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Wer als Einzelperson ein Unternehmen klagt, geht ein großes Risiko ein.

Illustrationen: Getty Images

Dass es in Österreich noch immer kein Verfahren für Sammelklagen gibt, spielt den Prozessfinanzierern in die Hände. Sie sind jene, die – nicht nur, aber vor allem – in jenen Fällen aktiv werden, wo der Einzelne zu scheitern droht. Sei es ob der hohen Kosten für die Rechtsvertretung oder auch wegen mangelnden Wissens.

"Es geht immer um das Spiel David gegen Goliath", sagt Franz Kallinger. Er ist Chef von Advofin, jenem Prozessfinanzierer, der seit 2001 in Österreich am Markt ist und sich auf Anlegerschäden spezialisiert hat. Amis, Madoff, Meinl European Land, Immofinanz, Ertrag & Sicherheit, Wienwert: In all diesen Fällen vertritt Advofin tausende Kläger vor Gericht. Stelle sich einer allein gegen solche Unternehmen, würde er nicht selten durch Verfahrensverzögerungen mental und finanziell ausgehungert, sodass am Ende jedes Vergleichsangebot – und sei es noch so schlecht – als Erlösung angenommen werde.

Etwa 24.000 Menschen haben sich bisher an Advofin gewandt, rund 265 Millionen Euro hat der Prozessfinanzierer seit 2001 für sie erstritten. Gratis ist all das freilich nicht. Rund ein Drittel des erkämpften Streitwerts fließt an den Prozessfinanzierer. Von Kritikern wird das gerne als Geschäftemacherei angeprangert.

Kallinger sieht das gelassen: "Zu uns muss ja niemand kommen", sagt er im STANDARD-Gespräch. "Wir stellen ein Angebot zur Verfügung, das angenommen werden kann oder nicht." Wer sich aber vor Gericht gegen einen Konzern stelle, habe es schnell mit Sachverständigen und Gutachten zu tun. Hinzu kämen Gerichtsgebühren und Anwaltskosten. "Das ist eine finanzielle Lawine, die Einzelne selten stemmen und vorfinanzieren können", sagt Kallinger.

Lösung am Ende der Deckung

Denn auch bei Fällen, bei denen Kunden sich im sicheren Hafen wähnten, weil ihre Rechtsschutzversicherung die Vertretung übernommen hatte, gab es schon oft ein bitteres Erwachen, erzählt der Advofin-Chef aus der Praxis.

Oft seien Rechtskosten durch die Versicherung nur bis zu einem bestimmten Betrag gedeckt. Das sei auch der Grund, warum es in manchen Verfahren sehr schnell zu Vergleichen komme, die nicht immer die beste Lösung für den Kunden darstellen müssten. Oder das Verfahren werde unterbrochen, egal bei welchem Punkt.

Beides habe Kallinger in seiner langen Praxis schon erlebt. "Selbst wenn man mitten im Prozess steht, bedeutet es ein Ende, wenn die Deckungskosten aufgebraucht sind. Zur Einordnung: Die Kosten für einen Sachverständigen belaufen sich nicht selten auf mehrere hunderttausend Euro. "Privatpersonen können das nicht stemmen, wir schon", so der Advofin-Chef. "Versicherungen wollen oder können sich mit der Rechtsvertretung nicht immer lange aufhalten", kritisiert Kallinger diese Praxis.

Um all diese Themen in den Griff zu bekommen, fordern Arbeiterkammer und der Verein für Konsumenteninformation (VKI) seit langem die Einführung von Gruppenklagen und die Möglichkeit von Musterverfahren. Mit Letzterem könnte ein Beispielfall verhandelt werden, der dann für alle anderen Betroffenen in dieser Causa Gültigkeit hat.

Diesbezügliche Vorschläge schlummern schon lange in den Schubladen der zuständigen Ministerien. Nur zur Beschlussfassung kam es bisher nie. Dabei könnten Prozesse mit vielen Betroffenen so viel ökonomischer abgewickelt werden, so die Konsumentenschützer.

Keine Vorgaben durch EU

Auch auf EU-Ebene ist die Gruppenklage seit Jahren in Diskussion. Die EU-Kommission hat sich bisher aber nicht auf eine verbindliche Richtlinie einigen können und nur unverbindliche Empfehlungen ausgesprochen. Dynamik kam in dieses Thema zuletzt wieder mit dem VW-Dieselskandal.

Auch wenn der deutsche Autobauer mit Rekordstrafen Schlagzeilen macht – zuletzt hatte die Staatsanwaltschaft Braunschweig ein Bußgeld über eine Milliarde Euro gegen VW verhängt -, haben betroffene Autohalter davon nichts. Denn hierbei geht es nur um Strafen gegen das Unternehmen, weil dieses etwa – wie im Fall Braunschweig – Aufsichtspflichten verletzt hat.

In Österreich helfen sich Konsumentenschützer daher mit der sogenannten "Sammelklage österreichischer Prägung". Hierbei treten in der Regel der VKI oder die Arbeiterkammer als Kläger auf. Sie klagen die Ansprüche, die ihnen von Geschädigten zuvor abgetreten wurden, im eigenen Namen ein. Erfunden wurde dieses Modell vom VKI anlässlich einer massenhaften Erkrankung von Urlaubern in einem Clubhotel im Jahr 2000.

Vor allem das Abtreten von Ansprüchen ist etwas, das Geschädigte oft nicht verstehen. Diese Skepsis führe dazu, dass viele lieber nichts tun und nur ein Teil der Betroffenen an Sammelaktionen teilnimmt, heißt es aus der Arbeiterkammer.

Diese Art der Sammelverfahren sei zudem in der Zivilprozessordnung nicht ausdrücklich vorgesehen. Daher gehöre es mittlerweile zum juristischen Spiel, dass Beklagte und/oder Erstgerichte mit dem Einwand der Unzulässigkeit der Sammelklage den Start eines solchen Verfahrens verzögern.

Probleme mit Verjährung

Ein wichtiges Thema ist hierbei die Verjährung von Ansprüchen. Wird die Haftung des Gegners etwa in einem Einzelfall geltend gemacht und damit musterhaft geklärt, droht die Gefahr, dass alle anderen gleichartigen Ansprüche zwischenzeitlich – also bis zum Ausgang des einzelnen Musterverfahrens – verjähren können.

Bei der US-Sammelklage wirkt hingegen der Ausgang eines Verfahrens auch zugunsten aller sonstigen Betroffenen – außer sie optieren dahingehend, dass sie an einer Lösung nicht teilnehmen wollen. Eine Verjährung von Ansprüchen wird so vermieden.

Der Deutsche Bundestag hat vor wenigen Tagen nun aber die Einführung von Musterklagen beschlossen. Verbraucherverbände können ab November damit vor Gericht ziehen.

Aktuell stehen Prozessfinanzierer und Anlegeranwälte in der Kritik von Versicherungen, weil Erstere die Möglichkeiten beim Rücktritt von Lebensversicherungen anpreisen, was Letzteren missfällt. Eine Kritik, die Kallinger nicht versteht: "Unser Agieren ist berechtigt." Die Versicherungen seien an diesem Debakel selber schuld – jetzt zu jammern sei nicht in Ordnung. "Hätten sie die EU-Vorgaben bezüglich der Rücktrittsbelehrung richtig umgesetzt, wäre alles okay und wir hätten die Fälle jetzt nicht", so Kallinger. (Bettina Pfluger, 24.6.2018)