treppchen zu kommen.

Das ist ein einfaches Rechenbeispiel: 91 Starterinnen und Starter gehen, abgesehen von den Kinder- und Jugendläufen, die ich radausfahrtbedingt heuer leider versäumte, an den Start. Es gibt einen Zehn- und einen Fünf-Kilometer-Bewerb. Etwa zwei Drittel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer rennen den Fünfer. Rund ein Viertel der Läufer auf der längeren Strecke sind Läuferinnen.

Foto: thomas rottenberg

Unterteilt man die Männer dann in Altersgruppen, scheint sogar in meinen sonst immer extrem dicht besetzten Jahrgängen plötzlich nicht ganz unmöglich, was für mich sonst undenkbar ist. Fieserweise gab es diesmal aber nur zwei Gruppen ("unter vierzig" und "unter hundert") – da ist einer wie ich dann doch gleich wieder weit weg von jedem Stockerlplatz. Aber: Wer nur eine Spur schneller ist als ich, ein bisserl rechnet und sich seine Bewerbe geschickt aussucht, kann so den einen oder anderen Pokal abstauben. Wenn er oder sie will.

Foto: thomas rottenberg

Eigentlich hätte ich hier aber sowieso ganz anders laufen sollen. Denn eigentlich hätte der Golser Lauf im Vorjahr zum letzten Mal stattfinden sollen, da die Gemeinde – der Hauptsponsor – abspringen wollte. Ich war im Vorjahr mitgelaufen und hatte danach angekündigt, Hans Schrammel, den Golser Bürgermeister, zu pacen, sollte die Gemeinde den Lauf weiter unterstützen: Schrammel hatte im Vorjahr ja gescherzt, er habe einen sicheren Stockerlplatz nur verfehlt, weil "ein halbnackter Wiener" ihn aufgehalten und zu einem Selfie mit Weinglas genötigt habe.

Heuer traf ich Schrammel natürlich wieder. In meiner zweiten und seiner ersten Runde. Ich spazierte kurz mit ihm und seinen beiden Nordic-Walking-Begleiterinnen, gestand meinen Wortbruch und versuchte gar nicht, mich auf Coach, Plan oder Ironman auszureden: Ein gegebenes Wort ist ein gegebenes Wort – sogar gegenüber einem Politiker.

Foto: thomas rottenberg

Eilig hatte ich es nicht. Also trabte ich weiter und fand sogar die Zeit, die Route zu verstehen: Der Weinlauf findet auf dem Golser Weinweg statt – also entlang der besten und bekanntesten Weingärten der Region. Hier gibt es auch Infotafeln über die hohe Kunst des Weinbaus, der Lese und des Weinmachens. Bei einem Laufbewerb ist das dann doch ein bisserl gar viel verlangt, alles zu lesen – aber ich könnte ja wieder kommen. Allein schon wegen Blick und Panorama ...

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… oder um rauszukriegen, was die seltsame rosa Esels- und die anderen Skulpturen im kleinen Wäldchen an der Strecke bedeutet: Die Feuerwehrjugend, die hier lagerte und die Rennstrecke bewachte, wusste es nicht. Im Netz fand ich auch nix …

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… und an den beiden Wein-Labestellen (die eine offiziell, die andere vom Vorsitzenden des lokalen ZZ-Top-Fanclubs schon fast mit Blick aufs Ziel eingerichtet) vergaß ich, danach zu fragen. Ich stieß lieber mit den "Locals" an – und freute mich, dass sie sich freuten, dass nicht alle Läufer den Weinlauf bierernst nahmen (solche Figuren gab es natürlich auch. Die gibt es immer).

Einer der Herren erinnerte sich sogar daran, dass ich ja auch im Vorjahr kurz innegehalten und mit dem Bürgermeister angestoßen hätte. Aber auf Hans Schrammel wollte ich jetzt nicht mehr warten: Der war jetzt zehn oder 15 Minuten hinter mir – und zwischen uns auch noch die offizielle Wein-Labungsstelle.

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Also joggte ich ins Ziel. Und im Gegensatz zu meinem Zieleinlauf im Vorjahr, wo Harald Fritz mich coram publico dafür gerügt hatte, dass ich nicht am letzten Drücker unterwegs war, lobte er mich nicht nur, sondern posaunte auch noch laut heraus, dass ich kommenden Sonntag … ehschowissen.

Den Golsern war das zu Recht vollkommen und herzlichst wurscht, aber ich fühlte mich geschmeichelt: Wann sonst hat man als Hobette schon das Privileg, von einem Platzsprecher so ausführlich betextet zu werden?

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Aber genau das gehört zum Reiz solcher Events: die Kleinheit. Das Familiäre. Die Freunde, mit denen man hierherkommt. Neben meinen beiden Ironman-Koppeltraining-Kolleginnen Nina und Monika war unser (Haralds) Verein fast in Kompaniestärke angerückt – und hatte "abgeräumt": Melanie gewann die Damenwertung, Monika wurde Dritte. Katharina gewann in der leicht uncharmant klingenden Altersgruppe "unter hundert". Martin war zweitschnellster Mann, Stephan Dritter "unter vierzig". Und so weiter.

Nix, wovon sich irgendwer irgendwas kaufen könnte, aber im Rudel war es ein lustiger Nachmittag.

Ich? Ich glaube, ich wurde Sechster. Bei den unter Hundertjährigen. Ja, das klingt genauso grotesk und irrelevant, wie es in Wirklichkeit ist – aber ich glaube, genau das ist auch die Botschaft des Veranstalters: Es geht um nix – außer darum, Spaß zu haben.

Und genau diese Botschaft nehme ich jetzt mit nach Klagenfurt. (Thomas Rottenberg, 27.6.2018)


Anmerkung im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Teilnahme am Weinlauf war eine Einladung des Veranstalters.


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