Pro: WM sollte kein Lotto sein

Von Günther Oswald

Hätte es vor vier Jahren bereits den Videobeweis gegeben, wäre Deutschland womöglich nicht Weltmeister geworden. Im Finale sprang der deutsche Goalie Manuel Neuer dem argentinischen Stürmer Gonzalo Higuaín nach einer knappen Stunde im Strafraum in Karate-Kid-Manier ins Genick, sodass es eigentlich Elfmeter hätte geben müssen. Gab es aber nicht. Der Schiedsrichter konnte sich die Szene nicht noch einmal in Ruhe anschauen. Argentinien ging nicht in Führung und bekam in der Nachspielzeit das alles entscheidende Gegentor.

Die Liste an eklatanten Fehlentscheidungen im Spitzenfußball ließe sich beliebig fortsetzen. Bestes Beispiel war heuer das Champions-League-Semifinale zwischen Bayern und Real, das gleich von mehreren fragwürdigen (ausbleibenden) Pfiffen geprägt war. Der Fifa kann man daher viele Fehler vorwerfen, der erstmalige Einsatz des Videobeweises bei der WM in Russland zählt definitiv nicht dazu.

Dieser sorgt schlicht und ergreifend für mehr Gerechtigkeit. Es kann in niemandes Interesse sein, dass am Ende nicht die bessere, sondern die glücklichere Mannschaft gewinnt. Wer möchte, dass der Zufall regiert, soll Lotto spielen. Spannung und Faszination werden dem Fußball dadurch sicher nicht genommen. Es wird immer Szenen geben, über die man auch bei zehnmaliger Betrachtung trefflich streiten kann. Solche Fälle sollten aber möglichst die Ausnahme sein, nicht die Regel. (Günther Oswald, 18.6.2018)

Kontra: Verdorrte Hand Gottes

Von Michael Möseneder

Das WM-Viertelfinale zwischen Argentinien und England im Jahr 1986 ist ein ziemlich bekanntes Fußballspiel. Weniger weil das Tor von Diego Maradona zum 2:0 zum WM-Tor des Jahrhunderts gewählt worden ist, sondern da Maradona auch das 1:0 erzielt hat. Nicht mit dem Kopf, wie der Schiedsrichter dachte, sondern mit der Hand. Mit der "Hand Gottes", wie Maradona nach dem Spiel hinterfotzig behauptete.

Bei der Weltmeisterschaft in Russland wird man auf solche und ähnliche legendäre und umstrittene Situationen vergeblich warten, hat der Weltfußballverband Fifa doch den Videobeweis eingeführt. Aus ihrem Kämmerchen in Moskau können die Assistenten vor den Monitoren dem Schiedsrichter auf dem Spielfeld Bescheid geben, dass er sich geirrt hat. Und der Referee wird Minuten nach der eigentlichen Situation entweder einen Elfmeter geben, ein Tor aberkennen oder einen Spieler ausschließen.

Hört sich gerecht an – vor allem, wenn das eigene Team betroffen ist -, zerstört aber einen der wesentlichen Aspekte, die die Faszination des "beautiful game" ausmachen. Der Schiedsrichter ist auch nur ein Mensch und macht Fehler; Fehler, über die sich nach dem Match trefflich streiten lässt. Und ins kollektive Gedächtnis haben sich bisher immer neben dem Weltmeister die Fehlentscheidungen eingebrannt, an die man sich Jahrzehnte später noch erinnert. Jetzt lässt die Technik die Hand Gottes verdorren. (Michael Möseneder, 18.6.2018)