Ist die Sonne Heimstatt der Erleuchteten oder die Hölle selbst? Darüber gingen einst die Meinungen von Gelehrten auseinander – doch dass die Sonne bewohnt sei, daran glaubten auch große Astronomen wie Wilhelm Herschel.

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"Die Sonne ist ein Himmelskörper wie die Erde – nur viel größer, aber auch mit einer festen Oberfläche und vor allem bewohnt von Lebewesen. Mit dem richtigen Rezept kann man aus billigen Metallen wie Eisen oder Blei teures Gold herstellen."

Diese beiden Sätze scheinen nicht nur nichts miteinander zu tun zu haben, sie klingen auch nach ziemlich großem Unsinn. Aber zwischen den hypothetischen Bewohnern der Sonne und der Herstellung von Gold gibt es durchaus Verbindungen. Und bei näherer Betrachtung sind die Aussagen nicht ganz so verrückt, wie sie klingen.

Erklärungsversuche für Sonnenflecken

Die Geschichte mit der bewohnten Sonne ist keine Spinnerei aus irgendeinem obskuren Internetforum. Sie stammt von Wilhelm Herschel, einem der bedeutendsten Astronomen des 18. und 19. Jahrhunderts. Herschel war der erste Mensch der einen neuen Planeten unseres Sonnensystems entdecken konnte (den Uranus im Jahr 1781), und das war zwar seine größte, aber bei weitem nicht seine einzige wichtige Leistung für die Astronomie. Unter anderem beschäftigte er sich mit der Sonne und der Natur der Sonnenflecken. In einem Aufsatz aus dem Jahr 1795 ("On the Nature and Construction of the Sun and Fixed Stars") berichtete Herschel von seinen Beobachtungen.

Die dunklen Flecken auf der Sonne waren schon lange das Ziel astronomischer Untersuchungen. Schon Galileo Galilei hatte sie Anfang des 17. Jahrhunderts beschrieben; um was es sich dabei genau handelte, wusste man zu Herschels Zeit aber immer noch nicht. Es könnten kleinere Himmelskörper sein, die vor der Sonne vorüber zogen, lautete eine häufige Theorie. Andere meinten, es würde sich um dunkle Wolken handeln.

Herschel war überzeugt, mit den Sonnenflecken die wahre Oberfläche der Sonne gesehen zu haben. Es handle sich um gewaltige Berge, die aus der leuchtenden Atmosphäre heraus ragen, die die ganze Sonne umgibt. Die Sonnenflecken, so Herschel, seien Lücken in der hoch über der Sonne schwebenden Wolkenschicht, die uns einen Blick auf die darunter liegende, dunkle Oberfläche gewähren.

Gott hätte bewohnte Welten gewollt

Die Sonne war also zwar groß, aber nicht fundamental anders als die Erde beziehungsweise die anderen Planeten des Sonnensystems. Und damit natürlich auch Wohnort von Lebewesen. Es wäre auch nicht zu heiß dafür, befand Herschel. Licht an sich würde noch keine Wärme produzieren; dazu bräuchte es ein spezielles "kalorisches Medium", das auf der Erde existiere, aber nicht auf der Sonne. "I think myself authorized upon astronomical principles to propose the sun as an inhabitable world", lautete seine Schlussfolgerung.

Die Idee einer bewohnten Sonne war aus damaliger Sicht auch nicht so absurd, wie sie uns heute erscheint. Sie war eigentlich fast schon zwingend, denn mit der Idee von Himmelskörpern die "einfach nur so" da sind, ohne einem speziellen Zweck zu dienen, konnte kaum jemand etwas anfangen. Wenn der Schöpfer (der damals auch noch in der Wissenschaft eine wichtige Rolle hatte) schon so viele Himmelskörper macht, dann müssen sie auch bewohnt sein.

Die Sonne als Hölle oder Ort der Erleuchteten

Herschel war bei weitem nicht der einzige, der fest daran glaubte, dass überall Leben existierte. Lange vor ihm ging etwa Nikolaus von Kues in seinem 1440 erschienenen Buch "Die gelehrte Unwissenheit" davon aus, dass jeder leuchtende Stern am Himmel ein Planet wie die Erde sei (und auch die Erde aus der Entfernung gesehen leuchten würde), und selbstverständlich bewohnt. Auf der Sonne vermutete Kues spirituell erleuchtete Wesen; auf dem Mond eher Bewohner, die leicht verrückt sind.

Zwischen Kues und Herschel äußersten sich jede Menge andere Forscher zur Frage der Bewohner anderer Himmelskörper (der englische Geistliche Tobias Swinden behauptete etwa 1714, dass die Sonne der reale Ort sei, an dem sich die Hölle befindet). Erst als man im 19. und dann im 20. Jahrhundert den Aufbau der Materie besser verstand, konnte man auch verstehen, wie die Sonne genau funktioniert. Und feststellen, dass sie ein durch nukleare Kernreaktionen angetriebenes Feuer ist, das heißer brennt als alles, was wir von der Erde kennen, und definitiv nicht der Ort für Leben irgendeiner Art.

