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Eine Mazedonierin küsst ihre Flagge. Die Lösung des Namensstreits gibt dem Balkan-Staat nach langem Warten die Möglichkeit, der Nato beizutreten und mit den EU-Verhandlungen zu beginnen.

Foto: REUTERS/Ognen Teofilovski

Die Lösung des Namensstreits zwischen Griechenland und Mazedonien war in den letzten Monaten eine Zitterpartie. Jetzt ist die Erleichterung groß, man hat sich auf die offizielle Bezeichnung Nord-Mazedonien geeinigt. Die EU-Kommission hat sich wie in keinem anderen südosteuropäischen Staat dafür eingesetzt, dass die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien eine europäische Zukunft hat. Involviert war darin auch Johannes Hahn, seit 2014 EU-Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen.

STANDARD: Was war entscheidend, dass nun ein Deal erreicht wurde?

Hahn: Premierminister Zoran Zaev hat es sehr gut zustande gebracht, ein Vertrauensverhältnis zur griechischen Regierung aufzubauen. Denn man kann vieles vereinbaren, aber am Ende des Tages, muss man darauf vertrauen, dass die andere Seite das auch umsetzt und die Mehrheiten dafür da sind. Und da ist viel Gutes passiert.

STANDARD: Kann das Abkommen zwischen Griechenland und Mazedonien jetzt noch scheitern?

Hahn: Im September oder Oktober soll es ein Referendum geben und ich habe angeboten, dass ich vor Ort dafür werben werde. Ich habe im Land eine gewisse Glaubwürdigkeit und bin bereit, diese in die Waagschale zu werfen. Wichtig ist aber, dass das Referendum nicht mit sonstigen Wahlen vermischt wird, denn sonst wird es in den parteipolitischen Kampf hineingezogen. Die Meinungsführer im Lande – egal von welcher politischen Seite – scheinen jetzt anzuerkennen, dass hier etwas im Interesse des Landes und der ganzen Region gelungen ist. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass das Referendum eine entsprechende Mehrheit bekommt.

STANDARD: Was sind nun die nächsten Schritte?

Hahn: Ich gehe davon aus, dass die EU-Mitgliedsstaaten positiv auf die Einigung reagieren und beim Gipfel am 28. Juni grünes Licht für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erteilen. Mit dieser Grundeuphorie kann man im Juli in den Nato-Gipfel gehen, wo es um die Erneuerung der Einladung zur Mitgliedschaft geht. Wenn dann im Herbst auch Teile der Opposition mitziehen und es eine Zweidrittelmehrheit für die Verfassungsänderungen auf Basis eines erfolgreichen Referendums gibt, könnte das griechische Parlament das Nato-Beitrittsprotokoll ratifizieren.

STANDARD: Denken Sie, dass Athen das Abkommen umsetzt?

Hahn: Das Einzige, was sicher ist, ist der Tod. Aber das Abkommen ist auf dem Papier gut aufgestellt. Und Tsipras ist ein professioneller Politiker. Wenn Griechenland aus dem Euro-Überwachungsschirm entlassen wird, dann passt das dazu. Denn das Abkommen ist auch im Interesse der griechischen Bürger, es bringt Stabilität in die Region. Von normalen freundschaftlichen Beziehungen unter Nachbarn, profitieren alle.

STANDARD: Was kann man aus der Einigung zwischen den beiden Staaten für die Region lernen?

Hahn: Momentan geht ein Ruck durch die Region. Der Auslöser war unsere Erweiterungsstrategie, die eine Perspektive für alle Staaten eröffnet. Es kam im Kosovo zu der nicht mehr erwarteten Ratifizierung des Grenzabkommens mit Montenegro. Die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien und Bulgarien haben ein Freundschaftsabkommen geschlossen, und es gibt auch Verhandlungen über offene Fragen zwischen Griechenland und Albanien. Es gibt einen positiven Wettbewerb, offene Fragen, die man schon länger hätte lösen können, endlich zu klären. Man soll nicht euphorisch sein, aber die Signale sind positiv, und die Lösung der Namensfrage hat eine regionale Bedeutung.

