Bisher haben nicht alle Versicherungsnehmer, die den Rücktritt bei Gericht eingeklagt haben, recht bekommen

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Wien – Der umstrittene Initiativantrag der Regierungsparteien ÖVP und FPÖ zur Änderung des Rücktritts von Lebensversicherungen wird am morgigen Dienstag erneut im Finanzausschuss behandelt. Im Vorfeld wurde heftig über die EU-Konformität des Vorhabens diskutiert, zwei juristische Gutachten dazu widersprechen sich. Indes gingen am Montag drei weitere Urteile zugunsten von Versicherungsnehmern ein.

Die schwarz-blaue Regierung will den lebenslangen Rücktritt von Lebensversicherungen im Falle von falscher oder fehlender Belehrung über das Rücktrittsrecht neu regeln – und kommt damit einem jahrelangen Wunsch der Versicherungswirtschaft nach. Seit einem Spruch des Europäischen Gerichtshof (EuGH) aus dem Jahr 2013 und einem österreichischen Folgeentscheid des Obersten Gerichtshofs (OGH) können nämlich mangelhaft über ihr Rücktrittsrecht aufgeklärte Versicherungsnehmer potenziell ewig von ihrem Vertrag zurücktreten und dabei ihr gesamtes eingezahltes Kapital plus vier Prozent Zinsen pro Jahr zurückbekommen. Laut Verbraucherschützern sind rund fünf Millionen Polizzen betroffen.

Teils unklare Rechtslage

Die Rechtslage ist aber nicht ganz eindeutig, so haben bisher nicht alle Versicherungsnehmer, die den Rücktritt bei Gericht eingeklagt haben, recht bekommen. Jene Gerichte, die die Verbraucher abblitzen ließen, sind sich wiederum ihrer Entscheidungen selbst nicht immer sicher, so hat in einem Fall das Oberlandesgericht (OLG) Graz eine ordentliche Revision zugelassen, weil noch nicht alles höchstgerichtlich geklärt sei.

Die Mehrheit der Versicherungsnehmer setze sich aber sehr wohl durch, sagen Anwälte und Prozessfinanzierer, die betroffene Verbraucher vertreten. Bei der Linzer Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH gingen erst am heutigen Montag drei Urteile ein, in allen drei Fällen haben die falsch belehrten Versicherungsnehmer recht bekommen. Die nicht rechtskräftigen Urteile liegen der APA vor (Bezirksgericht Salzburg: 17 C 202/18w – 10, Bezirksgericht für Handelssachen Wien/BGHS: 18 C 74/18s-10 und 18 C 131/18y-9).

In allen drei Fällen haben die Kläger den von der Versicherung berechneten Rückkaufswert – dieser liegt in der Regel 20 bis 40 Prozent unter dem, was man bei einem Rücktritt herauskriegen würde – bereits ausbezahlt bekommen. Eingeklagt haben sie daher lediglich die Differenz zwischen Rücktrittswert und Rückkaufswert, die ihnen die Gerichte zu fast 100 Prozent auch zusprachen. Lediglich in einem Fall wurde die Versicherungssteuer abgezogen.

"Nach der neuen gesetzlichen Regelung würden wir, wenn wir für dieselben Verträge den Rücktritt erst nach 1.1.2019 erklären würden, null bekommen", sagte Anwalt Michael Poduschka am Montag zur APA. Der Grund: Die Verträge laufen alle schon länger als fünf Jahre und bei diesen soll künftig nur mehr der Rückkaufswert ausbezahlt werden – "egal wie falsch die Belehrung war". "Im Salzburger Fall würde es für den Versicherungsnehmer ab 2019 statt 16.600 nur mehr 8.400 Euro geben, im ersten Fall aus Wien statt 40.000 nur 21.000 Euro und im anderen statt 21.000 nur 13.500 Euro", rechnet der oberösterreichische Rechtsvertreter vor.

"Aufforderung zur Fahrlässigkeit"

Durch geplante Novelle, die bereits ab Anfang 2019 gelten soll, erspare sich die Versicherungswirtschaft, für Fehler der Vergangenheit geradestehen zu müssen. "Es geht um Milliardenbeträge, um die einfache Bürger durch das neue Gesetz gebracht werden", kritisiert Poduschka. "Das neue Gesetz stellt für alle Unternehmen eine Aufforderung zur Fahrlässigkeit dar: um das Ergebnis zu verbessern, haben die Versicherungen über Jahrzehnte Personal eingespart, wodurch es zu Schlampereien gekommen ist. Eine Haftung für diese Fehlbelehrungen soll nunmehr durch eine Gesetzesänderung abgewendet werden."

