Papst Franziskus wird hier von Alain Berset begrüßt, dem derzeitigen Präsidenten des Schweizer Bundesrates.

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Alle reden vom politischen Islam. Sie meinen damit Terrorismus, Jihad, Scharia. Aber ist das so einfach? Viele Muslime verstehen darunter etwas anderes: Gesetzestreue und Barmherzigkeit. Wer hat recht? Und wie ist es mit dem politischen Katholizismus? Dem politischen Christentum im Allgemeinen? Dem politischen Judentum? Verwirrung, wohin man schaut.

Der deutsche Kultregisseur Wim Wenders hat vor kurzem einen Film über den Papst mit dem Titel "Der Mann seines Wortes" gedreht. Was der oberste Katholik darin äußert, ist eindeutig politisch und eindeutig links, im "Kronen Zeitung"-Jargon sogar linkslinks. Papst Franziskus sagt: Dass zwanzig Prozent der Weltbevölkerung über achtzig Prozent der Güter dieser Welt verfügen, sei ein Skandal. Dieses Wirtschaftssystem tötet, sagt er weiter und meint damit den Kapitalismus. Auf keinen Fall dürften Christen versuchen, andere zum Christentum zu bekehren, niemals. Nunque. Juden sollten Juden und Muslime Muslime bleiben. Und wer nicht an Gott glaubt, wird von diesem trotzdem geliebt. Kein Wunder, dass manche Kritiker den Film und seinen Protagonisten wunderbar fanden, andere öde und wieder andere häretisch.

Politische Katholiken

Ist der Papst ein politischer Katholik? Vor kurzem marschierten in Warschau polnische Rechtsradikale durch die Stadt, sie protestierten gegen die angebliche Muslimisierung Europas und trugen Transparente mit der alten Kreuzfahrerparole, in Frakturschrift, "Deus Vult". Gott will es. Auch sie verstanden sich als politische Katholiken, nur diesmal rechtsrechts.

Bei den Protestanten gab es in der Nazizeit die Deutschen Christen mit ihrem "Reichsbischof" Ludwig Müller, alle überzeugte Nazis. Aber es gab auch die Bekennende Kirche, überzeugte Antinazis. Ihr führender Kopf, Pfarrer Martin Niemöller, landete im Konzentrationslager. Politische Christen auch sie.

Und bei den Juden? Es gibt Fromme, die aus religiösen Gründen den Zionismus und den Staat Israel bis heute ablehnen. Und es gibt andere, die Nationalreligiösen, die diesen, ebenfalls aus religiösen Gründen, unterstützen. Offensichtlich kann man aus der Bibel und dem Koran die unterschiedlichsten politischen Botschaften herauslesen.

Viele meinen daher, die Religionsgemeinschaften sollten sich aus der Politik heraushalten. Religion sei Privatsache, in der öffentlichen Auseinandersetzung habe sie nichts verloren. Aber die Sache ist komplizierter. Religiöse Menschen haben nun einmal Werte, und sie werden es sich nicht verbieten lassen, für diese Werte auch einzutreten. Konfrontiert mit wichtigen politischen und auch moralischen Fragen wie Migration, Globalisierung oder sozialer Gerechtigkeit, ist es unrealistisch, von den Anhängern der großen Religionen Neutralität zu verlangen.

Und was heißt das alles für den säkularen Rechtsstaat und seine Vertreter? Ich meine: Konzentriert euch auf die Gesetze und verurteilt Terrorismus und Ehrenmord, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, aber lasst die Religion aus dem Spiel.

Und am besten auch gleich den vielstrapazierten Begriff "politischer Islam". (Barbara Coudenhove-Kalergi, 20.6.2018)