STANDARD: Auch eine geopolitische, schließlich geht es auch um den Nato-Beitritt Mazedoniens. In den letzten Jahren wurde oft vor zunehmendem Einfluss Russlands gewarnt und die Westanbindung der Balkanstaaten gefordert.

Hahn: Die sind ja fest im Westen. Ich sehe den Einfluss Russlands weniger dramatisch. Aber richtig ist schon: Jene, die bei der Lösung der Namensfrage jetzt skeptisch sind, sind die Ersten, die mir sagen, dass die türkische und russische Einflussnahme vor der Tür stehe. Die müssen sich halt überlegen: Was will ich? Die Lösung des Namensstreits passt jedenfalls in das Bild der Verankerung des Westbalkans in der westlichen Wertegemeinschaft.

STANDARD: Mazedonien befand sich vor drei Jahren noch in seiner schwersten Krise. Kann es zum Modell der EU-Strategie werden?

Hahn: Es gab damals ein ganz besonderes Ereignis, nämlich die Abhöraffäre, und das hat die Zivilgesellschaft zu Recht empört. Wir haben vielleicht auch mitgeholfen, dass diese Aufregung stärker artikuliert wurde. Die Leute haben gemerkt: Es gibt auch europäische Unterstützung. Wir werden nicht alleine gelassen. Und natürlich kann das Land deshalb ein Rolemodel für die Region sein.

STANDARD: Können jetzt im Herbst die EU-Verhandlungen mit Mazedonien beginnen?

Hahn: Es geht nun um die Vorarbeiten für die Eröffnung der Kapitel, also um einen umfassenden Screeningprozess, der klären soll, ob die Voraussetzungen für die Eröffnung der Kapitel im Rechtsstaatsbereich gegeben sind.

STANDARD: Die Kommission empfiehlt auch den Beginn von Verhandlungen mit Albanien, aber es gibt Widerstand von Frankreich und den Niederlanden.

Hahn: Der Überprüfungsprozess in der Justiz in Albanien ist in vollem Schwung. Die Justizreform hat in Albanien Priorität. Aus unserer Sicht hat also Albanien die Voraussetzungen erfüllt, um mit dem Screeeningprozess zu beginnen. Auf Basis dessen kann man dann eine Analyse machen, um die Benchmarks für die Eröffnung der Kapitel zu machen. Ich bin zuversichtlich, dass Albanien, mit dem Rückenwind der mazedonischen Entscheidung dies auch tun kann. Denn die Möglichkeit zu Reformen, ist während der Verhandlungen am stärksten. Ich bin zuversichtlich, dass auch Frankreich und die Niederlande das "Glas halb voll" sehen.

STANDARD: Würde es die Konditionalitätspolitik der EU untergraben, wenn Albanien nicht für Reformen belohnt würde, nur weil einige EU-Staaten gegen Erweiterung sind?

Hahn: Ja absolut. Wir haben kein höheres Gut als unsere Glaubwürdigkeit. Das ist auch privat so, man verliert schnell etwas, aber es dauert lange, bis man es wieder zurückgewinnt. Unsere Glaubwürdigkeit ist Teil unseres Wertekanons. Wenn wir ein Versprechen abgeben, und die andere Seite erfüllt die Forderungen, dann müssen wir es auch einhalten. Würde das nicht passieren, dann hätte das auch Auswirkungen auf andere Länder der Region. (Adelheid Wölfl, 14.6.2018)

Johannes Hahn (60) ist seit 2014 EU-Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen. Der ehemalige Wissenschaftsminister der ÖVP war ab 2010 Kommissar für Regionalpolitik.
Foto: APA/AFP/DIMITAR DILKOFF