"Ziel ist der WM-Titel", sagt Spaniens Neo-Teamchef Fernando Hierro.

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Mesut Özil (links) und Ilkay Gündogan haben laut DFB-Teamchef Löw "gelitten". Er will sie "so weit in Flow bringen, dass sie uns helfen".

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Manchmal wird der Fußball aufs Wesentliche, auf die Schuhe, reduziert. Dem Iran sind sie praktisch ausgegangen, Nike, der Sponsor, hat die Lieferungen spontan eingestellt. Auf Druck von ganz oben. Da US-Präsident Donald Trump den Iran als Heimstatt des Teufels ausgemacht und Sanktionen verschärft hat, gingen Manager des in Oregon ansässigen Unternehmens in die Knie. "Als Unternehmen kann Nike derzeit Spieler des Iran nicht mit Schuhen versorgen", hieß es in einer kurzen Erklärung.

Das Spielchen ging weiter, Konkurrent Adidas wollte einspringen, hat Hilfe angeboten. Romantiker sprechen von einem Akt der Nächstenliebe, Realisten von einem aufgelegten Werbegag. Irans portugiesischer Teamchef Carlos Queiroz war und ist fassungslos. "Die Spieler haben sich an ihre Ausrüstung gewöhnt, es ist unmöglich, kurzfristig zu wechseln." Der 65-Jährige ist freilich überzeugt, dass die Affäre "die Mannschaft zusammenschweißt. Das ist eine Quelle der Inspiration für uns." In ihrer Not haben die Spieler die Sportgeschäfte in Russland leergekauft.

Queiroz forderte bei Sky Sports eine Entschuldigung von Nike ein, nicht von Trump. "Dieses arrogante Verhalten gegenüber 23 jungen Männer ist absolut lächerlich." Nationen wie Brasilien, England oder Frankreich haben nichts zu befürchten, sie können in Patschen aus Oregon ersticken. Fakt ist: Irans Kicker werden am Freitag in St. Petersburg gegen Marokko Schuhe anhaben. Sie haben das Problem selbst gelöst.

Bei anderen im Fußball führenden Nationen funktioniert die Problembewältigung nicht so reibungslos, das Krisenmanagement hatscht. Titelverteidiger Deutschland wird die Erdogan-Affäre um Ilkay Gündogan und Mesut Özil einfach nicht los, der Fußballbund, Teammanager Oliver Bierhoff und sogar Bundestrainer Joachim Löw ringen schwer genervt um Schadensbegrenzung. Özil schweigt beharrlich.

Bierhoff geht davon aus, dass Özil das durchzieht. "Ob das gut ist, steht auf einem anderen Blatt." Zur Erinnerung: Am 14. Mai tauchten Fotos auf, die die Kicker in London mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Erdogan zeigten. Sie strahlten wie Glühbirnen. Gündogan hatte auf sein Trikotgeschenk geschrieben: "Für meinen Präsidenten, hochachtungsvoll." Im Test gegen Saudi-Arabien in Leverkusen (2:1) wurde Gündogan bei jeder Ballberührung ausgepfiffen, Özil fehlte. Die Deutschen beginnen die WM am Sonntag gegen Mexiko im Luschniki-Stadion, Buhrufe sind wahrscheinlich.

Grünen-Politiker Cem Özdemir warb indes um Fairness. "Der berechtigte Ärger ist, glaube ich, verstanden worden", sagte er der Frankfurter Rundschau. "Die Fotos lösen jetzt leider diese Loyalitätsdebatte aus. Das ärgert mich tierisch, weil es uns zurückwirft. Es ist außerdem Wasser auf die Mühlen der AfD. Die wollen bestimmen, wer dazugehört und wer nicht, und bürgern die beiden verbal aus." Löw sagte im WM-Quartier vor den Toren Moskaus, die Unterkunft versprüht den Charme der Sportschule Lindabrunn: "Alles ist auf Sonntag ausgerichtet. Ja, Özil und Gündogan haben gelitten. Ich muss sie so weit in Flow bringen, dass sie uns helfen." Verbandspräsident Reinhard Grindel ergänzte: "Wenn Özil schon keine Antworten geben will, soll er auf dem Platz sprechen."

Geschmackloses Real

Während Deutschland das Problem seit Wochen mitschleppt, ist Mitfavorit Spanien spontaner gewesen. Normalerweise werden Trainer erst nach einer WM gefeuert, dass es davor passiert, ist an Seltenheit nicht zu überbieten. Julen Lopetegui ist Geschichte. Als die "schlimmsten Stunden in der Geschichte der Selección" endlich vorüber waren, versuchte Fernando Hierro fast verzweifelt, den Blick wieder aufs Wesentliche zu lenken. "Wir haben keine Zeit, uns zu bemitleiden. Unser Ziel ist es, Weltmeister zu werden", sagte der eilig berufene Interimscoach.

Vor dem Auftakt gegen Portugal ist die Selección schwerst irritiert. Die Blitzscheidung von Lopetegui nach dem Bekanntwerden seines Wechsels zu Real Madrid, von El Pais als Wurf einer "Handgranate in die Baracken der Nationalelf" bezeichnet, wirkte am Donnerstag nach. Real Madrid legte ein Schauferl an Geschmacklosigkeit nach, präsentiert den Zidane-Nachfolger noch am Abend. Im Team drohen alte Wunden im Zwist zwischen Spielern von Madrid und Barcelona aufzubrechen. "Alle zusammen" , twitterte Barcas Gerard Pique demonstrativ. Reals Sergio Ramos teilte voller Pathos mit: "Wir repräsentieren das spanische Wappen. Gestern, heute und morgen."

Löw, Hierro und Queiroz stimmen überein, dass Krisen auf dem Platz bewältigt werden können. Womit der Fußball aufs Wesentliche, die Schuhe, reduziert wäre. (Christian Hackl, 14.6.2018)