Das politisch wie menschlich hochbrisante Thema Pflege wird die Gerichte noch einige Jahre beschäftigen. Klare Vorgaben seitens der Politik wurden verabsäumt.

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Aufgrund bisher fehlender Übergangsbestimmungen seitens der Politik zum Verbot des Pflegeregresses ab 1. Jänner 2018 haben Länder, Betroffene und Sozialhilfeträger zumindest in einem Teilbereich eine Entscheidung vorliegen: Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat entschieden, dass auch für Pflege-Forderungen, die vor dem 1. 1. 2018 entstanden sind, kein Zugriff auf das Vermögen erfolgen darf. Auslöser des Urteils war die Forderung des Wiener Fonds Soziales Wien gegen einen Erben. Der sollte Ersatz für Pflege und -betreuungskosten zum Wohle seiner Mutter im Jahr 2013 leisten. Der Fonds bekam ursprünglich recht, doch das Berufungsgericht und nun auch der OGH entschieden für den Beklagten.

Anita Bauer, Geschäftsführerin des Fonds Soziales Wien, bedauert die Entscheidung des Gerichts: "Aus unserer Sicht ist das Urteil schockierend. Wir müssen ausstehende Forderungen aus den vorangegangen Jahren abschreiben – was das finanziell bedeutet, werden wir erst im Laufe der nächsten Wochen abschätzen können."

Forderungen im Grundbuch

Vorarlbergs Landesrätin Katharina Wiesflecker geht auch davon aus, dass die Länder, die bisher in unterschiedlicher Weise ihre Forderungen auch im Grundbuch deponierten, diese Absicherung streichen müssen. Ob das allen bewusst sei, ließ sie offen. Wie und über welchem Zeitraum das geschehen soll, ist ebenfalls offen.

Faktum ist, dass landesweit die Juristen zusammensitzen und davon ausgehen, dass das OGH-Urteil nur eine erste Teilentscheidung sei, denen weitere folgen werden. Eine Sprecherin des Fonds Soziales Wien sagte im Gespräch mit dem STANDARD, dass nun betroffene Notare, Erben etc. angeschrieben werden und diesen aufgrund der neuen Rechtslage erklärt wird, ob bei aktuellen Verlassenschaften die bezifferten Forderungen noch zurecht bestehen und wenn ja in welcher Höhe. Denn der OGH enthält sich der Aussage, ob zurecht anerkannte Ansprüche zum Beispiel aufgrund rechtskräftiger Zahlungsbefehle entfallen oder vom Regressverbot erfasst sind.

Pension und Pflegegeld

In der Praxis ist es so, dass Pension und Pflegegeld mitunter für die Pflege und das tägliche Leben nicht ausreichen. Der Fonds Soziales Wien wird, falls erforderlich, aktualisierte Vorschreibungen bzw. Verlassenschaftsanmeldungen versenden.

Bitter ist die Situation für all jene, die im Laufe des heurigen Jahres den Pflegeforderungen im Zuge der Verlassenschaft nachkamen und bereits zahlten. Hier wird mit etlichen Klagen seitens der Erben gerechnet. Und das alles, weil es die Regierungen verabsäumten, Übergangsbestimmungen in dieser heiklen Materie festzuschreiben, wird kritisiert.

Wolfgang Oberhauser, Vorstand der Abteilung Gesellschaft, Soziales und Integration im Amt der Vorarlberger Landesregierung, glaubt nicht, dass es noch zu einer Übergangsregelung kommt, zumal der Bund den Ländern mündlich eine noch ausstehende Finanzierungszusage zur Verlustabdeckung über insgesamt 340 Millionen Euro in der Causa Pflegeregress gab. Oberhauser zufolge könne das Land derzeit aber noch auf Einkommen aus Vermögen wie z. B. Mieteinnahmen, Dividenden usw. zugreifen. Grundbucheintragungen seitens des Landes werden jedoch im Rahmen der Verlassenschaft oder auf Antrag gelöscht.

Bereits "eingepreist"

Für die Salzburger Landesregierung kommt das Urteil nicht überraschend, sagt der für Soziales zuständige Landeshauptmannstellvertreter Heinrich Schellhorn (Grüne). Die Landesregierung habe den Verzicht auf Altforderungen bereits zum Jahreswechsel 2018 beschlossen und auch im Budget "eingepreist", sagt Schellhorn – im Zivilberuf selbst Rechtsanwalt. Insgesamt schätzt Schellhorn, werde der Regressverzicht das Land Salzburg etwa 28 bis 29 Mio. Euro pro Jahr kosten; da sei aber der geplante Verzicht auf den Pflegeregress für Menschen mit Behinderung auch schon kalkuliert. Aus Oberösterreich heißt es: Derzeit wird auf Basis der vorhandenen Judikatur davon ausgegangen, dass für Sachverhalte vor dem 1. 1. 2018 keine Verfahren seitens der öffentlichen Hand angestrengt werden. (Claudia Ruff, Thomas Neuhold, Markus Rohrhofer, 26.6.2018)