Conte wie Macron dürften sich bei ihrem Arbeitsessen am Freitag um Scherbenkittung bemühen.

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Emmanuel Macron musste in einem abendlichen Telefonanruf seinen ganzen Charme aufwenden, um das transalpine Zerwürfnis zu vermeiden: Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte ließ sich laut Insidern nur schwer überzeugen, seine Pläne, am Freitag nach Paris zu reisen, beizubehalten.

Die französische Diplomatie atmet auf – wieder einmal. Zwischen den gleich-ungleichen "Schwestern", wie sich die beiden romanischen Nationen bisweilen nennen, brennt die Lunte öfters. Meist wird sie gerade noch vor der Explosion gekappt. Jüngst etwa, als Paris dem italienischen Unternehmen Fincantieri aus fadenscheinigen Gründen die Übernahme der Schiffswerft bei Saint-Nazaire untersagen wollte. Französische Investoren sorgen dafür im Stiefel für böses Blut, wenn sie dort Firmen aufkaufen wollen. Pariser Intellektuelle solidarisieren sich dafür gerne mit Ex-Aktivisten der Brigate Rosse, die in Italien steckbrieflich gesucht werden.

Misstrauen auf beiden Seiten

Aber so war es schon immer – die Franzosen gelten den Italienern als überheblich und tadeln selbige als sprunghaft und unseriös. So auch seit der letzten Parlamentswahl: Emmanuel Macron hatte schon fest mit einem sozialliberalen Verbündeten gegen den strammen Wirtschaftskurs der Deutschen gerechnet; jetzt hat er im Gegenteil mit einer Römer Regierung zu tun, die ihn ungeniert mit den eigenen Widersprüchen konfrontiert. So erinnert Innenminister Matteo Salvini gerne daran, dass Frankreich versprochen habe, von Italien mehr als 9.000 Migranten zu übernehmen, aber bisher nur 640 aufgenommen habe.

Macron reagierte mehr als pikiert und warf Italien eine "zynische und verantwortungslose" Haltung vor. Nun folgte Schlag auf Schlag. Rom bestellte umgehend den französischen Botschafter ein, der schickte seine Stellvertreterin. Salvini verlangte eine Entschuldigung, Macron verweigerte sie. Das bilaterale Treffen von Freitag wankte, bis Macron zu seinem Handy griff, um das Schlimmste zu verhindern.

Macron unter Beschuss

Das tat er auch, weil er innenpolitisch selbst unter Beschuss ist. Die Linke fragt in Paris mit Nachdruck, warum Frankreich dem Flüchtlingsschiff Aquarius nicht selbst – zum Beispiel auf der Insel Korsika – Gastrecht erteilt habe, statt Italien wegen der verweigerten Landebewilligung Vorhaltungen zu machen. Humanitäre Verbände werfen Macron Zynismus vor, lasse er doch tausende Migranten nach Italien zurückschaffen, obwohl dieses Erstasylland eine viel höhere Aufnahmelast trage.

Kaum zu verschmerzen ist für den französischen Präsidenten, dass die berechtigte Kritik von der italienischen Lega kommt, einer Partei, die in Paris nicht nur als populistisch, sondern als rechtsextrem bezeichnet wird. Da führt Macron seit einem Jahr einen entschlossenen Kampf gegen den Front National, der sich nun Rassemblement National nennt; nun aber muss sich der junge Staatschef ausgerechnet von Marine Le Pens Verbündetem Salvini den Moralfinger zeigen lassen.

Bröckelnde Willkommenskultur

Zudem gerät Macron auch innerhalb der EU in die Zwickmühle. Gegenüber Migranten fährt er einen härteren Kurs als sein Vorgänger François Hollande; das Asylrecht lässt er gerade verschärfen. Europapolitisch hält er hingegen zu Angela Merkel, deren bröckelnde Willkommenskultur durch Rechtspolitiker wie Seehofer, Sebastian Kurz oder eben Salvini zunehmend infrage gestellt wird. Macron braucht die deutsche Kanzlerin wegen eines anderen Anliegens, das ihm vor allem am Herzen liegt: Nur mit Merkel kann er seine Vorstellungen einer vertieften EU-Integration inklusive Eurozonenbudget durchbringen. Doch auch dieser Plan wird nun durch die neue, euroskeptische Regierung Italiens durchkreuzt.

Conte wie Macron dürften sich bei ihrem Arbeitsessen von Freitag um Scherbenkittung bemühen. Im Vorfeld plädierten Élysée-Sprecher jedenfalls für eine "bessere gemeinsame Kontrolle der Außengrenzen", was so konsensuell wie möglich klingen soll. Doch auch wenn der Anfang einer Annäherung mit der neuen italienischen Regierung gemacht ist: Von einer kohärenten, kollektiv betriebenen Asylpolitik ist die EU Lichtjahre entfernt. (Stefan Brändle aus Paris, 15.6.2018)