Spiel mit den Elementen

Hier trifft die Geschichte der Sonnenbewohner nun auf die Suche nach der Erzeugung von Gold. Der Versuch der alchemistischen Transformation unedler in edle Metalle war im ganzen Mittelalter bis hin in die frühe Neuzeit ein plausibles Vorhaben. Bei den – mal mehr, mal weniger wissenschaftlich durchgeführten – Experimenten entdeckte man zwar nie den "Stein der Weisen". Aber stellte doch immer wieder fest, dass beeindruckende Dinge geschehen können, wenn man die verschiedenen Chemikalien erhitzt, vermischt, destilliert, verreibt oder filtriert.

Man konnte dabei durchaus komplett neue Sachen entdecken. 1669 fand der deutsche Apotheker und Alchemist Henning Brand etwa bei seinen Versuchen den Phosphor und entdeckte damit das erste chemische Element der Neuzeit. Die Idee, ein unedles Metall wie Blei in Gold umwandeln zu können, war also nicht allzu weit hergeholt. Man müsste halt nur das richtige Rezept finden ...

Das aber fand niemand; nicht einmal der große Isaac Newton, der sich sein ganzes Leben intensiv und sehr ernsthaft der alchemistischen Suche nach dem Stein der Weisen gewidmet hatte. Was man dagegen fand, war zuerst die wissenschaftliche Chemie und danach der Grund, warum das mit der Erzeugung von Gold nicht klappen konnte.

Dem Kern auf die Spur gekommen

Um die Wende zum 20. Jahrhundert verstanden die Wissenschafter immer besser, wie chemische Elemente aufgebaut sind. Sie entschlüsselten die Struktur der Atome und stellten fest, dass man diese Struktur mit rein chemischen Methoden nicht verändern konnte. Egal wie viele chemische Elemente man zusammenmixt und was man mit ihnen anstellt: Am Ende kriegt man zwar jede Menge unterschiedliche Verbindungen dieser Elemente, aber es wird sich niemals ein Element in ein anderes verwandeln. Denn dazu müsste man den Atomkern selbst verändern.

Wie das gehen kann, zeigte 1938 die österreichische Physikerin Lise Meitner. Und was passiert, wenn man anfängt, Atome zu spalten und ein chemisches Element in ein anderes zu verwandeln, demonstrierten die Atombomben des Zweiten Weltkriegs ebenso eindrucksvoll wie schrecklich. Die Kernphysik machte es aber auch möglich, endlich genau zu verstehen, wie die Sonne funktioniert.

Sie macht das, was die Alchemisten immer versucht haben. Sie transformiert Elemente; sie verwandelt in ihrem Inneren Wasserstoff in Helium, und bei dieser Kernfusion wird Energie freigesetzt. Unser Stern ist ein gewaltiger Ball aus heißem Plasma, der im Zentrum 13 Millionen und außen immer noch 6.000 Grad heiß ist. Die Sonnenflecken sind keine Berge, wie Herschel glaubte, sondern Regionen an der Oberfläche, die ein paar hundert Grad kühler sind.

Wie sich Gold wirklich herstellen lässt

Die Idee der Sonnenbewohner hatte sich als so grandios falsch herausgestellt, wie sie zu Herschels Zeiten plausibel erschien. Die schon seit der frühen Neuzeit als absurd angesehene Idee, man könne Elemente in Gold verwandeln, ist dagegen zur Überraschung aller tatsächlich richtig. Natürlich nicht so, wie es sich die Alchemisten vorgestellt haben. Man braucht dazu große Teilchenbeschleuniger, die subatomare Teilchen auf Atomkerne schießen und sie so dazu bringen, radioaktiv zu zerfallen. Mit so einer Technik kann man tatsächlich Quecksilberatome in Goldatome transformieren. Zwar nur in verschwindend geringen Mengen, die nicht einmal unter dem Mikroskop sichtbar sind, und mit Kosten, die den Wert des Goldes massiv übersteigen. Aber es geht.

Nicht alles, was absurd klingt, ist auch absurd. Das ist die erste Lektion, die diese beiden Episoden aus der Wissenschaftsgeschichte beinhalten. Ein bewohnter Stern erscheint uns heute so absolut unvorstellbar, dass wir kaum einen Gedanken daran verschwenden. Für Wilhelm Herschel und seine Kollegen war das aber ganz normale Wissenschaft, und darüber nachzudenken war nicht nur vernünftig, sondern auch absolut angebracht.

Rehabilitierte Vorstellungen

Dass Herschel sich mit seinen Thesen über die Sonne geirrt hat, gehört zum normalen Verlauf der Wissenschaft. Der "Unsinn" der Alchemisten, von dem sich die Forscher der Neuzeit (zu Recht) abgewandt hatten, kehrte dagegen als Resultat der modernen Kernphysik völlig unerwartet zurück. Heute ist die Umwandlung chemischer Elemente ein völlig normaler Bestandteil fast aller physikalischen Disziplinen und Theorien.

Und wer weiß: Vielleicht werden ja auch die Bewohner der Sonne irgendwann rehabilitiert. So wie die Kernphysiker zu Beginn des 20. Jahrhunderts stehen auch die Astronomen zu Beginn des 21. Jahrhundert erst ganz am Anfang bei der Suche nach außerirdischen Leben. Noch kann sich niemand vorstellen, wie Leben auf (oder in) einem Stern möglich sein kann. Aber wer weiß, wie die Sache in 100 Jahren aussieht. (Florian Freistetter, 19.6.2018)