2015 machten sich hunderttausende Flüchtlinge – wie hier an der kroatisch-slowenischen Grenze – auf den Weg durch Europa. Für viele war Deutschland das Ziel.

Foto: AFP/ Jure Makovec

Der Schock kam am Freitag um 12.18 Uhr. In einer Eilmeldung verkündete Reuters, CSU-Chef Horst Seehofer beende das Unionsbündnis mit der CDU. Die Agentur berief sich dabei auf einen Tweet des Hessischen Rundfunks, in dem von einer internen E-Mail des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) die Rede war.

Im Bundestag war zu beobachten, wie Abgeordnete ungläubig auf ihre Smartphones starrten. Doch alsbald gab es Entwarnung. Das Satiremagazin Titanic hatte sich einen Scherz erlaubt und die Falschmeldung verbreitet.

Am Freitagnachmittag stand die Fraktionsgemeinschaft der Union – noch. Doch eine Lösung im völlig festgefahrenen Streit gab es nicht, nur sehr viele Einschätzungen der Lage, die allerdings recht unterschiedlich ausfielen.

So ruderte der Bundestagsabgeordnete und CSU-Vizechef Hans-Peter Friedrich ein wenig zurück und ließ durchblicken, dass er sich durchaus eine Lösung vorstellen könne: "In einem Punkt hakt es noch ein bisschen, aber das kriegen wir hin." Auch der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU), betonte, eigentlich seien sich CDU und CSU in 62 von 63 Punkten in der Asylpolitik ja einig.

Andererseits antwortete der bayerische Ministerpräsident, Markus Söder (CSU), in einem Interview mit der ARD auf die Frage nach einem möglichen Bruch der Koalition: "Wir wollen auf keinen Fall riskieren, Glaubwürdigkeit zu verlieren." Damit meinte er die CSU, die schon sehr lange eine deutlich restriktivere Asylpolitik als die Kanzlerin vertritt.

Auch in der CDU ist der Worst Case Gesprächsthema. Der Bundestagsabgeordnete und Innenpolitiker Mathias Middelberg hält einen Bruch der Unionsfraktion für denkbar: "Das kann man am Ende nicht ganz ausschließen." Er glaube aber, dass Merkel "bis zuletzt versuchen wird, die Sache zu einigen, weil sie sich ihrer Verantwortung gerade auch in diesem Thema verpflichtet sieht".

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich in einer E-Mail an alle 420.000 Mitglieder der CDU gerichtet und erklärte: "Ich wende mich heute in einer sehr ernsten Lage an Sie."

Nicht der richtige Weg

Merkels Vertraute wirbt um Verständnis für den Kurs der Kanzlerin und erläutert, warum diese Seehofers Pläne ablehnt: "Wir als CDU haben die Sorge, dass ungeordnete Zurückweisungen an unseren Grenzen, als Land im Herzen Europas, nicht der richtige Weg sind." Merkel selbst äußerte sich auch noch einmal und sagte: "Ich glaube, dass wir nicht unilateral handeln sollten, dass wir nicht unabgestimmt handeln sollten und dass wir nicht zulasten Dritter handeln sollten."

Merkels Sprecher, Steffen Seibert, wurde am Freitag gefragt, ob Merkel noch Vertrauen zu Seehofer habe. Seine Antwort: "Herr Seehofer ist der Bundesinnenminister, und insofern ist es doch ganz klar, dass die Bundeskanzlerin ihm auch vertraut." Die CSU hat Merkel ja ein Ultimatum gestellt. Der Parteivorstand in München könnte am Montag beschließen, dass Seehofer als Innenminister im Alleingang die Bundespolizei zur Rückweisung der Flüchtlinge an der Grenze beauftragen soll. Allerdings sieht die Gewerkschaft der Polizei (GdP) dies kritisch. "Wir lehnen den Vorschlag des Bundesinnenministers zur Zurückweisung von Flüchtlingen im Alleingang ab, weil er gegen das 'Dublin-3-Abkommen' verstößt", sagt GdP-Vizechef Jörg Radek in der Rheinischen Post.

"Bonsai-Trump" Söder

In den nächsten 48 Stunden müsste also eine Lösung gefunden werden, wenn sich die Lage beruhigen soll. "Nutzen Sie das Wochenende, um sich wieder auf eine sachliche und auf eine kooperative Ebene zu begeben", mahnte SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles am Freitag, sprach sich ebenfalls für eine europäische Lösung aus und bezeichnete den bayerischen Ministerpräsidenten Söder – als "Bonsai-Trump".