Poduschka hält, wie auch Verbraucherschützer und die Liste Pilz, die geplante Neuregelung für europarechtswidrig. Das sieht auch der Europarechtler und Anwalt Gregor Maderbacher, der für die Liste Pilz ein Gutachten geschrieben hat, so. Maderbacher, früher Referent am EuGH und als solcher auch inhaltlich mit der Rücktrittsfrage befasst, erachtet gleich mehrere der vorgeschlagenen Gesetzesbestimmungen für unionsrechtswidrig. "Betroffen sind hiervon im Wesentlichen die geplanten Rechtsfolgen eines 'Spätrücktritts' von einem Vertrag über eine kapitalbildende Versicherung im Allgemeinen, sowohl im Hinblick auf Alt- als auch auf Neuverträge, sowie insbesondere die für die Anwendung der betreffenden Bestimmungen ins Auge gefassten Übergangsfristen", schreibt der Jurist in seiner Stellungnahme.

Provisionen sollen abgezogen werden

Der ÖVP/FPÖ-Vorschlag sieht vor, dass Versicherungsnehmer, die nach Ablauf von fünf Jahren von ihrem Vertrag zurücktreten, nur mehr den Rückkaufswert bekommen, Provisionen sollen ihnen abgezogen werden. Wer innerhalb eines Jahres ab Vertragsabschluss zurücktritt, soll die eingezahlten Prämien herausbekommen – aber ohne Zinsen. Bei Rücktritt ab dem zweiten bis zum Ablauf des fünften Jahres soll es schon nur mehr den Rückkaufswert plus Abschlusskosten (Provisionen) und Stornoabschlag geben. Eingetretene Veranlagungsverluste sollen Versicherungen auf die Kunden überwälzen können.

Dieser Gesetzesvorschlag, so Maderbacher, sei geeignet, die Anspruchsausübung der Versicherungsnehmer "praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren", er belaste die Konsumenten "einseitig mit negativen finanziellen Folgen". Auch Poduschka sieht de facto alle betroffenen Versicherungsnehmer in ihren Rechten beschnitten: "Alle laufenden Verträge, um die es geht, sind älter als fünf Jahre." Für diese gebe es keinen Rücktrittswert mehr, sondern nur mehr den Rückkaufswert, den sie ohnehin bei herkömmlicher Kündigung erhielten.

Anders argumentiert der Versicherungsverband (VVO). In den ersten fünf Jahren bekämen österreichische Versicherungskunden mehr als deutsche, insbesondere für das erste Jahr würden die Rechtsfolgen des Rücktritts nach dem ÖVP/FPÖ-Vorschlag "deutlich besser als europarechtlich eigentlich notwendig geregelt". Recht gibt dem Branchenverband der von diesem beauftragte Universitätsprofessor Nicolas Raschauer: "Der Gesetzesvorschlag wird den europarechtlichen Vorgaben vollends gerecht", wird Raschauer in einer VVO-Aussendung zitiert. Der Gesetzgeber hat "einen trilateralen Interessenausgleich zwischen Versicherungsnehmern, die ihren Rücktritt erklären wollen, dem Versichertenkollektiv und den Versicherungsunternehmen zu bewirken.

Keine verfassungsrechtlichen Bedenken

Diesen Voraussetzungen wird die gegenständliche Vorlage mehr als gerecht, da sie alle Interessen angemessen und gleichberechtigt berücksichtigt", so der Jurist. Raschauer hat auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, etwa in Bezug auf die Eigentumsgarantie. Ebenso wenig hat der in Liechtenstein unterrichtende Rechtsexperte mit der kurzen Übergangsfrist ein Problem.

Dass ausgerechnet die FPÖ den Vorschlag mitträgt, sorgt bei Konsumentenschützern sowie auch bei Anwälten und der Liste Pilz für Kopfschütteln. "Die Rolle der FPÖ als Steigbügelhalter und Brecher von Wahlversprechen ist ja bekannt", meinte Rechtsanwalt Norbert Nowak in einer Aussendung. "Man wird sehen, ob der eine oder andere Mandatar hier seinen Auftrag als Volksvertreter vielleicht doch noch vor die Interessen der Lobbyisten der Versicherungen (SPÖ: Wiener Städtische, Donau, s Versicherung; ÖVP: UNIQA) stellt und das Gesetz in letzter Sekunde noch entschärft wird."

Liste-Pilz-Klubobmann Bruno Rossmann warf der FPÖ vor, "einfach nur noch an den Futtertrögen der Macht" sein zu wollen; der vielgerühmte "kleine Mann" sei den Blauen mittlerweile völlig egal. "Ich werde morgen im Finanzausschuss alles unternehmen, um diesen stillen Putsch gegen rund fünf Millionen Versicherungsnehmer zu verhindern", kündigte Rossmann an.

Anwalt Poduschka möchte "dieses verfassungswidrige, europarechtswidrige und bürgerfreundliche Gesetz sowohl vor dem VfGH (Verfassungsgerichtshof) als auch dem EuGH bekämpfen." (APA, 25.6.2018)