Gähnen, Tunnelblick, die Augenlider fallen fast zu: Wer müde ist, sieht auch so aus.

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USA, 1964. Der 17-jährige Randy Gardner ist schlecht drauf, hat Halluzinationen. Seine körperliche und kognitive Leistungsfähigkeit ist stark eingeschränkt. Kein Wunder: Der junge Mann ist seit fast 264 Stunden ununterbrochen wach – das sind rund elf Tage und Nächte. Dann passiert es doch: Ihm fallen die Augen zu, er nickt ein.

Der Versuch, der damals unter ärztlicher Aufsicht stattgefunden hat, gilt laut Guinness-Buch der Rekorde bis heute als offizieller Wachhalterekord. 2007 schaffte es ein Brite zwar, noch zwei Stunden länger wach zu bleiben als Gardner, zu diesem Zeitpunkt war die Kategorie im Buch der Rekorde aus gesundheitlichen Bedenken aber längst abgeschafft worden.

In ein Schlafkonto einzahlen

Immerhin: Die Forschung hat aus derartigen Experimenten viel gelernt. Man weiß zum Beispiel, dass der Organismus verlorenen Schlaf nur in sehr geringen Mengen nachholt. Denn bei Rekordhalter Gardner zeigte sich: Nach elf Tagen ohne Schlaf brauchte er nur eine einzige, 15-stündige Erholungsnacht. Danach waren alle Defizite wieder aufgeholt und seine Schlafdauer verkürzte sich auf sieben bis acht Stunden pro Nacht.

Wie lässt sich diese Erkenntnis auf den Alltag ummünzen? "Wir haben ein Schlafkonto, in das wir einzahlen", erklärt Gerhard Klösch, Schlafexperte an der Universitätsklinik für Neurologie der Med-Uni Wien. "Es ist nicht tragisch, wenn jemand zum Beispiel innerhalb einer Woche an ein bis zwei Nächten weniger Stunden schläft, sofern sich die Gesamtwochenschlafzeit ungefähr die Waage hält." Wird hingegen dauerhaft zu wenig auf das Schlafkonto eingezahlt, entsteht naturgemäß ein Defizit.

Schlaf regeneriert den Körper

Die Wissenschaft ist sich einig, dass Schlaf wichtig für zahlreiche Regenerationsprozesse im Körper ist. Unter anderem für die Verdauung, das Immunsystem und die Lernfähigkeit. "Es gibt keine Lebensäußerung, die nicht direkt oder indirekt durch den Schlafprozess beeinflusst wird", sagt Klösch. Andererseits existiere aber auch keine allgemein gültige und von allen Experten akzeptierte Definition der Wichtigkeit beziehungsweise Funktion von Schlaf.

Wenn uns die nächtliche Erholungsphase derart stark beeinflusst, was passiert dann, wenn wir gar nicht mehr schlafen? Kann Schlaflosigkeit gar zum Tode führen? Die gute Nachricht für alle Eulen: "An Schlaflosigkeit kann man nicht sterben", beruhigt Klösch. Der Versuch von Randy Gardner hat gezeigt: Der eigene Körper zwingt einen irgendwann dazu, sich dem Schlaf hinzugeben. "In der Medizin sagen wir: Schlafen ist imperativ", so Klösch.

Schlafdruck bis zum Einschlafen

Die Erklärung dafür: Wird für eine längere Zeit nicht geschlafen, baut sich kontinuierlich Schlafdruck auf. Dieser äußert sich an Merkmalen, die jeder kennt: Die Augenlider fallen fast zu, das Denken wird langsamer, man gähnt, bekommt kalte Hände und Füße oder einen tunnelartigen Blick. Je länger wir wach sind, desto höher wird dieser Schlafdruck – und irgendwann holt sich der Körper, was er braucht.

Allerdings: Die Neigung zum Einschlafen fluktuiert, sie kommt im 90- bis 120-Minuten-Rhythmus. Jeweils dann wäre eine gute Zeit ins Bett zu gehen und auch tatsächlich einzuschlafen. "Schlaftore öffnen und schließen sich wieder. Deshalb macht es auch keinen Sinn, bei Einschlafstörungen im Bett liegen zu bleiben. Besser, man steht wieder auf und versucht es eineinhalb Stunden später noch einmal", rät Klösch.

Tödliche Insomnie

Dass Schlaflosigkeit nicht zum Tod führen kann, ist übrigens nicht ganz korrekt, ergänzt der Mediziner. Es gibt eine einzige Ausnahme: Die extrem seltene neurodegenerative Erkrankung "Letale familiäre Insomnie". "Bei Menschen mit diesem genetischen Defekt beginnt das Gehirn im mittleren Lebensalter, sich zurückzubilden. Unter anderem sind auch jene Zentren betroffen, die für die Schlaf-wach-Regulation von Bedeutung sind", erklärt der Schlafforscher. Die Folge sind starke Schlafstörungen, in den letzten Lebensmonaten können die Betroffenen überhaupt nicht mehr schlafen und erleiden ein Multiorganversagen. (Maria Kapeller, 25.6.2018)