Wolfgang Katzian wird am Donnerstag offiziell zum neuen ÖGB-Präsidenten gewählt. Am ersten Tag des ÖGB-Kongresses standen die Fraktionskonferenzen an.

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Sieht eine "Konterrevolution" von oben: SPÖ-Chef Christian Kern.

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Wien – Willi Mernyi ist nicht die Sorte Gewerkschaftsvertreter, die sich irgendwelche Illusionen machen würde: Vor ihm liegt eine lange, wahrscheinlich heftige Auseinandersetzung mit der türkis-blauen Bundesregierung. Hinter ihm stehen Millionen Arbeitnehmer. Und das verkündet der Organisationsreferent des ÖGB und der Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) auf dem dem ÖGB-Bundeskongress vorgelagerten FSG-Fraktionstag auch stolz: "Was wir können: Eine Million Arbeitnehmer organisieren. Das werden die nie können."

Mit "die" sind die Unterstützer der türkis-blauen Bundesregierung gemeint, die Industriellenvereinigung und die Unternehmer, der die tägliche Arbeitszeit bei Bedarf auf zwölf Stunden ausweiten, die Mitbestimmungsrechte einschränken und die Ansprüche Bedürftiger reduzieren wollen. Mernyi glänzt damit, Stimmung zu machen – und die anderen Redner stimmen ein.

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Renate Anderl zum Beispiel, die neue Präsidentin der Arbeiterkammer: "Wir leben in einer herausfordernden Zeit, weil sich die neoliberale Idee der Ellenbogengesellschaft bei vielen eingebrannt hat. Aber wenn ich in die Zukunft schaue, gibt es keinen generellen Zwölfstundentag, wir brauchen eine Arbeitszeitverkürzung."

Man weiß: Die Stimmung, die bei der sozialdemokratischen Mehrheitsfraktion im ÖGB herrscht, die wird auch die anschließende Bundeskonferenz beherrschen. Und entsprechend haben die Funktionäre die versammelten Betriebsräte eingestimmt.

"Konterrevolution" durch türkis-blaue Regierung

Allen voran Ex-Bundeskanzler Christian Kern, der im Austria Center seine Rolle als Oppositionsführer gefunden zu haben schien: Der türkis-blauen Regierung warf er vor, eine "Konterrevolution" zu betreiben. Und diese Konterrevolution werde sich letztlich gegen die Regierung selbst wenden. Diese müsse, droht Kern "höllisch aufpassen", weil auch sie vom sozialen Frieden abhänge, der Österreich stark gemacht habe.

Auf der anderen Seite – unausgesprochen: auf der Seite der Revolutionäre – stünden die Gewerkschafter, die die Verteidiger des Sozialstaats seien. Kerns Rede schwankte zwischen Verhandlungsangebot ("der Wohlfahrtsstaat ist die Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg") und offener Drohung mit Aktionen gegen die von der Regierung geplanten Reformen: "Wir werden es im Parlament tun, auf der Straße, in den Betrieben – überall, wo wir sie erwischen."

Christgewerkschafter bangen um Sozialpartnerschaft

Im Nachbarsaal, wo die christlichsoziale Minderheitsfraktion FCG_tagte, gab sich deren Vorsitzender Norbert Schnedl im Ton moderater, in der Sache aber gleich hart: "Wenn wir sozialen Frieden erhalten wollen, müssen wir den sozialpartnerschaftlichen Dialog intensivieren. Ausbauen, nicht abbauen ist die Devise."

Der "massive Angriff auf den Sozialstaat", den Kern diagnostiziert, wurde auch von anderen sozialdemokratischen Rednern aufs Korn genommen: Der Wiener Landtagspräsident Ernst Woller identifizierte die Arbeitnehmer und "das Rote Wien" als Hauptgegner der Regierung – und kündigte an, dass das "Rote Wien" im kommenden Jubiläumsjahr Front gegen die Regierungspläne machen wird: Eine Konstellation wie man sie aus den 1920er und 1930er Jahren kennt, als sich die Wiener Landespolitik mit ihren Sozialprogrammen in Widerspruch zur konservativ dominierten Bundesregierung gesehen hat.

Katzian "Kreuzzug gegen die Sozialversicherung"

Wolfgang Katzian, der die Führung der FSG_nun gegen den Posten des ÖGB-Präsidenten eintauscht, warf der Regierung einen "Kreuzzug gegen die Sozialversicherung"_vor und meinte kryptisch, dass die Sozialdemokratie nach der Wahlniederlage des Vorjahres nicht viel Zeit habe, ihre Wunden zu lecken. Möglicherweise steht eine Zeit der Arbeitskämpfe bevor. Aber zuerst muss Katzian einmal gewählt werden – das ist für Donnerstag geplant. (Conrad Seidl, 12.6.2018)