Kanzler Kurz macht sich bereit für den EU-Vorsitz – nicht alle nehmen der Regierung die frisch entflammte Europaliebe ab.

Foto: Heribert Corn

Neos-Chef Matthias Strolz zum Beispiel will eine "Wort-Bild-Schere" bei manchen ÖVP- und FPÖlern ausgemacht haben.

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SPÖ-Chef Christian Kern legt es pathetisch an: Es brauche ein "Europa united".

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Rein rhetorisch war die Sitzung im österreichischen Parlament am Donnerstagvormittag eine von der qualitätsvolleren Sorte. Schließlich ging es um Europa, um den österreichischen Ratsvorsitz (selbstgewähltes Motto "Ein Europa, das schützt") und die Zukunft der Europäischen Union. Da kann man schon etwas dicker auftragen. Gut, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), eben von seiner Achsenbildung in Berlin zurückgekehrt, griff auf eine erweiterte Version seines bereits in der Vorwoche in Brüssel beim informellen Ministerrat zum Besten gegebenen Vortrags über die Herausforderungen für die Ratspräsidentschaft zurück ("Fokus auf Außengrenzschutz", "Stärkung von Frontex").

Aber dass auch Infrastrukturminister Norbert Hofer das Hohelied auf Europa anstimmen würde, war dann doch noch etwas ungewohnt: "Europa steht für Freiheit, Demokratie und Chancen", ließ er wissen. Und für wirtschaftliche Zusammenarbeit, aber: "Europa ist mehr und muss auch mehr sein. Europa ist eine Wertegemeinschaft", erklärte der Freiheitliche, der vor zwei Jahren noch eine Volksabstimmung über einen EU-Austritt Österreichs in den Raum gestellt hatte, von dem er kurz darauf wieder abgerückt war. Heute greift Hofer auf einen Vergleich aus seinem Privatleben zurück, wenn er seinen Einstellungswandel erklären soll: Auch mit seiner größten Kritikerin, seiner Frau, schaffe er es zu Hause immer wieder, sich zu vertragen. "Genau so soll es in der EU sein" , findet der Minister, "es muss möglich sein, Kritik auszusprechen."

#ichhabdenlängeren

Noch-Neos-Klubchef Matthias Strolz wollte ihm die neu aufgekommene Europabegeisterung trotzdem nicht ganz abnehmen. "Ich höre die wohlgesetzten Worte. Dann ergibt sich aber eine Wort-Bild-Schere zu dem, was Sie tun, zu den Allianzen, die Sie suchen", erklärte der Oppositionspolitiker, der mit seiner launigen Rede sogar die Kollegen auf der Regierungsbank zu unterhalten schien. Wohl, weil neben Sebastian Kurz auch US-Präsident Donald Trump sein Fett abbekommen hat, dem Strolz attestierte, unter dem Twitter-Hashtag "Ich hab den Längeren" durch die Welt zu taumeln.

Dass auch er die Kunst des Pathos beherrscht, demonstrierte SPÖ-Klubchef Christian Kern mit einem Plädoyer für ein "Europa united", das es dem America first von Trump entgegenzuhalten gelte. Es sei nämlich "ein patriotischer Akt der Heimatliebe, Europa zu stärken", findet der Chef der Sozialdemokraten. Die Regierung solle dafür sorgen, "dass die Solidarität in Europa intakt bleibt" – Stichwort "Steuerfluchtroute schließen" und die Achsen lieber mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron oder Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel suchen.

Wie die Regierung zu den Reformvorschlägen für ein neues Europa stehe, wollte Bruno Rossmann, Klubchef der Liste Pilz, gerne wissen. Eine Antwort bekam er diesmal nicht. Dafür erklärte die blaue Abgeordnete Susanne Fürst ihr Ziel für die nächsten sechs Monate: nämlich eine "Wiener Version einer EU der Vaterländer". (Karin Riss, 14.6.2018)