Ein Kompromiss könnte so aussehen, dass Merkel mehr Zeit bekommt. Die CSU räumt ihr per Vorstandsbeschluss am Montag in München noch zwei Wochen ein. Bis zum EU-Gipfel Ende Juni müsste Merkel dann ihren europäischen Vorschlag auf den Tisch legen und für Umsetzung sorgen.

Gleichzeitig könnte Merkel zusagen, dass man in Berlin über die Zurückweisung weiterer Gruppen an Grenzen spricht, wenn sie es nicht schafft, sich mit den EU-Partnern zu einigen. Ob es klappt, ist fraglich. (Birgit Baumann aus Berlin, 15.6.2018)

CDU will eine "europäische Lösung", CSU schießt scharf

Berlin – Wenn Österreichs Kanzler Sebastian Kurz eine "Achse der Willigen" zwischen Berlin, Wien und Rom schmieden will, dann ist es im Moment schwierig zu sagen, wer in Berlin Ansprechpartner ist – und wofür. Amtskollegin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer haben sich völlig verhakt. Während sie eine europäische Lösung will, denkt er zuerst an Deutschland.

Dorthin sollen weniger Flüchtlinge kommen. Jene, die kein Bleiberecht haben, sollen Deutschland schneller wieder verlassen. Seehofer plant nicht nur, bereits in der EU registrierte Asylbewerber künftig an der Grenze (vor allem an der zu Österreich) wieder zurückzuschicken, sondern auch jene, deren Asylantrag in Deutschland schon einmal abgelehnt wurde.

Für Asylwerber mit geringer Bleibeperspektive will Seehofer Anker-Zentren einrichten. Die Betroffenen sollen nicht mehr auf Kommunen verteilt werden. Dazu sagt Merkel Ja, aber die SPD ist wenig begeistert. (bau)

Asylpolitik mit dem Ziel eines "Europas ohne Grenzen nach innen"

Wien – Die Stärkung des Außengrenzschutzes ist das oberste Prinzip für Bundeskanzler SebastianKurz (ÖVP). "Eine Stärkung von Frontex bis 2027, wie das geplant ist, reicht nicht", sagt er im STANDARD-Interview. Dieses Datum sei viel zu langfristig. Diesen Außengrenzschutz will Kurz nicht nur als Maßnahme gegen illegale Migration verstanden wissen, sondern auch als Methode zur Sicherstellung des Prinzips der Niederlassungsfreiheit und eines "Europas ohne Grenzen nach innen".

Der am 1. Juli beginnende österreichische EU-Ratsvorsitz solle im Zeichen der Flüchtlings- und Migrationspolitik stehen. Ein zentraler Punkt dabei: die Umverteilungsfrage.

Auch Österreich propagiert die Installierung von Migrationszentren außerhalb Europas – oder zumindest außerhalb der EU. Die Idee ist nicht ganz neu: Schon der damalige Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) propagierte sogenannte Verfahrenszentren in Afrika. (tom, gian)

Salvini löst seine Wahlkampfversprechen ein und zeigt volle Härte

Rom – Italiens Innenminister Matteo Salvini ist im Bunde mit Deutschland und Österreich mit Sicherheit der härteste und "rustikalste" Vertreter einer unnachgiebigen Migrationspolitik.

Nur wenige Tage nach seiner Vereidigung als Innenminister Anfang Juni drohte Salvini den illegal nach Italien Gereisten an: "Ihr könnt schon eure Koffer packen!" Doch Abschiebungen sind nur ein Teil von Salvinis Strategie: Er will schon viel früher ansetzen und würde am liebsten alle private Seenotretter aus dem Meer verbannen. Wenn das nicht gelinge, so wie im Fall des Hilfsschiffes Aquarius, werde Italien seine Häfen schließen, um so "dem Schleusertum ein Ende" zu bereiten.

Politischen Druck Richtung Brüssel will Salvini außerdem mit der strikten Reduzierung der Kosten zur Betreuung von Asylsuchenden machen. Auch Rom befürwortet "menschlich verwaltete Flüchtlingszentren" außerhalb Europas. Anderer Name, gleiches Prinzip. (gian)